Mitleid, Gerechtigkeit, Neid?

Finanzamt
Finanzamt(c) AP (Daniel Roland)
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Sozialdebatte. Was unterscheidet Umverteilung von klassischer Schutzgelderpressung – mehr als nur
die gesetzliche Legitimation?

Zunächst sehen Umverteilung und Schutzgelderpressung ja gleich aus: Jemand fordert unter dezentem Hinweis auf Gewaltanwendung im Weigerungsfall auf, redlich erworbenes Geld rauszurücken, um es neuen Besitzern zuzuführen. Was aber unterscheidet im Kern das Finanzamt von gewöhnlichen Erpressern? Zunächst natürlich das Gesetz: Das Finanzamt hat die Erlaubnis, anderen Geld wegzunehmen. Aber was ist die ethische Rechtfertigung der Umverteilung, was ist ihre anerkannte Ratio? Eine solche muss es geben, sonst wäre nicht Umverteilung in so vielen demokratischen Gemeinwesen unumstrittene Realität - obwohl sie massiv in das Recht auf Privateigentum eingreift und teilweise das Prinzip der leistungsgerechten Entlohnung aushebelt.

Das zivilisatorische Konzept, dass gewisse Aufgaben gemeinsam gelöst werden müssen und jeder nach seiner Leistungsfähigkeit zu den Kosten dieser Aufgaben beizutragen hat, ist noch nicht die Begründung von Umverteilung. Denn bei ihr geht es ja nicht um einen Kostenbeitrag zum Bundesheer oder einer neuen Blattgoldauflage für die Stühle in der Hofburg - Umverteilung heißt vielmehr, Einkommen oder Besitz bestimmter Bevölkerungsgruppen anzuzapfen, um das Einkommen oder den Besitz anderer Bevölkerungsgruppen zu erhöhen.


Umverteilung ist also eine zweite Einkommensverteilung, die die Frage danach, was jedem zusteht, nicht, wie in der ersten Runde, privatrechtlich beantwortet: „Soviel, wie ihm für seine Leistung versprochen worden ist", sondern nach den Maßstäben einer höheren Gerechtigkeit, die sich auf einen sperrigen Begriff stützt: Solidarität. Was das genau heißt, darüber streiten sich die Schulen.

Die Fabrik in Flammen . . .

Die eine sieht die Menschheit (oder das eigene Volk) als große Familie, dem die Güter der Welt gemeinsam gegeben sind. In der Praxis sei es zwar leider so, dass die Menschen unterschiedlich gut von diesen Gütern Gebrauch machen können - durch Unterschiede in der Begabung, des Besitzes, des Charakters, des Glücks -, aber die daraus resultierenden Unterschiede im Ergebnis des Gütergebrauchs werden dann eben durch eine Umverteilung in einem für alle Betroffenen erträglichen Maß korrigiert.

Für die andere Schule ist es durchwegs positiv, dass unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Einkommen haben - weil sie ein Ergebnis einer effizient organisierten Wirtschaftsform sind. Es ist daher auch nicht die große Ungleichheit, die für sie ein moralisches Problem darstellt, sondern die Not derer ganz unten. Hier wird Umverteilung also nicht aus dem Recht an Teilhabe abgeleitet, sondern aus der Pflicht zur Mildtätigkeit. (Dann gibt es auch noch die kühlen Rechner, die Umverteilung - wenn sie denn schon sein müsse - eigennützig als Vorbeugemaßnahme gegen Revolutionen begründen. Da sind wir schon wieder sehr nahe am Schutzgelderpresser: „Sie wisse ja, wie leicht so eine Fabrik in Flammen aufgehen kann . . .)

Die beiden Schulen kommen in der Praxis oft zu ähnlichen Resultaten. Auch das Konzept, dass Armut relativ ist, sorgt in der Anwendung für einen Ausgleich zwischen den Lagern: Wenn man Armut bei 60 Prozent des mittleren Einkommens ansetzt, macht es wenig Unterschied, ob man im Namen der Gleichheit oder der Armutsbekämpfung den Menschen unterhalb dieser Schwelle Transfers zukommen lassen will. Die ideologischen Trennlinien werden aber etwa beim Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens deutlich - das laut seinen Proponenten auch der Sozialhilfe den Charakter einer mildtätigen Gabe nehmen und das Anrecht eines jeden auf ein Mindeststück des gemeinsamen Wohlstandskuchens einlösen soll - egal, wie sehr er selbst zu diesem Kuchen beigetragen hat. Dafür ist der Staat nicht da, sagen die Gegner, und Margaret Thatcher hat dergleichen als entmündigende „Taschengeld-Gesellschaft" bezeichnet.

Der ganz praktische Haken an Umverteilung ist, dass sie Signale und Incentives des Marktes verzerrt und damit die Effizienz beim Backen des Wohlstandskuchens beeinträchtigt. Hohe Steuern, mit denen die Umverteilung finanziert wird, können sich leistungsfeindlich auswirken bzw. das Wachstum des Schwarzmarktes fördern. Und die Empfänger werden in Versuchung geführt, ihr Verhalten nicht auf rasches Fortkommen in der Arbeitswelt, sondern auf ein möglichst breites Feld der Bedürftigkeit auszurichten.

Dazu kommen eine Menge von der Sozialforschung aufgedeckter Phänomene, die die Akzeptanz des Sozialstaates untergraben: Etwa der Eindruck einer wachsenden Mehrheit der Menschen, zu den wenigen Nettozahlern des Systems zu gehören. Oder der paradoxe Effekt, dass die Menschen in ausgeprägten Wohlfahrtsstaaten eher den Eindruck haben unterdurchschnittlich zu verdienen, während es in Ländern mit ausgeprägterem Leistungsprinzip wie etwa in den USA umgekehrt ist. Derartige Entwicklungen sorgen für zunehmende Unzufriedenheit mit einem umverteilenden Sozialstaat - und für Leistungsverweigerung oder zumindest Steuervermeidung und damit für ein Abbröckeln der Wohlstandsbasis und verschärfte (Um-)Verteilungskämpfe.

Stimmenfang durch Umverteilung

Einen demokratischen Trend zu immer mehr und immer problematischerer Umverteilung begründet die moderne Politikforschung („Public-Choice-Theory"), damit, dass die Politiker Stimmen mit dem geringsten Reibungsverlust maximieren, indem sie klar abgegrenzten Wählergruppen spürbare Transfers zusprechen - Pendlern und Städtern, Kleingewerbetreibenden und Großunternehmern, Industriearbeitern und Staatsangestellten - und die Kosten dafür kaum spürbar auf die Allgemeinheit aufteilen. So freuen sich Eltern zum Beispiel auf eine genauen Betrag an zusätzlichem Kindergeld. Was genau diese Maßnahme den einzelnen Steuerzahler kostet, hat allerdings nie jemand bekannt gegeben.

Vollends vertrackt wird die Diskussion dann dadurch, dass nicht alles, was danach aussieht, auch schon Umverteilung ist. So kann man etwa die Kinderbeihilfe als Umverteilung von Kinderlosen zu Familien betrachten - oder bloß als Korrektur indirekter Umverteilung von Familien zu Kinderlosen durch das Steuersystem. Und umgekehrt ist manches Umverteilung, was nicht danach aussieht. Die Staatsschulden etwa: Sie sind eine Umverteilung von unten nach oben, indem Steuergeldern als Zinsen an die Gläubiger - vorwiegend bereits wohlhabendere Anleger - überwiesen werden.

Eins ist jedoch sicher: Wenn über Umverteilung nicht kritisch diskutiert werden darf - generell und konkret -, vergibt man Wohlstandschancen. Ideologisch verengte Gleichmacherei macht dann gerade die ärmer, die sie reicher machen möchte.

(Die Presse, "Aufbrüche", 27.11. 2009)

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