Osteuropäer: Heimkehr in die Chefetagen

(c) Sommerbauer
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Anfang der 1990er-Jahre kehrten viele Gutausgebildete Ost- und Südosteuropa den Rücken. Nun kommen viele von ihnen als Führungskräfte in die alte Heimat zurück.

WIEN.Wenn Liviu Voinea auf den Bukarester Straßen geht, halten ihn bisweilen Passanten an und stellen den jungen Mann mit dem tiefschwarzen Kurzhaar zur Rede: Soll ich mein Haus verkaufen? Oder doch besser einen Kredit aufnehmen? Taugen die Aktien von Rompetrol denn noch etwas? „Ich versuche dann, höflich zu sein“, sagt Voinea und lacht.

In Rumänien kennt man den 34-Jährigen als TV-Analysten. Jede Woche ist er bei einem großen privaten Fernsehsender zu Gast in einer Talkshow. Daneben leitet er die „Group of Applied Economics“, einen Thinktank junger Wirtschaftsexperten; außerdem besitzt er auch noch eine Consultingfirma, unterrichtet an der Wirtschaftsuniversität und ist Buchautor: „Das Ende der Illusionsökonomie“ heißt sein neues Werk, für ein breites Publikum geschrieben. „Man versteht es“, sagt Voinea stolz.

Voinea, der Tausendsassa, ist nach mehreren Auslandsaufenthalten mitten in der rumänischen Gesellschaft angekommen – genauer: in ihren Chefetagen. Dass er nach Studienaufenthalten in Schweden und Spanien in seine Heimat zurückkehren würde, stand für Voinea schon immer fest. „Ich bin nicht weggegangen, um dort zu bleiben“ – so wie viele andere Hochqualifizierte seiner Generation, die so zahlreich ganz oben in den osteuropäischen Behörden, Denkfabriken und Unternehmen mitmischen.

Anfang der 1990er-Jahre kehrten viele Gutausgebildete Ost- und Südosteuropa den Rücken: Gute Jobs und eine Zukunftsperspektive gab es nicht. Mittlerweile hat sich der sogenannte „Braindrain“, die Abwanderung der Hochqualifizierten, den viele Regierungen mit Sorge betrachteten, in eine „Brain Circulation“ gewandelt – zumindest was osteuropäische Studierende in Westeuropa betrifft, wie der Ostexperte Andreas Breinbauer erklärt: „Osteuropäische Studierende kehren in hohem Maße wieder zurück. Geht man in die USA, ist die Wahrscheinlichkeit, dort zu bleiben, hingegen groß.“

Europa nicht länger ein Traum

Auch Radi Jordanow ist ein Rückkehrer. Anfang der 90er-Jahre habe er nicht gewusst, wo er leben solle: in Bulgarien oder im Ausland. „Es war ein Dilemma“, sagt der 41-Jährige. 1991, da war in Bulgarien keine Zukunft sichtbar. Man schätzt, dass zwischen 1990 und 1992 allein 40.000 Hochqualifizierte das Land verließen. Doch anders als viele entschied Jordanow sich für eine baldige Rückkehr: Der Maturant wollte nicht als ungelernter Arbeiter – als „Mensch zweiter Klasse“, wie er sagt – in Westeuropa enden. Jordanow, der in seiner Freizeit lieber Jeans als Anzug trägt, schloss in Bulgarien sein Jusstudium ab. Heute ist er stellvertretender Vorsitzender des Sofioter Kreisgerichts.

Der Bulgare hat mit seiner Entscheidung Mitte der Neunziger einen Trend vorweggenommen, dem immer mehr folgen – vor allem Hochqualifizierte: Europa ist nicht länger „ein Traum, das Paradies“, wie der rumänische Politologe Silviu Matei, selbst ein Rückkehrer, sagt, sondern – ganz pragmatisch – ein Ausbildungsort.

Denn die größten Schwierigkeiten der Transformation sind vorüber, die Löhne gestiegen – zumindest im Privatsektor Ost- und Südosteuropas. Der Forschungsbereich hinkt freilich noch hinterher. „Durch die Annäherung an die EU gab es Bedarf an westlichem Know-how“, sagt Breinbauer, „Leute, die sehr gut Englisch können und den EU-Sprech beherrschen.“ Neue Kenntnisse waren also gefragt, die die alte Verwaltungselite nicht erfüllen konnte. Und – das weiß Breinbauer aus vielen Gesprächen mit Rückkehrern – bei den jungen Aufsteigern zählt auch die Heimatverbundenheit: „Viele möchten ihrem Land etwas zurückgeben.“ Ein weiterer Pull-Faktor: In der Heimat wartet für die junge Elite oft ein besonderer Job – Schlüsselfunktionen in Wirtschaft und Politik.

Finanzminister mit 39

Wie für den Weltbankökonomen, der kurz nach seinem 39. Geburtstag seinen Spitzenjob im bulgarischen Finanzministerium antrat: Simeon Djankow, ein international sozialisierter Quereinsteiger, der sich eine mühsame Beamtenlaufbahn ersparte – und von Washington den Sprung in den Chefsessel des bulgarischen Finanzministeriums schaffte. „Wirtschaftsexperten gibt es viele. Aber Minister zu werden ist eine besondere Chance“, erklärt Djankow – auch wenn er früher um einiges mehr verdient habe.

Für ein paar seiner Vorgänger war der Job im öffentlichen Dienst erst der Beginn der richtigen Karriere – in der Privatwirtschaft. „Die Rückkehrer werden schnell mal Minister. Sie wissen mehr, das ist ihr Vorteil“, meint auch Radi Jordanow. Und nicht nur das: „Sie kennen die hiesige Mentalität und die Risken.“

Breinbauer weiß allerdings auch von Schwierigkeiten der im Westen ausgebildeten Eliten zu berichten: „Es ist noch längst nicht das ganze System von den Rückkehrern geprägt.“ Wenn auch in den Topjobs und auf Abteilungsleiterebene viele Junge unterkommen, „auf den unteren Ebenen gibt es noch sehr viele aus der alten Schule“. Oft hätte die Diaspora aus dem Westen mit „institutionellen Barrieren“ zu kämpfen. „Die Kluft ist groß, das sind zwei Kulturen.“

Der Rumäne Silviu Matei hatte mit einer anderen Kluft zu kämpfen: Das alte Europa und seine Karrierewege waren dem Politologen zu langsam. „In Rumänien ist es anders: Alles geht schnell.“

Frankreich „zu langweilig“

Vier Jahre hat Matei in Paris studiert; in Frankreich hätte er eine wissenschaftliche Karriere einschlagen können. „Ich hätte einen Job für den Rest meines Lebens haben können“, erzählt er, „doch dort wurde mir ein bisschen langweilig.“ In einem schicken Bukarester Büroglasturm winkte eine Führungsposition: Leiter der Forschungsabteilung des Meinungsforschungsinstituts „TNS CSOP“.

„Im Westen bekommst du so eine Spitzenposition mit 50“, sagt Matei. Und so lange wollte der 33-Jährige wirklich nicht warten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2010)

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