Die mobilen Amerikaner sitzen fest

(c) EPA (Larry W. Smith)
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Die hohe Mobilität der Arbeitnehmer war bisher eine der Stärken der US-Wirtschaft. Durch ihre Hypotheken, kombiniert mit gefallenen Häuserpreisen, sind nun aber viele US-Bürger an ihren Wohnort gebunden.

Washington (Bloomberg/gau). Raul Lopez seufzt tief: „Wenn das Haus nicht wäre, würde ich dorthin ziehen, wo es Arbeitsplätze gibt – nach Oakland, Hayward oder San Leandro.“ Doch der 36-jährige Vater von vier Töchtern, der verzweifelt nach einer neuen Arbeit sucht, muss bleiben, wo er ist, in der strukturschwachen Gegend um die Stadt Antioch. Denn dort steht sein Haus, auf dem eine Hypothek von 392.000 Dollar lastet. Wollte er es heute verkaufen, würde er nur ein Drittel dieses Betrags erzielen.

Die hohe Mobilität der Arbeitnehmer war bisher eine der Stärken des amerikanischen Arbeitsmarktes und ein Motor für das Wirtschaftswachstum. Sie hat dem Land in der Vergangenheit geholfen, tiefe Rezessionen erstaunlich schnell hinter sich zu lassen. Aber die Bereitschaft und die Möglichkeit, für einen neuen Job umzuziehen, sind in der letzten Zeit stark gesunken.

Schuld daran ist die Immobilienkrise. Viele Jobsuchende haben Probleme, ihr Haus zu verkaufen, was über ein Jahr dauern kann. Andere bleiben am Wohnort, weil ihre Hypotheken mittlerweile den Wert ihres Hauses übersteigen. Fast elf Millionen Häuser oder ein knappes Viertel aller mit Hypothek belasteten Objekte sind weniger wert als das Darlehen.

Zehnmal mobiler als Österreicher

In den zwölf Monaten bis März 2009 sind nur geschätzte 12,5 Prozent der Amerikaner umgezogen. Noch niedriger war diese Zahl nur in den zwölf Monaten davor, als sie mit 11,9 Prozent den tiefsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen vor 60 Jahren erreichte.

Damit sind die Amerikaner aber immer noch mehr als zehnmal mobiler als die Österreicher. Die aktuellsten heimischen Zahlen stammen aus einer EU-Studie von 2006. Damals verlegten gerade einmal 0,9 Prozent der Österreicher ihren Wohnort. Der grobe Faktor eins zu zehn gilt auch für „grenzüberschreitende“ Umzüge: Während selbst in der Krise noch 1,6 Prozent der Amerikaner in einem Jahr in einen anderen Bundesstaat ziehen, siedeln sich nur zwischen 0,1 und 0,2 Prozent der Österreicher in einem anderen EU-Staat an.

Wie sehr diese „geografische Mobilität“ den volkswirtschaftlichen Erfolg beeinflusst, zeigen die Schätzungen von Ökonomen der Investmentbank JP Morgan Chase. Sie erwarten, dass die geringere Mobilität in den USA bis 2010 auch die Arbeitslosenrate langfristig um einen Prozentpunkt erhöhen wird. Und nicht nur das: Auch 0,3 Prozent an Wirtschaftswachstum dürfte sie kosten. Angesichts solcher Zahlen warnt Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz: „Wir sind dabei, eine unserer großen Stärken zu verlieren.“

Weiter zehn Prozent arbeitslos

Die Misere am Wohnungsmarkt verstärkt freilich nur einen Rückgang der Mobilität, der bereits 1951 eingesetzt hat. Damals zogen jedes Jahr noch 21 Prozent der Amerikaner um. Viele Familien sind heute von zwei Einkommen abhängig, was einen Umzug erschwert. Auch die Alterung der US-Bevölkerung verringert die Mobilität. Die größte Gruppe ist die der 45- bis 55-Jährigen, das am schnellsten wachsende Segment das der 55- bis 65-Jährigen. Beide Gruppen haben meist Familie und starke soziale Netzwerke, die einen Umzug erschweren.

Bereits jetzt ist die Arbeitslosenquote um 1,5 Prozentpunkte höher, als es das Ausmaß der Rezession erwarten ließe. Im Oktober hatte die Arbeitslosenquote ein 26-Jahres-Hoch von 10,2 Prozent erreicht. Auch die am Freitag veröffentlichten Dezember-Zahlen lassen keine Entwarnung zu: Weitere 85.000 Jobs gingen im letzten Monat verloren, die Arbeitslosenrate stagniert bei 10,0 Prozent.

Vor allem Pharma- und Biotech-Firmen sind in den vergangenen zwei Jahren potenzielle Mitarbeiter entgangen, weil diese durch Immobilien gebunden sind. „Das ist ein beständiger Faktor“, sagt Deborah Coogan Seltzer von der Personalagentur Pearson. „Bei mindestens 70 Prozent der Personalsuchen der letzten 18 Monate haben sich ein oder zwei Kandidaten zurückgezogen, nachdem sie ihre Immobiliensituation geprüft haben.“ Viele Unternehmen erlauben neu eingestellten Mitarbeitern nun, an ihrem alten Wohnort zu bleiben. Sie nutzen dann eine Kombination aus Tele-Arbeitsplatz und Reisetätigkeit.

Auf einen Blick

Die hohe Mobilität der Arbeitnehmer war bisher eine der Stärken der US-Wirtschaft. Durch ihre Hypotheken, kombiniert mit gefallenen Häuserpreisen, sind nun aber viele US-Bürger an ihren Wohnort gebunden. Das verzögert die Erholung auf dem Arbeitsmarkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2010)

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