Die Hanse nahm Kurs auf Amerika

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Neue Funde zeigen: Der Händlerbund, eine Art Vorläufer der EU, war auch Initiator des Welthandels. Mit dem bauchigen Boot hatten Kaufleute der Hanse Handel getrieben, Anfang des 14. Jahrhunderts.

Die Forscher staunten nicht schlecht. Die Ladung der Kogge, die sie als Wrack aus der Ostsee geborgen hatten, gab ihnen Rätsel auf: Rentiergeweihe, die Gräten von tausenden Kabeljauen ohne Kopf, Unmengen von Stöcken.

Doch einiges stand bald außer Zweifel: Mit dem bauchigen Boot hatten Kaufleute der Hanse Handel getrieben, Anfang des 14. Jahrhunderts. Die Rentiergeweihe stammen aus Norwegen, wo der deutsche Kaufmanns- und Städtebund ein Kontor in Bergen besaß. Und beim kopflosen Meeresgetier samt Stöcken muss es sich um getrockneten Stockfisch gehandelt haben – eine begehrte Speise für die 140 Fastentage in Lübeck und Hamburg, den Hochburgen des mächtigen Handelsverbands.

Doch die Menge machte die Historiker stutzig: Der Kabeljau kann nur aus einem sehr fischreichen Gebiet stammen. Die Ostsee und skandinavische Küsten kamen da nicht infrage. Sehr wohl aber die Gewässer rund um die Shetlandinseln und Island, die damals zu Norwegen gehörten. Aber dorthin dürften die norddeutschen „Pfeffersäcke“ gar nicht gelangt sein.

Denn nach herrschender Lehre waren ihre schwerfälligen Frachtschiffe nicht hochseetauglich, und zudem hatte der norwegische König ihnen den direkten Handel mit diesen Territorien vertraglich streng verboten. Doch die Kogge von der Halbinsel Darß lieferte den Beweis: ein scheinbar unspektakuläres Fass voll Schwefel. Den gab es in dieser Form nur an einem Ort: in Island. Zumindest bis dorthin ist die Hanse also vorgestoßen. Und schon mehren sich die Indizien, dass es noch weiter ging, bis Grönland, ja Neufundland – und damit nach Amerika.

Skrupellose Vertragsbrecher. Auf jeden Fall aber haben die Handelsherren das norwegische Monopol frech und im Wortsinn „umschifft“. Das zeigt zweierlei: Die Hanse war in ihrer hohen Zeit, dem 14. Jahrhundert, eine Weltmacht, die sich sogar über königliche Verbote hinwegsetzen konnte. Und der „ehrsame Kopman“ agierte nach außen hin so skrupellos, wie er es sich unter seinesgleichen nie hätte leisten können. Denn die Legitimität dieses Bundes beruhte rein auf dem Vertrauen, das emanzipierte Bürger und später Städte einander entgegenbrachten.

In einer Epoche der feudalen Gewalt und Unterjochung schufen sie ein unzeitgemäßes Gegenmodell: ohne Hierarchie, ohne Oberhaupt, ohne Armee. Beschlüsse wurden auf den Hansetagen, bei denen sich Vertreter von über 200 Städten trafen, einstimmig gefällt. Um diese Einstimmigkeit zu erreichen, musste schon Monate davor in den einzelnen Städten diskutiert, verhandelt, an Formulierungen gefeilt werden – ein Prinzip, das eindeutig an die Europäische Union erinnert. Und wie die EU war auch die Hanse eine „Soft Power“, die umringt von permanenten Kriegen und blutigen Machtkämpfen meist nur mit Diplomatie und Verhandlungsgeschick zu Werke ging.

Was die Hanse ihren Mitgliedern bieten konnte, war hohe Rechtssicherheit. Das detailreiche „Lübische Recht“ hat noch das internationale Handels- und Seerecht unserer Tage inspiriert. Der bargeldlose Zahlungsverkehr und die doppelte Buchführung waren zwar italienische Erfindungen, setzten sich aber erst durch die Hanse in ganz Europa durch. Dabei war ihre Autorität ohne Basis. Denn die Hanse war ein sonderbarer Verein: Es fehlten ihm Satzung, Mitgliederlisten, ja sogar ein konstituierendes Dokument. Als sich die Bremer 1418 zur Klärung eines Streits an die Kölner wandten, bei denen sie die Gründungsurkunde vermuteten, bekamen sie die abschlägig-höfliche Antwort: Man habe danach vergeblich gesucht, werde weitersuchen und, falls fündig, gewiss eine Abschrift schicken.

Träge Monopolisten. So still und heimlich, wie sich die Hanse an die Spitze der ökonomischen Mächte des Mittelalters gekämpft hatte, verschwand sie wieder aus der Geschichte. Durch ihr Monopol träge geworden, verschliefen die präsumtiven Amerika-Pioniere den Aufstieg des Überseehandels. 1669 trat der letzte Hansetag mit nur neun Delegierten zusammen und ging bald wieder auseinander – ohne einen einzigen Beschluss, und sei es nur den, sich aufzulösen. Und so darf der Klub der nüchternen Kaufleute bis heute weiterleben: als Namensschmuck der großen Hansestädte, als Lufthansa und als Fußballklub Hansa Rostock.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2010)

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