EU nimmt Athen an die kurze Leine

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Die Europäische Kommission will erstmals ein Land unter wirtschaftspolitische Kuratel stellen. Griechenland soll nicht nur sein Budget sanieren, sondern auch Arbeitsmarkt und Sozialsysteme reformieren.

BRÜSSEL. In der schwersten Wirtschaftskrise seit der Einführung des Euro vor elf Jahren greift die Europäische Kommission erstmals zu einem Druckmittel, das die Wirtschaftspolitiken der 27 EU-Staaten besser aufeinander abstimmen soll, aber gleichzeitig der Zündfunke für neue Streite zwischen den Regierungen sorgen wird.

Die Kommission schlägt den EU-Finanzministern vor, bei deren nächstem Treffen am 15. und 16.Februar in Brüssel das Stabilitätsprogramm der griechischen Regierung zu befürworten, Athen aber gleichzeitig umfassende Zugeständnisse und tiefgreifende Reformen des Arbeitsmarkts, des Pensionssystems und des Gesundheitswesens abzutrotzen. Griechenland muss dann entsprechend diesem Vorschlag der Kommission alle paar Monate Rechenschaft darüber ablegen, ob es seine selbst auferlegten Spar- und Reformziele einhält. Tut es das nicht, droht die Kommission mit weiteren Maßnahmen, die bis zur Einbehaltung von EU-Förderungen gehen können. De facto schlägt die Kommission den Finanzministern vor, Griechenland bei der Verfolgung seiner Budget- und Wirtschaftspolitik unter Kuratel zu stellen.

„Erreichbar, aber schwierig“

„Wir teilen die Ziele der griechischen Regierung. Sie sind ehrgeizig und erreichbar“, sagte Joaquín Almunia, der scheidende Kommissar für Wirtschaft und Währung, bei der Vorstellung seiner Empfehlungen am Mittwoch. „Wir wissen aber auch, dass die Umsetzung schwierig ist. Darum schlagen wir ein detailliertes und dauerhaftes Aufsichtssystem vor.“

Die sozialistische Regierung in Athen hatte nach ihrem Wahlsieg am 4.Oktober vergangenen Jahres völlig zerrüttete Staatsfinanzen von ihrer konservativen Vorgängerin übernommen, die zudem jahrelang falsche wirtschaftliche Kennziffern geliefert hatte. Als sich nach der Wahl herausstellte, dass sich Athen im Jahr 2009 mit 12,7Prozent der Wirtschaftsleistung neu verschulden muss statt mit 3,7Prozent, wie das die abgewählte Regierung gemeldet hatte, begannen in Brüssel, aber auch an den Finanzmärkten die Alarmglocken zu schrillen. Die „griechische Tragödie“ erreichte Ende November ihren Tiefpunkt, als es Athen nicht mehr gelang, genügend Käufer für eine Staatsanleihe zu finden. Zu weit hatte sich auf den Finanzmärkten schon die Angst vor einem Zahlungsausfall Griechenlands verbreitet.

Die Regierung unter Ministerpräsident George Papandreou schlägt vor, das jährliche Defizit 8,7Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken, im nächsten Jahr auf 5,6Prozent und im Jahr 2012 auf 2,8Prozent. 2013 will sich die Regierung in Athen nur mehr mit zwei Prozent neu verschulden.

In den letzten Tagen waren aber in Brüssel Gerüchte kursiert, dass dies in den Augen der Kommission nicht reichen würde. Am Dienstag richtete Ministerpräsident Papandreou in Fernsehen mit den Worten „Wir müssen das Land davor bewahren, über die Klippe zu stürzen“ einen dramatischen Appell an seine Bürger, die schmerzhaften Reformen mitzutragen.

Zeitgleich sieht sein Stabilitätsprogramm einen kompletten Stopp für Gehaltserhöhungen im gesamten öffentlichen Sektor vor, eine unbestimmte Erhöhung des Pensionsalters sowie eine Treibstoffsteuer, die eine Mrd. Euro einbringen soll. „Das sind jene Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Reformprogramm zu beginnen“, zeigte sich Almunia befriedigt.

Sinkende Wettbewerbsfähigkeit

Die Kommission verlangt aber von Griechenland in erstmaliger Anwendung einer neuen Bestimmung, die der EU-Reformvertrag von Lissabon eingeführt hat, Strukturreformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. „In Ländern wie Griechenland, Portugal und Spanien sehen wir einen permanenten Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, zum Beispiel bei den Lohnstückkosten“, sagte Almunia. Damit ist er voll auf der Linie von Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der seit Wochen nicht müde wird, die engere wirtschaftspolitische Koordinierung der 27 Staaten zu bewerben. Griechenland ist der erste Fall, und es ist zu erwarten, dass die Finanzminister den Vorschlägen der Kommission zustimmen.

(c) Die Presse / HR

Ob die Staaten generell einem solchen „Gouvernement économique“ zustimmen, ist fraglich. Vor allem Berlin und London lehnen das seit jeher ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2010)

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