US-Finanzminister Paulson: Wie er die Welt rettete

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Paulson(c) EPA (SHAWN THEW)
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Der ehemalige US-Finanzminister Henry Paulson schlägt in seinen Memoiren wild um sich. Er gibt den Briten die Schuld am Bankrott von Lehman Brothers, erzählt und lobt George W. Bush in höchsten Tönen.

Allein stand ich in meinem Büro und schaute aus dem Fenster. [...] Ich fühlte eine große Erleichterung, als ich in Richtung Washington Monument blickte. Denn ich war gekommen, um etwas zu bewegen. Und in jenem Moment dachte ich, dass wir unser Land – und die ganze Welt – vor der finanziellen Katastrophe gerettet hatten.“

Übertriebene Bescheidenheit kann man Henry Paulson nicht vorwerfen. Schon im ersten Kapitel seines diese Woche in den USA erschienenen Buches „On the Brink“ – „Am Abgrund“ – macht der ehemalige Finanzminister klar, dass er während seiner Amtszeit von Juli 2006 bis Jänner 2009 keine Fehler beging. Was folgt, ist eine Chronologie der vielen dramatischen Stunden seines Schaffens. Von der Rettung der Investmentbank Bear Stearns über den Kollaps von Lehman Brothers bis zur Absegnung des 700 Mrd. Dollar schweren Rettungspakets beschreibt der Exminister seine Sicht der Dinge.

Dabei bekommen einige Akteure ganz schön ihr Fett ab, nicht zuletzt der britische Finanzminister Alistair Darling. So sei am Samstagabend des 13.September 2008 die Rettung von Lehman Brothers praktisch fix gewesen. Die englische Bank Barclays hatte zugestimmt, das marode Investmenthaus zu übernehmen. Sämtliche großen US-Banken hätten 37 Mrd. Dollar in einen Topf einzahlen sollen, um Barclays vor überraschenden Verlusten durch „faule“ Lehman-Hypotheken zu schützen.


Alle Chefs an einem Tisch. „Es war ein außergewöhnlicher Moment: Diese Leute [...] kämpften jahrelang gegeneinander [...] und nun saßen sie alle hier an einem Tisch, um einen Rivalen – und ihre eigene Haut – zu retten“, erzählt Paulson von dem Wochenende, das der Lehman-Insolvenz vorausging.

Doch dann mischten sich die englischen Behörden ein – und der Kampf der Bankenchefs um Lehman ging verloren. Alistair Darling und seine Mannen untersagten den Deal. Sie fürchteten, dass Lehman den Bankriesen Barclays mit in den Abgrund reißen werde. „Darling hilft uns nicht. Es ist vorbei“, sagte Paulson, nachdem ihm der Brite die schlechte Nachricht per Telefon mitgeteilt hatte. „Es war Sonntag kurz nach 13 Uhr, als [...] ich mit den Chefs der Banken sprechen musste: ,Die Briten haben uns abgezockt‘, schrie ich laut, mehr frustriert als verärgert.“

Das Buch liest sich kurzweilig und gibt interessante Einblicke in die bittersten Stunden der US-Wirtschaft. Doch zuweilen klingt es wie eine bloße Rechtfertigung Paulsons für umstrittene Entscheidungen. Mehrmals betont der ehemalige Chef der Investmentbank Goldman Sachs, dass er und Ben Bernanke, Chef der Zentralbank Fed, gar keine andere Möglichkeit gehabt hätten, als Lehman Brothers in die Insolvenz zu schicken. „Es gab keine Wahl. Wir waren nicht legitimiert, Lehman zu helfen“, schreibt Paulson. „Dafür hätte es einen Käufer geben müssen.“

Auf die Tatsache, dass Präsident Bush etwaigen Interessenten von Beginn an klargemacht hatte, dass kein Steuergeld für die Rettung Lehmans angerührt werde, geht Paulson nur indirekt ein. Demokratische Ökonomen kritisierten diesen Punkt bereits im Vorfeld der Buchveröffentlichung. „Ich glaube an den freien Markt“, schreibt Paulson. Deshalb habe man nur dort eingegriffen, wo es „absolut nötig“ gewesen sei. Staatshilfen für Firmen wie den Versicherer AIG „beruhten auf einer Notwendigkeit, entsprachen aber keinesfalls unserer Ideologie.“

Die Mutter bricht in Tränen aus. In seinem Buch beschreibt der Exminister nicht nur Berufliches. Er gibt auch private Details preis. So konnte sich die Familie nie mit seiner politischen Einstellung – Paulson ist Republikaner – anfreunden. Ehefrau Wendy ging mit Hillary Clinton in die Klasse und seine Mutter „hasste George W. Bush und den Krieg im Irak“. Als der Sohn erzählte, das Amt des Finanzministers angeboten bekommen zu haben, brach die Mutter in Tränen aus. „Das ist ein sinkendes Schiff“, sagte sie.

Paulson nahm den Job trotzdem an, allerdings erst nach zähem Ringen mit sich selbst. „Ich bin einfach kein Politiker“, schreibt er. Doch als ihn der damalige Präsident George W. Bush bat, Finanzminister zu werden, konnte er nicht ablehnen. „Du sagst nicht einfach Nein, wenn dich der Präsident persönlich fragt.“

Ein weltoffener George W. Bush. Den Ex-Präsidenten lobt Paulson in den höchsten Tönen. Bush habe parteipolitische Interessen stets hintangestellt. „Manche Leute behaupten, dass George W. Bush nie neugierig ist und keine abweichenden Meinungen akzeptiert. Nichts könnte weiter von meinen Erfahrungen entfernt sein.“

Die Zusammenarbeit habe ausgezeichnet funktioniert, nur einmal verärgerte Paulson Bush ganz gehörig. „Es war bei einem Staatsbankett. [...] Wendy und ich sprachen mit Arnold Schwarzenegger über die Umwelt. Als es Zeit war, sich hinzusetzen, nahmen wir neben dem kalifornischen Gouverneur Platz.“ Als Folge blieben die Stühle unmittelbar neben dem Präsidenten leer. „Paulson, willst du etwa ein Gouverneur werden“, fragte Bush nach dem Dinner verärgert. „Ich bin einfach kein Diplomat“, entgegnete Paulson.

Als einen der schlimmsten Tage beschreibt der Exminister den 8. September 2008. Die Regierung hatte soeben die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac verstaatlicht. „Wir zogen die größte Rettungsaktion der Finanzgeschichte durch. Ich fühlte mich erleichtert. [...] Und dann begann Lehman Brothers zu kollabieren...“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2010)

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