Göran Persson: "Selbst der König musste sparen"

Göran Persson
Göran Persson(c) Michaela Bruckberger
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Schwedens roter Ex-Ministerpräsident Göran Persson erklärt, warum es ein schwerer Fehler wäre, Ländern wie Griechenland jetzt aus der Patsche zu helfen. Und warum hohe Staatsschulden die Demokratie gefährden.

Als der schwedische Regionalpolitiker Göran Persson 1994 das Amt des Finanzministers übernahm, stand das einst gefeierte Wohlfahrtsmodell Europas am Rande des Abgrunds. Die Staatsschulden waren erdrückend, der Bankensektor stand vor dem Bankrott, in der nicht mehr wettbewerbsfähigen Industrie ging jeder zehnte Job verloren, im Haushalt klaffte ein Loch von knapp zwölf Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Mit einem harten Sparkurs, tiefen Einschnitten in das Sozialsystem und höheren Steuern wurde der Haushalt im Rekordtempo saniert.

Fünf Jahre nach seinem Amtsantritt präsentierte Persson schwarze Zahlen. Die Haushaltsüberschüsse der folgenden Jahre wurden vor allem zum Abbau der Schulden verwendet – heute liegt die Verschuldung Schwedens bei 42 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nie wieder sollte Schweden in die Schuldenfalle tappen, so die Losung von Persson, der zwischen 1996 und 2006 Ministerpräsident war. Am Donnerstag war der sozialdemokratische Reformer auf Einladung des Instituts für Höhere Studien (IHS) und der Wirtschaftskammer Österreich in Wien. Die „Presse“ traf Göran Persson anschließend zu einem Gespräch.

Herr Persson, in der EU stehen derzeit einige Staaten vor ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten. Auch Schweden stand zu Beginn der 90er Jahre mit dem Rücken zur Wand...

Göran Persson: Die Situation erinnert mich auch sehr stark an jene, mit der wir Anfang der 90er Jahre zu kämpfen hatten: Das Budgetdefizit war sehr hoch, die Wettbewerbsfähigkeit verschlechterte sich dramatisch und die Kosten für das Pensionssystem waren kaum noch zu finanzieren.

In Europa wächst die Überzeugung, dass die Union Griechenland helfen müsste. Wenn es sein muss, auch mit frischem Geld.

Das wäre der absolut falsche Weg. Wir sollten nicht vergessen, dass sich das Land ein teures Pensionssystem leistet und große Schwächen hat, Steuern einzutreiben. Würden die Griechen allein in diesen beiden Punkten europäische Standards erreichen, hätten sie einen Großteil ihrer Probleme gelöst. Tun sie das nicht, stellt sich die Frage, warum andere dafür bezahlen sollten.

Wie wäre den Griechen dann zu helfen?

Wir können ihnen helfen, Lösungen für ihre Probleme zu finden. Aber Subventionen oder eine direkte finanzielle Hilfestellung sollten nicht in Frage kommen. Griechenland ist kein armes Land, es hat nur schlecht gewirtschaftet. Also muss sich das Land vor allem einmal selbst helfen. So wie sich auch Schweden in den 90er Jahren selbst geholfen hat.

Nun meinen Politiker und Ökonomen, dass man nicht zuwarten kann, bis die Griechen ihre Probleme selbst lösen. Vorher könnten nämlich europäische Banken als Griechenlands Geldgeber Schwierigkeiten bekommen und einen Domino-Effekt auslösen.

Die Situation ist tatsächlich nicht unproblematisch. Allerdings könnte es auch zu einem anderen Domino-Effekt kommen: Wenn wir (die anderen EU-Staaten, Anm.) jetzt die Probleme Griechenlands lösen, steht morgen Italien vor der Tür, übermorgen Portugal und Spanien. Und dann heißt es ganz sicher: „Game over“.

Könnte sich das griechische Dilemma zu einem Problem für den Euro auswachsen?

Die Euro-Gruppe sollte die Gefahr keinesfalls unterschätzen. Das Problem ist aber nicht primär die Lage Griechenlands – sondern der verletzte Stabilitätspakt. Das ist der Eckpfeiler der gesamten Währungsunion. Die Fiskalpolitik wird zwar in den Nationalstaaten entschieden, aber sie muss sich an gemeinsamen Standards orientieren.

Der Stabilitätspakt ist aber nicht mehr viel wert, seit ihn selbst Länder wie Deutschland mehrfach gebrochen haben.

Das stimmt. Solange aber die Märkte Haushaltsdefizite als vorübergehendes Phänomen verstehen, ist die Sache nicht so schlimm. Werden die Defizite aber zur Dauereinrichtung, reagieren auch die Märkte mit höheren Aufschlägen (Zinsen für Staatsschulden, Anm.). Zudem werden die Zinsen von ihren aktuellen Tiefständen auch wieder auf ein normales Niveau zurückkehren. Man muss kein Genie sein, um sich auszurechnen, was dann in stark verschuldeten Ländern passieren wird. Dann rutschen viele Haushalte automatisch in die roten Zahlen. Allein das wäre schon Grund genug, die Budgets dringend zu sanieren. Aber niemand spricht darüber.

Sie schon. Von Ihnen stammt ja auch das Zitat: „Wer Schulden hat, ist nicht frei“. Damit haben Sie sich bei den Sozialdemokratien nicht nur Freunde gemacht.

Als Schweden mit dem Rücken zur Wand stand, musste ich (als Finanzminister, Anm.) erstmals mit unseren Geldgebern reden und mich für die Lage in Schweden rechtfertigen. Das war ziemlich unangenehm. Mir gegenüber saßen Leute von Lehmann Brothers, Goldman Sachs, J.P. Morgan. Ich realisierte, dass sie es waren, die über das schwedische System bestimmten. So etwas ist erniedrigend und eine ernste Gefahr für die Demokratie. Wir hatten die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, längst an andere abgetreten. An junge Menschen, die auf der anderen Seite des Atlantiks saßen und noch nie in Schweden waren. Da war mir klar, dass wir etwas tun mussten.

Was Sie getan haben, war einigermaßen radikal, vor allem für einen Sozialdemokraten: Sie kürzten die Staatsausgaben.

In einem ersten Schritt kürzten wir die Staatsausgaben um elf Prozent – quer über alle Ressorts. Damit war auch den Beschäftigten im öffentlichen Sektor schlagartig klar, dass wir eine Krise haben. Auch der König musste sparen und mit weniger Geld auskommen. In einem zweiten Schritt reduzierten wir öffentliche Investitionen in einzelnen Bereichen. Danach wurden die Sozialtransfers gekürzt. Der vierte Teil bestand aus vorübergehenden Steuererhöhungen. Nicht für die Unternehmen, sondern für die Arbeitnehmer. Als die Sanierung geschafft war, bekamen alle, die höhere Steuern hatten zahlen müssen, diese wieder zurück. Krone für Krone.

Wie haben Sie die Einschnitte bei den Ausgaben der Bevölkerung verkauft?

Wenn es über 50 Jahre hinweg konstant bergauf geht, bieten sich genug Möglichkeiten, die Ausgaben ohne große Schmerzen zu reduzieren. Die Menschen auf der Straße spürten davon nicht sehr viel. Sie hatten andere Sorgen. Als die Zinssätze für kurzfristige Ausleihungen zwischen den Banken auf 500 Prozent stiegen, war aber allen der Ernst der Lage klar. Die Leute fragten sich: Leben wir denn in einer Bananenrepublik? Zu diesem Zeitpunkt präsentierte ich unser Reformprogramm. Und das war dann auch der Durchbruch.

Österreich machte selbst zur Zeit der letzten Hochkonjunktur neue Schulden ...

Das ist absolut inakzeptabel. Wir Schweden haben früher den wirtschaftlichen Abschwung auch immer mit neuen Schulden bekämpft und den nächsten Aufschwung zu neuen Ausgaben genutzt. So türmten sich die Schulden immer weiter auf. Wer so arbeitet, landet früher oder später zwangsläufig in einer schweren Krise.

Sind Reformen in westlichen Wohlfahrtsstaaten erst möglich, wenn die Länder am Rande des Bankrotts stehen?

Es erleichtert die Arbeit. Deshalb ist es auch völlig unverständlich und fern jeder Realität, wenn die Griechen und Portugiesen jetzt auf die Straße gehen, um gegen Reformen zu demonstrieren, die dazu gedacht sind, das Fundament des Wohlstands und die Unabhängigkeit des Landes zu erhalten.

Liegt das an der Ignoranz der Menschen oder an der falschen Kommunikation der Regierenden – oder an beidem?

Es liegt vor allem daran, dass die Menschen in Griechenland und Portugal durch den Euro geschützt sind. Wir Schweden hatten damals mit einem Währungs- und Zinskollaps zu kämpfen. Menschen zahlten für ganz normale Immobilienkredite 17 Prozent Zinsen. Wenn die Griechen heute zu ihrer Bank gehen, bekommen sie Euro und zahlen Zinsen, die nicht sehr viel höher sind als für deutsche Bürger. Wenn sich allerdings der Staat Griechenland Geld leiht, zahlt er weit höhere Risikoaufschläge als Deutschland.

Sind Sie deshalb ein so glühender Verfechter des Beitritts Schwedens zum Euro?

Ja. Wir sind eine kleine, offene Volkswirtschaft, die enorm von Exporten abhängt. Und deshalb ist es für uns sehr ungünstig, einem permanenten Währungsrisiko ausgesetzt zu sein.

Die schwedische Wirtschaft sorgte zuletzt mit den Automarken Volvo und Saab für Schlagzeilen. Saab steht vor dem Aus, Volvo wurde von Chinesen gekauft.

Beide Marken werden noch immer in Schweden produziert. Wer heute glaubt, die Eigentümerschaft ist entscheidend für die Herkunft eines Produkts, lebt nicht in einer internationalisierten Wirtschaft. Der ganze Weltmarkt ist für uns Schweden offen. Da wäre es eigenartig zu glauben, dass die Menschen, die in diesem Weltmarkt leben, in Schweden als Eigentümer von Firmen nicht willkommen wären. Wir haben in der jüngeren Vergangenheit viele Unternehmen im Ausland übernommen – da ist es doch völlig normal, dass dies umgekehrt auch passiert.

1949 wird Göran Persson als Arbeitersohn in Vingaker geboren. Im Alter von 15 tritt der junge Schwede den Sozialdemokraten bei. Das Studium der Staatswissenschaften bricht Persson ab.

1979 wird er ins schwedische Parlament gewählt.

1989 wird Persson Bildungs- und Kulturminister im Kabinett von Ingvar Carlsson.Das Abenteuer dauert nur zwei Jahre, 1991 verlieren die Sozialdemokraten die Wahl.

1994 kehrt er in die Regierung zurück. Im Kabinett Carlsson II wird Persson Finanzminister.

1996 tritt Carlsson zurück, Persson wird Premierminister des Landes. 2002 wird er wiedergewählt.

2006 verliert Persson mit dem schlechtesten Abschneiden der Sozialdemokraten (35,1 Prozent) die Wahlen. Neuer Premier ist der Bürgerliche Fredrik Reinfeldt. Persson gibt 2007 auch den Parteivorsitz ab und zieht sich aus der Politik zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2010)

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