Spenden: Die stillen Wohltäter in Europa

(c) EPA (Jon Hrusa)
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In den USA leben die öffentlichsten Philantropen der Welt. Die spendabelsten aber gibt es in Europa– nur reden sie nicht darüber. Europäische Millionäre spenden jährlich zwischen 83 Milliarden und 180 Milliarden Euro.

Mit 22 Milliarden Dollar kann man einiges anfangen. Man könnte beispielsweise eine Fluglinie gründen mit 120 Boeing 747. Oder man könnte Österreichs angeschlagenes Bundesheer mit 3000 Leopard-zwei-Panzern und 100 Eurofightern aufrüsten. Es bliebe sogar noch etwas für neue Uniformen. Man könnte sich wahrscheinlich auch mehrere Südseeinseln kaufen, ein Haus in ziemlich jeder attraktiveren Stadt der Welt und nicht nur einen Ferrari, sondern die ganze Firma. Oder man kann das Geld auch einfach nur herschenken.

Genau das macht Bill Gates. Der Welt zweitreichster Mensch arbeitet hart daran, am Tag seines Todes nicht mehr zu hinterlassen als 30 Millionen Dollar (zehn Millionen Dollar für jedes seiner drei Kinder). Und wenn man ein Privatvermögen von 53 Milliarden Dollar hat, dann wird das Verschenken tatsächlich zur harten Arbeit.

Bei so viel Großzügigkeit stellt sich vor allem eine Frage: Hat der Mann noch alle Tassen im Schrank? Wer käme im sozialistischen Europa auf die Idee, sein hart erarbeitetes Geld, das er jahrelang gut vor den neidischen Nachbarn versteckt hat, zu verschenken?

Die Antwort wird überraschen: mehr Menschen als in den USA. Geben US-Millionäre jährlich 41 Milliarden Dollar für wohltätige Zwecke aus, spendieren die europäischen Millionäre zwischen 83 Milliarden und 180 Milliarden Euro. So genau weiß man es nicht, weil die Europäer mit dem Spenden so sind wie mit dem Geldverdienen: Es ist einem peinlich.

„Peinlich ist nicht ganz das richtige Wort. Man spricht einfach nicht darüber, man behält seine Wohltätigkeit für sich“, sagt Gerhard Bittner, Leiter des Instituts für Spendenwesen in Wien. Es gebe auch in Österreich viele großzügige Spender, aber die würden das nicht in der Öffentlichkeit präsentieren. Man tut Gutes und schweigt darüber.


Eine Million für einen Sozialpreis. Wie etwa die Familie Essl, die vor allem für ihre Kunststiftungen (Essl Museum) bekannt ist. Doch seit zwei Jahren vergeben Martin und Gerda Essl jährlich einen Sozialpreis in der Höhe von einer Million Euro. Auch die Erste Bank gilt mit ihrer Stiftung als einer der großen Wohltäter in Österreich: Knapp acht Millionen Euro gab sie vergangenes Jahr für soziale und kulturelle Projekte. Und von Bau-Tycoon Hans Peter Haselsteiner (Strabag) wissen Insider, dass er sich sozial stark in Osteuropa engagiert.

Insgesamt, schätzt Reinhard Millner vom Institut für Nonprofit-Forschung (NPO) an der Wirtschaftsuniversität Wien, spenden Österreichs Millionäre über ihre Stiftungen jährlich 20 bis 40 Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke. Im internationalen Vergleich ist das eine verschwindend kleine Summe. Aber das mag auch damit zu tun haben, dass Stiftungen in Österreich nie den Anspruch hatten, gemeinnützig zu sein. Vielmehr geht es um eine steuerschonende Veranlagung von Vermögen.

„Mit dem Privatstiftungsgesetz ging es der Regierung darum, Geld im Land zu halten oder neues Geld nach Österreich zu bringen“, erklärt Millner. Das hat gewirkt: Deutsche Millionäre kamen in Scharen nach Österreich, aktuell zählt man 3300 Privatstiftungen. Gemeinnützig tätig sind davon gerade einmal 210. Weitere 465 Stiftungen sind von Bund und Ländern gemeinnützig eingerichtet. „Das Stiftungsverständnis“, sagt der Forscher, „ist bei uns ist ein ganz anderes als in Europa.“

Schon bei unserem nördlichen Nachbarn erfüllen Stiftungen ihren Wortsinn. Die Robert Bosch Stiftung etwa, mit 5,2 Milliarden Euro ausgestattet, gilt als größter Förderer von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen in Deutschland. Oder die Volkswagen-Stiftung, die pro Jahr mehr als 100 Millionen Euro spendet. Das „Centrum für soziale Investitionen“ (CSI) an der Universität Heidelberg hat in einer Studie untersucht, dass es in der EU zwischen 90.000 und 110.000 Stiftungen gibt (in den USA sind es 71.000). In ihnen liegen – wieder hält man es lieber geheim – zwischen 350 Milliarden Euro und 1000 Milliarden Euro (USA: 470 Mrd. Dollar). Jährlich schütten die Europäer bis zu 180 Mrd. Euro für wohltätige Zwecke aus – und stellen die USA damit weit in den Schatten: Dort sind es vergleichsweise bescheidene 41 Milliarden Dollar pro Jahr.


Öffentliche Spender. Doch in den USA leben die öffentlichsten aller Spender. Wer schon jemals eine amerikanische Universität besucht hat, weiß, dass fast jeder Hörsaal nach irgendjemandem benannt ist. Ist die Spende groß genug, dann erhalten auch ganze Universitäten, Museen und Kultureinrichtungen den Namen des Wohltäters: Die Smithsonian-Museen in Washington etwa, die Carnegie-Hall in New York, die Duke-Universität in North Carolina – sie alle gehen auf das Engagement philanthropischer Stahlmagnaten, Ölbarone und Tabakpflanzer zurück.

„In den angloamerikanischen Ländern hat die Wohltätigkeit eine ganz andere Tradition als bei uns“, sagt Bittner. „Das Wort Philanthropie gibt es auf Deutsch ja gar nicht.“ Bei uns gelte jemand als Sonderling, wenn er von sich sage, ein Philanthrop zu sein – ein Freund des Menschen, so die griechische Bedeutung des Wortes.


Giving back. In den Vereinigten Staaten dagegen wird von Reichen geradezu erwartet, dass sie ihren Mitmenschen etwas geben – „to give back“, wie es in den USA heißt. „Das Land hängt von diesen Spendern ab“, sagt Michael Meyer, Professor am NPO. Ohne diese Zuwendungen müssten viele Universitäten, Museen oder Konzerthäuser zusperren. Das „Zurückgeben“ habe in den USA eine völlig andere Tradition, weil die Rolle des Staates viel kleiner ist und durch Steuern auch weniger umverteilt werde als etwa in Europa. „Viele Unternehmen in Europa glauben, mit der Steuerpflicht ihre Schuldigkeit getan zu haben.“

Die Steuer schafft freilich auch in den USA Anreize für Wohltätigkeit, weil Spenden zur Gänze absetzbar sind. Nächstenliebe muss also nicht nur altruistische Motive haben. Teils kann man hinter der Wohltätigkeit sogar eine PR-Strategie vermuten, wie etwa bei der Investmentfirma Goldman Sachs, die wegen Bonizahlungen in Milliardenhöhe ins Gerede kam. Vergangenes Jahr speiste die Firma einen Fonds mit 500 Millionen Dollar, der 10.000 kleinen Unternehmen durch die Finanzkrise helfen soll. Oder auch beim ersten großen Philanthropen, dem Ölmagnaten John D. Rockefeller.


„Krimineller“ Rockefeller. „Er ist der größte Kriminelle aller Zeiten“, wetterte zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Gouverneur von Wisconsin, Robert La Follette, über den bis heute (inflationsbereinigt) reichsten Mann der Welt (200 bis 300 Milliarden Dollar Vermögen). Die Boulevardpresse war voll von Geschichten über die Praktiken von Standard Oil und bezichtigte den Konzern krimineller Machenschaften inklusive Mord, um die Konkurrenz auszuschalten und seine Monopolstellung in der Ölindustrie auszubauen. Hängengeblieben ist von alldem nichts. Den Namen Rockefeller verbindet man heute in erster Linie mit Wohltätigkeit.

Auch Bill Gates hätte nicht unbedingt eine Wahl zum beliebtesten Unternehmer der Welt gewonnen. Als Microsoft-Chef war er eine der liebsten Hassfiguren, jetzt gilt er als „der größte Philanthrop der Welt“ („Time“-Magazin). Seine „Bill & Melinda Gates Foundation“ ist mit knapp 33 Milliarden Dollar dotiert und gab bisher schon mehr Geld für wohltätige Zwecke aus als die Rockefeller Foundation seit ihrer Gründung im Jahr 1913 (inflationsbereinigt).

818 Mitarbeiter sind Vollzeit damit beschäftigt, förderungswürdige Anliegen zu finden. In Zukunft wird man wohl noch einige mehr brauchen: Warren Buffett, der legendäre Investor und drittreichste Mensch der Welt, hat seinem guten Freund Bill versprochen, der Stiftung 30 Milliarden Dollar zu geben. Das sind etwa 63 Prozent seines Vermögens. Verarmen wird Buffett deshalb trotzdem nicht. Es bleiben ihm immer noch 17 Milliarden Dollar.

71.000

Stiftungen gibt es in den USA. In Europa sind es zwischen 90.000 und 110.000 Stiftungen.

470

Milliarden Dollar
liegen in den USA in Stiftungen. Die europäischen Stiftungen sind mit 350 bis 1000 Milliarden Euro dotiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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