Analyse: Sündenfälle und Konstruktionsfehler der Währungsunion

Das Griechenland-Problem ist auch eine Folge mangelnder Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten in der Eurozone.

Drei Prozent sind drei Prozent“, schmetterte der deutsche Finanzminister Theo Waigel 1996 kurz vor dem Start der Währungsunion und schloss aus, dass Euro-Teilnehmerstaaten je diese strenge Defizitgrenze überschreiten würden. Der CSU-Politiker wollte damals vor allem seinen Landsleuten die Angst vor einem unstabilen Euro nehmen, für den sie ja die harte D-Mark eintauschen sollten. Doch schon zum Start der gemeinsamen Währung hielt das Versprechen nicht: Griechenland erreichte in den für den Euro-Eintritt relevanten Jahren 1997 bis 1999 ein Defizit von 3,8 bis 6,44 Prozent des BIP. „Eigentlich hätte das Land nicht der Währungsunion beitreten dürfen“, hieß es Jahre später aus der EU-Kommission.

Das war nur der Beginn einer ganzen Reihe von Sündenfällen: Im Jahr 2005 schlitterten Frankreich und Deutschland in Budgetprobleme. Statt dass die EU-Kommission die im Eurostabilitätspakt vorgesehenen Maßnahmen einleitete, holten sich die zwei größten Eurostaaten mithilfe der meisten anderen Finanzminister einen Freibrief. Als die EU-Kommission etwa zur selben Zeit bei der Entwicklung des neuen EU-Vertrags mehr Kontrollrechte bei der nationalen Budgetpolitik einforderte, wurde auch das unter anderem von Deutschland abgeschmettert.

Die Mitgliedstaaten haben von Beginn der Währungsunion an verhindert, dass ihre Hoheitsrechte in der Budgetpolitik beschnitten werden. Sie gaben der EU-Kommission zwar Möglichkeiten zur Kontrolle ihrer Zahlen, nicht aber die Macht, in ein ausuferndes Budget einzugreifen. Noch dazu sollte sich zeigen, dass selbst bei den Budgetzahlen getrickst wurde. Nicht nur Griechenland übermittelte Brüssel falsche Daten, auch andere Länder, darunter Österreich, schönten ihr Defizit – ohne Sanktionen heraufzubeschwören.

Der Hauptkonstruktionsfehler des Euro liegt in der unkontrollierten Macht der Finanzminister: Die Verantwortlichen in nationalen Haushaltsfragen wurden durch den EU-Vertrag zu ihren eigenen Richtern. Sie können jede von der EU-Kommission vorgeschlagene Sanktionierung verhindern.

0,5 Prozent des BIP als Strafe

Der zweite Konstruktionsfehler liegt bei den vorgesehenen Sanktionen. Zwar können theoretisch Geldstrafen von bis zu 0,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung gegen ein Land mit ausufernder Verschuldung verhängt werden. Gerade in Zeiten von Budgetproblemen wären solche Strafen aber völlig kontraproduktiv. Sie würden die Rückkehr zu einem gesunden Haushalt zusätzlich erschweren. Ein Ausschluss aus dem Euroraum als letzte aller Sanktionsmöglichkeiten sieht der Vertrag hingegen nicht vor.

(c) Reinhart/Rogoff "Dieses Mal ist alles anders"

Der dritte Konstruktionsfehler ist das schlotternde politische Korsett des Euro: Zwar wurde eine neue, gewichtige Währung geschaffen, den Teilnehmerländern aber sonst freie Hand gelassen. Es gibt zwar eine gemeinsame Zinspolitik, nicht aber eine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Das kann, wie das Beispiel Spanien zeigt, fatal sein. Dort wurde gegen jegliche volkswirtschaftliche Vernunft billiges Geld in einen einzelnen Wirtschaftszweig – die Bauindustrie – gesteckt, bis die Blase platzte. Zinsen und Produktivität hielten sich sonst auf der Iberischen Halbinsel überhaupt nicht die Waage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.