Ökonom: "Der Euro ist noch immer überbewertet"

Hans-Werner Sinn
Hans-Werner Sinn(c) AP (Matthias Schrader)
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Der deutsche Wirtschaftsforscher Sinn übt scharfe Kritik am Euro-Rettungspaket. Statt desolate Staaten zu retten, sollte man sie in die Insolvenz gehen lassen.

WIEN/BERLIN (ag./red.). So sehr sich die europäischen Politiker für das Eurorettungspaket gegenseitig auf die Schultern klopfen, so skeptisch wird es von führenden Ökonomen gesehen. Jetzt aber kommt Kritik in ungewohnter Schärfe an dem 750-Milliarden-Eurorettungsring aus Deutschland: Das Paket sei „eine der gravierendsten Fehlentscheidungen in der Geschichte“, meint der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), Hans-Werner Sinn.

Der Eurorettungsschirm sei ein „unkalkulierbares Abenteuer“, sagte Sinn am Donnerstag in Berlin. Das Gesetz, über das der Deutsche Bundestag heute, Freitag, abstimmt und das Haftungen und Kredite in Höhe von 148 Milliarden Euro vorsieht, werde Deutschlands Wirtschaftswachstum schwächen. Das Land sei über den Tisch gezogen worden, „während der deutsche Verhandlungspartner (Finanzminister Wolfgang Schäuble, Anm.) im Krankenhaus lag“, erklärte der Ökonom.

Insolvenz für Staaten

Der ifo-Präsident zweifelt generell die Sinnhaftigkeit des Rettungspakets an. „Gefährdet war nicht der Euro, sondern die Fähigkeit der europäischen Schuldensünder, sich weiterhin so günstig zu finanzieren wie Deutschland.“ Jetzt würden diese Staaten „eine Vollkaskoversicherung ohne Selbstbehalt“ bekommen.

Das Paket helfe vor allem auch den Banken, die in Griechenland investiert hätten – also den Spekulanten. Diese hätten auf die Rettung gedrängt, weil der Marktwert der Wertpapierforderungen gegenüber den Schuldenländern weiter zu fallen drohte.

Als Alternative zur Rettung schlug der ifo-Präsident eine Insolvenz von Staaten vor. Man müsse eine solche Möglichkeit schaffen.

Auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble meinte, man werde in der EU-Taskforce zur Bewältigung der Krise eine Insolvenzregelung im Fall der Zahlungsunfähigkeit angeschlagener Länder der Euro-Zone diskutieren. Wie Schäuble Donnerstagnachmittag bei einer Pressekonferenz in Berlin erklärte, werde bei der vom ständigen EU-Ratspräsidenten Hermann Van Rompuy geleiteten Taskforce aller 27 EU-Finanzminister auch über allfällige Vertragsänderungen beraten.

Konkret gehe es um die Frage, wie man ein „geordnetes Restrukturierungsverfahren“ durchführt. Es handle sich um eine „dringende Frage“, so Schäuble. Es gebe bisher keine befriedigenden Modelle. Deswegen sei dies auch von Van Rompuy auf die Tagesordnung gesetzt worden. „Wir haben alle keine Erfahrung mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit eines Landes, das Mitglied einer Währungsunion ist“, betonte der deutsche Finanzminister.

Einen zeitweiligen Ausschluss eines Euro-Landes lehnt Schäuble ab: „Wie man zeitweilig aus einer Währungsunion ausscheiden kann, übersteigt auch meine Fantasie. Da ist mir eine ordentliche Restrukturierung lieber.“

Automatische Strafverfahren

Sinn schlug eine europäische Staatsanwaltschaft vor, die säumige Schuldnerstaaten vor Gericht bringen können soll. Im „Handelsblatt“ ging er so weit, sich für den Ausschluss eines Eurostaates aus der Gemeinschaft auszusprechen, wenn der nach Jahren der Hilfe immer noch nicht seine Finanzen in Ordnung gebracht habe.

An eine Systemkrise des Euro glaubt Hans-Werner Sinn trotzdem nicht. Im Gegenteil: Gemessen an der Kaufkraft sei der Euro „noch immer überbewertet“. Der „faire Kurs“ läge nach Meinung des ifo bei etwa 1,14 Dollar, deutlich unter dem aktuellen von etwa 1,24 Dollar. Zu Spitzenzeiten hatte der Euro 2008 einen Wert von fast 1,60 Dollar, der Tiefstand lag im Jahr 2000 bei ungefähr 0,83 Dollar.

Deutschland wird gebremst

Für Deutschland zeichnet der Wirtschaftsforscher ein düsteres Bild. In der Vergangenheit seien Ersparnisse jahrelang nach Südeuropa geflossen. Im Inland sei dagegen kaum investiert worden und Deutschland daher auf einen der letzten Plätze beim Wirtschaftswachstum abgerutscht. Mit der Schuldenkrise hätte man diese Entwicklung umdrehen können. Das habe man aber mit dem Rettungspaket verhindert.

("Die Presse" Printausgabe vom 21. Mai 2010)

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