Das Geld, die Gier und der Segen einer Illusion

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Solang man ihm voll vertraute, machte sich niemand Gedanken über das globale Tauschmittel. Wenn aber Banken und Staaten wackeln, grübeln auch Philosophen über Geld: Was macht es aus, und was macht es aus uns?

Der alte Pirat mit dem Holzbein hat schon viel mitgemacht. Da lassen sich – im „Streit um Asterix“ – seine Kumpane auch noch vom schmierigen Römer Destructivus bestechen. „Wozu treibst du nicht die Herzen der Menschen, verfluchter Hunger nach Gold!“, klagt der gebildete Gauner auf Lateinisch, wie schon Vergil. Aber dieses „auri sacra fames“ könnte auch das Gegenteil bedeuten: einen „heiligen“ Hunger. Wie steht es nun wirklich damit? Ist Geld ein Segen oder ein Fluch, eine Ersatzreligion – oder nichts weiter als ein praktisches Mittel zum Tausch?

Solch fundamentalen Grübeleien gaben sich bis vor Kurzem nur Philosophen und Pfarrer hin. Heute, wo Ökonomen Schiffbruch erleiden, wo Investmentbanker entzaubert werden und Staatenlenker das Flair von Bankrotteuren umgibt, gerät auch das Vertrauen in die Geldwirtschaft ins Wanken. Wenn das scheinbar Selbstverständliche plötzlich fragwürdig wird, schlägt die Stunde der Philosophen.

Auch der populäre Vordenker Konrad Paul Liessmann fragt sich, wie aus „wertlosen Papierschnipseln“ das „universelle Medium für Tauschvorgänge“ wurde. Und verweist auf Urvater Aristoteles. Der Naturaltausch, heißt es schon in der „Nikomachischen Ethik“, hat eben große Nachteile. Trifft ein hungriger Arzt auf einen gesunden Bauern, kommen sie kaum ins Geschäft. Also prägten die Lyder in Kleinasien im siebenten vorchristlichen Jahrhundert die ersten Münzen.

Vertrauen verpflichtet. Ihr Wert entsprach noch dem des verarbeiteten Edelmetalls. Aber Aristoteles erkannte, dass es darauf nicht ankommt. Denn Geld ist nur das Resultat einer Übereinkunft, was wie viel gelten soll. Es ist also selbst kein Wert, sondern repräsentiert alle Werte als ihr einheitlicher, universeller Maßstab. Damit nahm der antike Philosoph viel vorweg. Zentralbanken emittieren heute Geld, indem sie eine Buchungszeile hinzufügen. Sie geloben nur noch, die Geldmenge bloß proportional zum Wachstum der Wirtschaft zu erhöhen, um Inflation zu vermeiden. Ein vages Versprechen, ist doch die Geldmenge, die auf den Finanzmärkten zirkuliert, kaum noch zu messen. Geld ist also eine nützliche Illusion, die funktioniert, so lange ihr alle vertrauen. „Wie Gott im Glauben verankert ist, ruht das Geld im Vertrauen der Marktakteure“, schreibt der Soziologe Christoph Deutschmann.

Wehe, wenn es verloren geht. Millionenfach verkaufte Finanzprodukte, die niemand mehr versteht, untergraben das Vertrauen. Was niemand glaubwürdig garantieren kann, verliert seine Geltung. So flüchten heute viele in „wahre Werte“. Doch es gibt kein „natürliches Geld“, betont Liesmann.

Auch der Wert von Gold ist eine Konvention. Weil es nicht rostet, wurde es zum Symbol des Ewigen. Viel spricht dafür, dass auch Geld eine solch magische Rolle spielt – vor allem als Kapital. Werte aufzubewahren, ist für Liessmann sein „faszinierendster Aspekt“.

Es ist eine „Option auf Optionen“, auf Möglichkeiten in der Zukunft. So sah es schon 1900 der Kulturphilosoph Georg Simmel in seiner „Philosophie des Geldes“: Dass ich mir irgendwann irgendetwas kaufen kann – darin liegt das berauschende Versprechen des „Mittels schlechthin“. Die Beflügelung der Fantasie dauert an, solange ich das Geld eben nicht ausgebe. Deshalb sparen wir, akkumulieren Kapital – auch ohne den Kontext der „protestantischen Ethik“, den Max Weber entdeckt hat. So wird Geld zur geronnenen Zeit, zum Medium, das alle möglichen Zukünfte repräsentiert. Wer spart, verzichtet jetzt, um es künftig zu bekommen. Wer einen Kredit aufnimmt, hat schon jetzt und verzichtet dafür später. Oder aber er eröffnet sich Zukunftsperspektiven, indem er Investitionen tätigt, die später reiche Früchte tragen. Und die Zeit, die bis dahin verrinnt, erhält selbst einen Preis: den Zins.

Hier aber, sagen uns die Alten, geraten wir auf gefährliches Terrain. Schon für Aristoteles waren Zinsgeschäfte wider die Natur. Das Christentum verbot sie, im „Islamic Banking“ holt uns das Mittelalter wieder ein. Der Mensch, lehrt die Religion, kann über alles verfügen, außer über die Zeit, die Gott allein disponiert. Auch in unserer säkularen Welt wirkt diese Scheu nach.

Der Ökonom John Maynard Keynes nannte die Liebe zum Geld als Besitz eine „ekelerregende Krankheit“, eine „halbkriminelle Eigenschaft“, die man künftig „den Spezialisten für Geisteskrankheit“ übergeben wird. Und die heutige Angst vor der Weltherrschaft der Banker ist allein aus ihren Fehlern und Vergehen nicht mehr zu erklären.

Der Versuch, Regionalwährungen zu etablieren, zielt darauf ab, dem Geld die zeitliche und räumliche Dimension zu nehmen. Der „Chiemgauer“ etwa verliert seinen Wert, wenn er nicht alsbald am Chiemsee gegen Waren eingetauscht wird. Und auf Onlinetauschbörsen wird schon fast alles getauscht, sogar „Jalousie gegen Klavierstunde“ ist Liessmann unterkommen. Willkommen zurück im Neandertal.

Geld macht frei. Wie aber rechtfertigt sich der Hass aufs Geld, der die schöne alte Welt verklärt? Sicher: Seinen Reiz erfährt nur der, der es hat – und damit mehr machen kann, als nur sein Überleben sichern. Jahrhundertlang war Geld ein Gesellschaftsspiel von Adel, Bankiers und wenigen reichen Händlern. Erst vor 200 Jahren, durch Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit und Arbeitsteilung, wurde die Arbeitskraft zur geldwerten Ware. Das bescherte uns eine unsympathische, moralisch bedenkliche Facette des Geldes: dass ein Preis über den Wert eines Menschen zu entscheiden scheint, und dass ein Krankenpfleger weit weniger wert ist als ein Börsenspekulant.

Doch darüber wird oft vergessen, welch befreiende, entlastende Wirkung von der Monetarisierung des Lebens ausging. Die Chance, es „zu etwas bringen“, machte die Menschen ungeahnt kreativ und produktiv. Die Masseneinkommen stiegen – nach einer Phase skrupelloser Ausbeutung – stetig an. Erzwungene Bindungen brachen auf. Menschen können ihren Arbeitsplatz wechseln und nach Belieben wählen, was, wo und von wem sie kaufen. Geld versetzt seine Nutzer, wie der Medienforscher Norbert Bolz nachzeichnet, in eine „wohltuende Neutralität“, die das soziale Leben erleichtert.

Gier ohne Grenze. In der Tat: Wo Geld fließt, fließt kein Blut. Wo diese Macht ohne Eigenschaften regiert, ist fanatische Ideologie auf dem Rückzug. Welthandel und Weltkonzerne haben, ihrem schlechten Ruf zum Trotz, den Weltfrieden mehr gefördert als die UNO. Auf China gemünzt, geht die Hoffnung weiter: Marktwirtschaft verschafft die Erfahrung eines offenen Systems, und es weckt – vielleicht – die Sehnsucht nach der offenen Gesellschaft.

Und die Gier nach Geld, das dämonische Laster? Tatsächlich hat sie, so Liessmann, eine eigene Qualität. Jede Gier nach Gütern stößt an Grenzen: die Zeit, sie zu nutzen, den Überdruss, den Ekel vor dem „Zuviel“. Geld allein kennt kein „Zuviel“, eben weil es Optionen für eine offene Zukunft eröffnet.

So verschafft es die Illusion der Grenzenlosigkeit. Damit ist der Superreiche meist schon am Ziel. Er strebt nicht nach der Weltherrschaft, sondern vermacht sein Geld seinen Kindern oder einer Stiftung. Offenbar eine eher harmlose Variante, „den Unsterblichkeitsraum zu träumen, ohne ihn zu realisieren“. Für die Masse des Mittelstands aber führt die Erfahrung bescheidenen Wohlstands zur gar nicht so banalen Erkenntnis, dass Geld allein nicht glücklich macht. Weil wir es, so die Botschaft von Bolz, nur in der Wirtschaft einsetzen können, „ist es weder total noch absolut“. Schon das Vertrauen, das es grundiert, hat selbst keinen Preis. Und wir können uns Huren und Gigolos kaufen, aber keine Liebe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2010)

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