Kirchhof: "Zinsfreie Darlehen vom Finanzmarkt für den Staat"

Kirchhof Zinsfreie Darlehen Finanzmarkt
Kirchhof Zinsfreie Darlehen Finanzmarkt(c) Michaela Bruckberger
  • Drucken

Der Steuerrechtler Paul Kirchhof fordert im "Presse"-Interview Hilfe von der Privatwirtschaft für den Staat. Eine zweite Krise mit staatlichen Hilfen könne sich der Staat nicht leisten.

„Die Presse“: Europa hat die heiße Phase einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise hinter sich. War das Krisenmanagement erfolgreich?

Paul Kirchhof: In der konkreten Krise war das Management erfolgreich. Aber sie lehrt uns, dass wir grundsätzlich neu denken müssen. Wir erwarten vom Staat gutes Geld. Das ist der Kernfehler. Der Staat kann nur das Geld ausgeben, das er vorher durch Steuern eingenommen hat. Das heißt, er muss die Wirtschaft, die er stützen und begünstigen will, vorher mit Steuern belasten. Es sei denn, er weicht in die Staatsverschuldung aus. Wir müssen aber zugunsten der kommenden Generation, die das finanzieren muss, darüber nachdenken, ob das richtig ist.


Wer soll denn nun für die Krise bezahlen?

Kirchhof: Sicherlich nicht die kommende Generation. Die staatliche Hilfe muss auf Gegenseitigkeit basieren. Wenn der Staat heute dem Finanzmarkt oder der Automobilindustrie hilft und sie saniert, dann müssen sie ihm morgen helfen, weil der Staat dann zum Hauptsanierungsfall wird. Wir können uns eine solche Krise mit diesen staatlichen Hilfen nicht nochmals leisten.


Wie kann man sich diese gegenseitige Hilfe vorstellen?

Kirchhof: Sie kann darin bestehen, dass der Finanzmarkt, wenn er saniert ist, den Staaten zinsfreie Darlehen gibt, oder dass die Automobilindustrie für die Polizei die Autos kostenlos bereitstellt. Da kann man über vieles nachdenken. Der Gedanke der Gegenseitigkeit muss gewährleistet sein.

Glauben Sie, dass die Wirtschaft dazu bereit wäre?

Kirchhof: Sie wird dazu bereit sein, wenn man ihr sonst nicht mehr hilft. Der Helfer bestimmt die Bedingungen. Wir müssen wieder alle Akteure in die Verantwortung nehmen. Der Unternehmer verantwortet mit seinem Vermögen, was er tut. Das ist im Finanzmarkt anders geworden. Der Anleger gibt sein Geld einem Fonds, der Fondsmanager schickt es um den Erdball und platziert es irgendwo. Ob man damit Waffen oder Weizen produziert, ist unerheblich. Die Rendite entscheidet. Der Kapitalgeber hat eine Kapitalchance, aber er verantwortet nicht das, was mit seiner Kapitalmacht geschieht.


Stichwort Griechenland: Wie ist künftig zu verhindern, dass Staaten zahlungsunfähig werden?

Kirchhof: Auf dem Markt gibt es das Prinzip der schöpferischen Zerstörung: Wer es nicht kann, scheidet aus, der Bessere übernimmt die Kunden. Das ist ein Prinzip für Unternehmen, das beim Staat nicht gilt. Der Staat hat eine rechtliche Garantie auf seine Existenz. Aber wir können zum Beispiel sagen: Wenn die Staaten sich verschulden und diese Schulden nicht mehr bezahlen können, dann bekommen die Gläubiger nur noch eine bestimmte Quote. Der Finanzmarkt wird dadurch vorsichtiger, den Staaten Kredite zu geben. Das leichte Geld ist für den verschuldungsbereiten Staat dann nicht mehr verfügbar.


Ist der politische Wille vorhanden, das rechtlich umzusetzen?

Kirchhof: Die Staaten sind nach der Krise zu hoch verschuldet, um in einer kommenden Krise nochmals einzuspringen. Wir müssen uns also auf ein Krisenmanagement einstellen, das völlig anders verläuft. Das muss jetzt vorbereitet werden, weil in der Krise immer eine gewisse Aufgeregtheit, Nervosität und Verlegenheit herrscht. Wir müssen gewährleisten, dass wir jetzt die Konzepte entwickeln und erproben, damit diese Leichtfertigkeiten sich so nicht mehr ereignen.


Warum hat der Stabilitätspakt nicht funktioniert?

Kirchhof: Dass die Finanzminister ihn nicht brechen, kontrolliert der Ecofin, der Rat der Finanzminister. Täter und Wächter sind also ident. Das kann nicht funktionieren.

Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank wurde ja gerade im Zusammenhang mit der Griechenland-Rettung infrage gestellt. Zu Recht?

Kirchhof: Das war ein Sündenfall. Wir brauchen bei der EZB Unabhängigkeit. Jeder Staat möchte für seine Bürger mehr Geld ausgeben, also ist jeder Staat bereit, sich noch mehr zu verschulden. Das gefährdet das Wirtschafts- und Geldsystem. Damit werden gerade die Schwächsten gefährdet – vor allem die Sparer, die das Ersparte anlegen, damit sie im Alter etwas haben. Wir brauchen eine unabhängige EZB, die nur eine Aufgabe hat: über die Stabilität des Geldwertes zu wachen. Wenn das garantiert ist, ist alles in Ordnung.

Zur Person

Paul Kirchhof ist Verfassungs- und Steuerrechtler, er unterrichtet an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg. Von 1987 bis 1999 war er Richter am deutschen Bundesverfassungs-gericht. 2005 gehörte er zum „Kompetenzteam“ von Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Er war damals auch als möglicher Finanzminister in Diskussion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.