"Das Preisniveau von Energie wird steigen müssen"

Karl Rose (Chefstratege Shell)
Karl Rose (Chefstratege Shell)(c) (Teresa Z�tl)
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Der Energieexperte Karl Rose, lange Zeit für den Ölkonzern Shell tätig, fordert ein stärkeres Augenmerk auf die Energieeffizienz und eine Änderung unseres Lebensstils.

Die Presse: Hat der Unfall an der Ölplattform „Deepwater Horizon etwas verändert?
Karl Rose: Ja, ich glaube schon. Man hat sehr emotionale Bilder gesehen und wird nun sehen müssen, welche Langzeitschäden wirklich entstanden sind. Man überschätzt sehr oft die Auswirkungen, ohne dies kleinreden zu wollen. Abgesehen davon hat sich die Einstellungen der Menschen geändert. Am direktesten wohl bei denen, die die Zustimmung zu Bohrprogrammen abgeben müssen. In Zukunft wird man viel genauer hinschauen. An der Energieversiorgung der USA wird sich kurzfristig aber nichts ändern. Der Golf von Mexiko macht ein Drittel der US-Produktion aus. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass in anderen Ländern keine Offshore Lizenzen mehr vergeben werden. Aber: Es ist eine moralische und psychologische Unterstützung für alle die sagen, wir müssen schnell weg von den fossilen Energien.

Müssen wir weg vom Erdöl?
In 40, 50 Jahren werden wir eine starke Verminderung der Abhängigkeit von Öl sehen. Vor allem beim Transport. Wir werden Öl aber immer als Grundstoff der chemischen Industrie brauchen. Die Förderung erneuerbarer Energieträger ist an sich der richtige Weg. Ich bin als Pragmatiker nur besorgt, dass man den Menschen falsche Zeitabläufe vermittelt. Man erweckt manchmal den Eindruck, dass wir bereits in fünf Jahren alle mit Elektroautos unterwegs sein werden. Das wird es so nicht geben.

Wie wird die Energieversorgung in fünf, zehn oder 30 Jahren?
In fünf Jahren wird es so sein wie jetzt. Die Trends werden sich fortsetzen. Wachstumsraten bei neuen erneuerbaren Energieträgern – Sonne, Wind, Gezeiten, Erdwärme – liegen bei bis zu 20 Prozent. Das kommt aber von einer sehr kleinen Basis. In zehn Jahren kann man vielleicht lokale Veränderungen beobachten. In 30 Jahren wird man hingegen eine neue Infrastruktur wachsen sehen.

Zu Beginn der Wirtschaftskrise haben viele Umweltgruppen argumentiert, dass das der richtig Zeitpunkt für den Umstieg sei.
An sich ist dieser Ansatz strategisch richtig. Es hat mich sehr positiv überrascht, dass die Politik am Anfang der Krise nicht auf die grüne Agenda vergessen hat, sondern diese als Chance gesehen hat. Umstellungen der Infrastruktur dauern drei bis vier Jahrzehnte – einzige Ausnahme war bis jetzt die Mobiltelefonie, die wesentlich schneller eingeführt wurde.

Erneuerbare Energien sind derzeit sexy. Hat diese emotionale Komponente einen Einfluss? Oder ist die Entwicklung rein durch die Fakten getrieben?
Es gibt zwei Möglichkeiten um in das Energiesystem einzugreifen: Über Maßnahmen des Angebots oder über eine Regelung der Nachfrage. Lösungen, die von der Politik gefördert werden, betreffen meistens ein neues Angebot. Also erneuerbare Energieträger. Das ist sehr sexy, das kann man gut verkaufen, es gibt niemanden, der dagegen sein kann. Das größte Potenzial liegt aber kurzfristig bei der Energieeffizienz, also bei Einsparungen im Verbrauch. Viel wirksamer wäre es daher, an der Nachfrage anzusetzen. Das traut sich die Politik aber nicht, denn da  muss man das Verhalten von Millionen Menschen ändern. Das Raucherschutzgesetz zeigt, wie schwer wir uns tun, den Leuten ein anderes Verhalten nahezulegen. Eines unserer höchsten Güter ist die individuelle Freiheit, das treibt unser Benehmen und unsere Konsumgewohnheiten.

Müssen wir alle also unser Leben ändern?
Absolut. Allein bei den Konsumenten sind laut Schätzungen 30 Prozent Energieeinsparung möglich. Heute laufen in jeder Wohnung Flatscreen-TV und Computer beinahe kontinuierlich. Und wir bauen Dachwohnungen aus, die dann alle eine Klimaanlage brauchen, weil es zu heiß wird. Hier ist Umdenken nötig – und das ist schwierig.

Wie kann man das Verhalten der Menschen verändern?
Am leichtesten über Komfort und Lebensqualität – in einem weiten Sinne. Das treibt Menschen wirklich an. Ich muss glaubhaft vermitteln, dass eine umweltfreundliche Energieerzeugung auch komfortabler ist, als wenn man Abgase und Feinstaub in die Luft bläst. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass dies zur Zeit nur im Westen ausschlaggebende Argumente sind. In Afrika z. B. ist der sichere Zugang zu günstiger Energie notwendig – und nicht der Komfort. Ohne Zugang zu Energie gibt es keine Weiterentwicklung und es gibt noch ungefähr 1,5 Milliarden Menschen die keinen oder kaum Zugang zu Energie besitzen.

Steigt durch erneuerbare Energien die Energiesicherheit?
Langfristig ja, kurzfristig nein. Das hängt von den Möglichkeiten zur Speicherung elektrischer Energie ab. Bei Öl und Gas haben wir zumindest 90 Tage strategische Reserven. Bei Strom haben wir zur Zeit nur Speicherkraftwerke als Reserve. Außerdem braucht man zur Erzeugung erneuerbarer Energien viele seltene Mineralien, wie z. B. Neodymium, welche nicht überall vorhanden sind. Hier entstehen neue Engpässe.

Viele sagen: Der Mensch hat vor dem Erdölzeitalter in Einklang mit der Natur gelebt. Ist eine Rückkehr zu einer Situation möglich? Oder ist das nur eine schöner Traum, eine Illusion?
Völlig im Einklang mit der Natur, wie sie es nennen, wird es meiner Meinung nach auch in Zukunft nicht gehen, dazu ist bereits zu viel passiert. Mit neun Milliarden Menschen wird es fast unmöglich sein, keinen Abdruck in der Natur zu hinterlassen. Unser Streben muss aber größtmögliche Nachhaltigkeit sein: Das heißt, dass nachfolgende Generationen die gleichen Wahlmöglichkeiten haben wie wir. Das müsste mit intelligenterer Anwendung von Technologie – so hoffe ich – erreichbar sein. Völlig im Einklang mit der Natur zu leben ist ein visionäres Ziel. Der Mensch braucht Visionen, er braucht kraftvolle Bilder, die ihn antreiben. Das war die Kraft von Al Gore. Der hat ja nichts neues erdacht, er hat aber sehr charismatisch Bilder gebracht, um Visionen zu erzeugen, die sehr viele Menschen berührt haben und sie angeregt haben, über ihr eigenes Benehmen nachzudenken.

Dass diese Bilder zum Teil krass falsch sind. . .
. . . stört mich in diesem Zusammenhang, als visionärer Anstoß, weniger. Wenn man allerdings zur Umsetzung schreitet und konkrete Maßnahmen setzt, muss Platz für Realität sein. Da muss man dann rational-objektiv sagen, wie man unsere Ressourcen bestmöglich einsetzen kann, um sich an visionäre Ziele anzunähern.

Wie wichtig ist der Energiepreis bei der Umstellung der Energiesysteme?

Das Preisniveau wird steigen müssen. Wenn wir einen Umstieg zu einer neuen Infrastruktur wollen, dann muss das finanziert werden. Das muss die Gesellschaft machen, und das wird über den Preis geregelt.

Durch Eingriffe der Politik?

Nein, Preiseingriffe durch die Politik sind ganz schlecht. Die Politik sollte nur Impulse geben und Rahmenbedingungen setzen, entweder durch direkte Subventionen oder steuerliche Maßnahmen. Es geht meiner Meinung nach viel besser, wenn man Anreize gibt: Man muss es attraktiv machen, in neue Technologien zu investieren. Subventionen sollten allerdings nicht ewig dauern, es muss Licht am Ende des Tunnels geben. Ansonsten kommt es zu einer schädlichen Verzerrung des Marktes. 

Die Geschichte der Energietechnologien ist eine Abfolge von Hypes.
Das sind Medienhypes.

Nicht nur: Zumindest die Politik handelt ebenfalls in Wellen.
Die Frage ist, wer da wen getrieben hat. Am Anfang der Wellenbewegungen war die Kernfusion, dann kam die Wasserstoffzelle, dann alles, was mit „bio  zu tun hatte. Und jetzt ist es die E-Mobilität. Hypes gehen immer von revolutionären Technologiesprüngen aus, während man in Wirklichkeit oft eine viel langsamere Entwicklung vorfindet. Hypes haben aber einen Vorteil: Sie kreieren Momentum. Die Gefahr ist nur, dass falsche Erwartungen geweckt werden, die man nicht erfüllen kann. Darum ist es wichtig, Hypes zu relativieren.

Welcher Technologie geben sie die größten Chancen?
Keiner einzelnen. Wir werden ein Mosaik an verschiedenen Lösungen für die Energieversorgung erleben. Die Franzosen werden sich immer stark auf Nuklearenergie stützen, während andere Länder ihre Kohle dekarbonisieren werden. In Ländern wie Österreich wird man die Wasserkraft weiter ausbauen – vielleicht in Kleinkraftwerken oder mit Kleinturbinen, und Wind und Sonne nutzen. In Südeuropa und Afrika werden wir verstärkt Solarkraftwerke sehen, vor allem in Form von „concentrated solar power“ (Solarkraftwerken, in denen das Licht mit Spiegeln gebündelt wird; Anm.) Natürlich kann man radikale technische Innovationen, etwa bei der Kernfusion, nie ausschließen aber auch nicht vorhersagen.

(Die Presse, Printausgabe, 05.10.2010)

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