Helmut Sohmen: „Wir Europäer sind zu selbstgefällig“

Helmut Sohmen
Helmut Sohmen(c) Thomas Seifert
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Helmut Sohmen, einer der reichsten Bürger Hongkongs, prognostiziert einen konjunkturellen Rückfall. Und welchen Platz Europa in der "neuen" von Asien geprägten Welt einnehmen wird: "Für Arroganz ist kein Platz".

Die Presse: Die Schifffahrt ist ja stets ein sehr guter Indikator für den Zustand des Welthandels und damit der Weltwirtschaft. Wie schätzen Sie als Reeder die konjunkturelle Lage ein?

Helmut Sohmen: Ich fürchte, dass wir eine Douple-Dip-Rezession erleben könnten. Dass es also noch einmal bergab geht, bevor die Wirtschaft sich endgültig von der Krise erholt. Die Arbeitslosigkeit in den USA bleibt hoch, zum ersten Mal seit einiger Zeit ist die Produktivität in den industriellen Unternehmen zurückgegangen. Die Wirtschaftskrise ist dadurch etwas gemildert, dass die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Anm.) ganz gute Wachstumsraten vorzeigen. Aber wir haben eine Menge Probleme.

Wo sehen Sie die großen Probleme?

Im Bankensystem und im Währungssystem. Denken Sie an die unterbewertete chinesische Währung Renminbi – oder an den Versuch einiger Länder, Kapitalströme zu ihren Gunsten umzulenken. Der Generaldirektor des IMF, Dominique Strauss-Kahn, hat zuletzt sogar davon gesprochen, dass Kapitalkontrollen eigentlich angebracht seien, man solle vorsichtig damit umgehen. Das klingt ein wenig wie bei der Asienkrise in den späten 90er-Jahren – und das ist beunruhigend.


Wie sieht es in der Schifffahrt aus?

In der Krise hat sich der Welthandel volumenmäßig etwas verringert, aber das eigentliche Problem ist, dass in den letzten Jahren zu viele Schiffe gebaut wurden – es gibt Überkapazitäten.

Beim G20-Gipfel in Seoul sollen die Ungleichgewichte der Weltwirtschaft diskutiert werden. China und Länder wie Deutschland oder Österreich sollen mehr konsumieren, andere ihren Produktionsstandort stärken. Etwa Großbritannien oder die USA.

Die meisten Staaten wollen sich durch Exporte aus dem Schlamassel ziehen. Aber wer ist schon wirklich in Konsumlaune, wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist, wie in vielen Ländern Europas oder den Vereinigten Staaten von Amerika? China kann auch noch keine Weltwirtschaftslokomotive sein: Die chinesische Führung will zwar die Inlandsnachfrage ankurbeln, aber so schnell ändern sich alte Gewohnheiten und Wirtschaftsstrukturen nicht.

Im Moment diskutiert China über den zukünftigen Kurs, über den nächsten Fünfjahresplan bis 2015. Welche Ergebnisse erwarten Sie?

Die Regierung weiß, dass ein Wohlfahrtssystem aufgebaut werden muss. Dass die Rechte der Menschen besser geschützt werden müssen. Dass die Leute das Recht haben müssen, die Zustände zu kritisieren. China wird nicht über Nacht zu einer Demokratie werden. Aber es wäre ein großer Fortschritt, wenn man nicht mehr länger Menschen verfolgt, nur weil sie sich über Übergriffe der Behörden beschweren. Oder wenn Nobelpreisträger Liu Xiaobo nicht deshalb im Gefängnis sitzen müsste, weil er beklagt, dass den Bürgern in der Verfassung garantierte Rechte nicht gewährt werden.

Zuletzt hat Chinas Premier Wen Jiabao die Hoffnungen auf mehr Freiheit in China genährt. „Der Wille der Menschen und ihre Wünsche sind nicht aufzuhalten.“ Was steckt dahinter?

Wen Jiabao hat sich nicht gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen: Er wird 2012 in Pension gehen. Jetzt wird spekuliert, ob er sich vielleicht ein Monument als Reformer setzen möchte. Einige Dinge sind in Bewegung: Als Arbeiter in den Fabriken gestreikt und höhere Mindestlöhne verlangt haben, hat die Regierung ihr Anliegen unterstützt und sie nicht niedergeknüppelt. Die politischen Eliten in Peking wollen die Arbeitnehmer besser qualifizieren, damit die Menschen bessere Chancen bekommen. Die Kommunistische Partei stützt ihren Machtanspruch auf die Tatsache, dass es hunderten Millionen von Chinesen heute besser geht und dass China heute eine Industrienation ist.

Ist Hongkong ein Vorbild für eine Richtung, in die politische Reformen gehen könnten?

Hongkong wird in Festland-China eher negativ gesehen. Wir sind hier eher wie die Verwandten, die immer herummäkeln.

Wie erleben Sie eigentlich Österreich und Europa, wenn Sie auf Besuch in Ihre alte Heimat kommen?

Hier in Asien haben die Menschen ein Ziel vor Augen: Wachstum, Industrialisierung, Urbanisierung, eine besser strukturierte Landwirtschaft, bessere Bildungsmöglichkeiten. In Europa haben die Menschen zu wenig Zielsetzung, es ist zu komfortabel, und der Kleinkram der manchmal peinlichen politischen Auseinandersetzung steht im Vordergrund. Nicht der Große Plan. Den bräuchten wir aber. Wenn man nämlich so wie ich der Meinung ist, dass die Globalisierung weitergehen wird und auch an die Vorteile dieser Entwicklung glaubt, dann muss man damit umgehen. Zu jammern und zu sagen, die Chinesen sollten uns nicht „unsere“ Ressourcen wegschnappen, bringt uns ja nicht weiter. Oder das Wehklagen, dass Jobs nach Asien abwandern. Mir scheint, die Europäer haben es noch nicht verstanden, sie haben nicht erkannt, dass gerade vor unseren Augen eine neue Welt im Entstehen begriffen ist.

Sie meinen, wir schlafen?

Wir sind zu selbstgefällig, würde ich sagen. Es gab leider in den letzten Jahrzehnten zu wenige Politiker, die die Courage hatten, den Leuten zu sagen, dass es nicht immer nur gut gehen kann. Viele haben es zu leicht genommen. Die Einschnitte in Großbritannien sind hart, die Skandinavier nehme ich von diesem Vorwurf aus, und Österreich hat die Krise bis jetzt trotz der Exponiertheit in Osteuropa auch nicht so schlecht gemeistert.

Welchen Platz hat Europa in dieser „neuen Welt“?

Es gibt immer noch Intellektuelle in Paris, Rom, Madrid und in den Universitätsstädten in ganz Europa. Es gibt Erfinder, es gibt Wissenschaftler, enormes kreatives Potenzial. Wir müssen es nur nützen. Die Europäer müssen sich aber darauf einstellen, dass die Kolonialgebiete des letzten Jahrhunderts langsam die alten Kolonialherren in den Schatten stellen. Für Arroganz, wie sie in manchen europäischen Ländern noch anzutreffen ist, ist wahrlich kein Platz.


Welche Zukunft sehen Sie für China?

Der Aufbau der Infrastruktur geht rasant weiter, das Bildungssystem wird reformiert, und man bringt Entwicklung nun immer mehr von den Küsten in die ärmeren Provinzen wie Gansu oder Ningxia oder Qinghai. China will energieeffizienter werden, sie haben nicht diese Teufelsangst vor der Atomkraft. Geplant ist der Bau von über 60 neuen Reaktoren, 24 davon sind schon fast fertig. In der Verkehrspolitik werden aber riesige Fehler gemacht: In den Städten wurde auf das Automobil gesetzt, anstatt die Fahrrad-Tradition weiterzuentwickeln. Man hat ja immer geglaubt, dass China das Automobilzeitalter überspringen und ganz neue, innovative Verkehrssysteme entwickeln wird. Aber offenbar hat man da geirrt. Jeder will eben mit dem Auto fahren, auch die Chinesen.

Zur Person

Der 1939 geborene Österreicher Helmut Sohmen (verheiratet, drei Kinder) lebt seit 40 Jahren in Hongkong. Er hat die Tochter des Reeder-Tycoons Yue-Kong Pao geheiratet, arbeitete höchst erfolgreich im Unternehmen der Familie und steht heute der BW Group vor. Auf der Forbes-Liste der 40 reichsten Hongkonger Bürger fand er sich im Jahr 2009 auf Platz 13. Mit einem Vermögen von 1,3 Milliarden Dollar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2010)

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