„Irgendwann wird eine Quote die Männer beschützen“

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Die französische Unternehmensberaterin Avivah Wittenberg-Cox erklärt, dass mehr Frauen in einer Firma mehr Gewinne bedeuten, und warum Frauen nicht kämpfen sollen.

Die Presse: Das Problem bei Interviews mit einer Frauenrechtlerin ist, dass man sich schnell dem Vorwurf des Sexismus aussetzt. Kann man als Mann überhaupt ein kritisches Interview mit einer Frauenrechtlerin führen?

Avivah Wittenberg-Cox: Natürlich. Ich selbst bin sehr dagegen, dass man Geschlechterausgewogenheit als eine Frauensache darstellt. Man bespricht es besser als eine Geschäftsidee.


Also: Warum brauchen wir überhaupt Frauen in der Führungsebene?

Weil sie heute 60 Prozent der gut gebildeten Arbeitskräfte ausmachen und Firmen mit einer besseren Geschlechterausgewogenheit auch wirtschaftlich bessere Ergebnisse erzielen.


Und warum sind Frauen so erfolglos dabei, in die Führungsebene vorzudringen?

Die Frage muss lauten: Was ist mit den Firmen los, dass sie es noch nicht verstanden haben, die Mehrheit der gut gebildeten Arbeitskräfte anzuziehen und in die Führungsebene zu bringen? Sie erkennen die Talente nicht.


Vielleicht bemühen sich Frauen auch zu wenig. Sie haben selbst einmal gesagt, Frauen kämpfen nicht um Führungsjobs.

Sie kämpfen nicht um Macht, ja, weil sie diese Spiele im Gegensatz zu vielen Männern nicht mitmachen.


Wenn Frauen nicht für Führungsjobs kämpfen, dann dürfen sie sich aber auch nicht beklagen, wenn sie keine bekommen.

Glauben Sie wirklich, dass unsere Wirtschaft noch mehr Menschen braucht, die um Macht kämpfen? Die meisten Firmenchefs möchten lieber gute Mitarbeiter haben, die an die Firma und ihre Aufgabe glauben, als um ihre Karriere zu kämpfen. Wenn Firmen von sich aus ein gut ausbalanciertes Team schaffen zwischen Männer und Frauen, dann können sie auch besser weltweit agieren. Aber das bekommt man nicht, wenn man ständig nur die befördert, die um eine Beförderung, eine Karriere kämpfen.


Oder nur denen Gehaltserhöhungen gibt, die danach fragen. Seit Jahrzehnten bekommen Frauen bei gleichem Job und gleicher Qualifikation weniger bezahlt. Warum lassen sich Frauen diese Diskriminierung gefallen?

Frauen nehmen an, fälschlicherweise, dass Firmen Leistungsgesellschaften sind, und dass sie, wenn sie gute Arbeit leisten und gute Resultate erzielen, befördert werden und eine Gehaltserhöhung bekommen – ohne dass man danach fragen muss. Sie verstehen nicht, warum sie nach etwas fragen müssen, das ganz offensichtlich von ihrer Leistung abhängt.


Das ist aber ganz offensichtlich der Grund, warum sie weniger bezahlt bekommen.

Manche Firmen hängen offenbar von Menschen ab, die nach Gehaltserhöhungen und Beförderungen fragen. Das ist kein effektiver Weg, Talente zu fördern.


Keine Firma wird von sich aus Mitarbeitern mehr bezahlen, wenn sie den gleichen Job auch für weniger Geld machen. Hätte man gewartet, dass Firmen von sich aus Arbeitnehmerrechte verbessern, würden wir wahrscheinlich noch immer 60Stunden in der Woche arbeiten.

Das ist typisch männlich, dass man denkt, man muss kämpfen. Dass Frauen für mehr Geld kämpfen müssen, ist falsch. Alle sollten für gleiche Bezahlung kämpfen. Warum tun es die Gewerkschaften nicht? Weil sie nicht geschlechterausgewogen organisiert sind. Frauen müssen sich selbst organisieren und gemeinsam auftreten.


Sind Quoten der richtige Weg?

Quoten sollten für Geschlechter sein, nicht unbedingt für Frauen. Norwegen hat eine Quote in Aufsichtsräten von mindestens 40Prozent von einem Geschlecht. Das wird irgendwann die Männer beschützen.


In den USA sagt man Frauen, sie sollen sich wie Männer verhalten, wenn sie im Job erfolgreich sein wollen.

Ja, und schauen sie sich an, was passiert ist.


Hätte es die Wirtschaftskrise mit weiblichen Führungskräften an der Wall Street nicht gegeben?

Das kann niemand wirklich beantworten. Aber viele Experten glauben, dass es dieses gierige Verhalten und die extremen Fehler an der Wall Street nicht gegeben hätte, wenn man geschlechterausgewogenere Führungsteams gehabt hätte. Das scheint mir sehr logisch zu sein. Frauen haben eine andere Art der Führung und eine andere Art, mit Risken umzugehen.


Und zwar?

Frauen sind anders, sie sind von anderen Dingen motiviert. Wir sehen, dass Länder, in denen es mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Politik gibt, einige der besten Plätze der Welt zum Leben, zum Arbeiten und für die Wirtschaft sind. Es gibt auch viele Studien, wonach Firmen mit mehr Frauen in der Führungsschicht höhere Profite erzielen.


Sind Männer von niedrigen Instinkten getrieben?

Männer haben ein Wirtschaftssystem entwickelt, sie haben eine bestimmte Kultur entwickelt – wir kennen das. Es geht um Wettbewerb, um Individualität, um Macht. Wir respektieren Eigenschaften, die wir als männlich bezeichnen, und wir haben wenig Respekt für Verhalten in der Führungsebene, das als weiblich gesehen wird. Dabei bedeutet das mehr Teamwork, mehr Werte.


Eines der grundlegenden Probleme ist, dass Karrieren im Alter zwischen 30 und 40 Jahre gemacht werden, und das ist meistens die Zeit, in der Frauen Kinder bekommen.

Das stimmt. Aber wer sagt denn, dass Karrieren zwischen 30 und 40 gemacht werden müssen? Das kommt aus einem Jahrzehnt, als Firmen rein männlich orientiert waren. Jetzt, da Frauen 60 Prozent der gut gebildeten Arbeitskräfte ausmachen, wird man sich adaptieren müssen. Wir müssen eine Wirtschaft lenken, und wir haben nicht viele Menschen in Europa, die dafür geeignet sind. Entweder bringt man Millionen Immigranten nach Europa, oder man macht ein bisschen mehr Gebrauch von der Hälfte der Bevölkerung, die derzeit nicht genutzt wird.


Die Zukunft ist weiblich?

Die Zukunft ist hoffentlich ausgewogener zwischen den Geschlechtern.

Auf einen Blick

Avivah Wittenberg-Cox ist Geschäftsführerin des französisch-englischen Beratungsunternehmens „20-first“, das Geschlechterausgewogenheit in der Führungsebene propagiert. Eines der Argumente lautet, dass mehr Frauen auch mehr Gewinne bedeuten. Wittenberg-Cox beschrieb das in zwei Büchern „Why Women Mean Business“ und „How Women Mean Business“. Sie weilte für einen Vortrag beim Klub für Frauen in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2010)

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