Gute Nachrichten vom Rest der Welt

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Schon 2015 werden Schwellen- und Entwicklungsländer die Erste Welt wirtschaftlich überholen. Sie lernen schnell und kooperieren untereinander. Vor allem aber: Sie werden nun von sparsamen Pragmatikern regiert.

Es sieht so aus, als sähe es gar nicht gut aus. Die USA befinden sich in der Geiselhaft einer radikalen politischen Sekte. Die EU erlebt durch das Schuldendebakel einiger Eurostaaten die größte Zerreißprobe ihrer jungen Geschichte. Die westlichen Industriestaaten entkommen dem Krisental der Tränen nur über einen frustrierend schwach ansteigenden Pfad. Die Folge: Arbeitslosigkeit, zerrüttete Budgets, zornige Bürger. Und zu alledem noch die Angst vor den Chinesen, die bald alles aufkaufen werden.

Doch halt: Zur wachsenden Wirtschaftsmacht Chinas gehört auch, dass dort 400 Millionen Menschen der Armut entronnen sind – und das ist doch eine ziemlich gute Nachricht. In eine ähnliche Richtung geht es in ganz Ostasien, in Indien, in Lateinamerika.

Neuerdings geben sogar Teile Afrikas, das bislang als der hoffnungslose Slum im globalen Dorf galt, Anlass zur Hoffnung. Diese Regionen haben die große Krise alles in allem gut überstanden. Die Folge: Wenn es so weitergeht, wird die Wirtschaftsleistung der Schwellen- und Entwicklungsländer jene der westlichen Industrienationen schon 2015 übertreffen.

Einzig demografisch mag das wenig erstaunen, leben doch in diesem „Rest“ der Welt 80 Prozent ihrer Bewohner. Aber es passiert das erste Mal in der jüngeren Geschichte. Und es ist, angesichts der Ausgangslage, nicht weniger als ein Wunder. Wie es zustande kommt, fast unbeachtet von einer auf „Bad News“ konditionierten Öffentlichkeit, haben 40 Ökonomen der Weltbank in einem Buch nachgezeichnet.

Armut auf dem Rückzug.
Das Wunder hat eine Vorgeschichte. Seit Mitte der Neunzigerjahre gehen dieWachstumspfade der reichen und der armen Welt auseinander. Nicht nur China und Indien entwickeln sich mit einem viel höherem Tempo. Die letzten 30 Jahre waren der Anfang vom Ende der Armut: In diesem Zeitraum hat sich der Anteil der Menschen, die mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen müssen, halbiert, auf weniger als ein Viertel der Weltbevölkerung. Die Lage der Menschen, die diese Grenze gerade erst überschritten haben, bleibt prekär. Die Krise warf 60 Millionen vorübergehend in die Armut zurück. Schlimmer noch traf es die Afrikaner, für die jede Rezession lebensbedrohlich ist: Fällt in einem Jahr das Wachstum um einen Prozentpunkt niedriger aus, sterben in der Region immer noch 30.000 Kinder vor ihrem ersten Geburtstag. Aber es sieht ganz danach aus, als ob diese Rückschläge eine Episode bleiben.

Bereinigt um konjunkturelle Turbulenzen nimmt das Tempo der Aufholjagd weiter zu. Das liegt nicht nur an der Wachstumsschwäche des Westens. Dank neuer Kommunikationstechnologien, vor allem durch das Internet, fällt es den Nachzüglern der Weltwirtschaft immer leichter, ihren Rückstand an Know-how und Technologie rasch aufzuholen. Das erlaubt es den Menschen, produktiver zu arbeiten und mehr zu verdienen (einen Job haben sie, denn Arbeitslosigkeit ist vor allem in der Dritten Welt ein unleistbarer Luxus). Weil internationale Konzerne ganze Arbeitsschritte auslagern, können sich auch wenig entwickelte Länder auf einfache Teile der Wertschöpfungskette spezialisieren – mit der Option auf höhere Weihen.

Ein wenig konsumieren. So entstehen neue Mittelschichten, die ihren höchst bescheidenen Wohlstand zum Konsum vor Ort nutzen. Die neu entstehenden Binnenmärkte mildern die Abhängigkeit vom Export und damit von den gefährlichen konjunkturellen Launen des Westens. Den gleichen Effekt hat die „Süd-Süd-Kooperation“: die immer stärkere wirtschaftliche Verflechtung der Schwellen- und Entwicklungsländer untereinander. Das läuft nicht ohne Friktionen ab: Wenn sich Chinesen oder Brasilianer in Afrika die Rohstoffvorräte unter den Nagel reißen, agieren sie oft genug mit der Rücksichtslosigkeit neuer Kolonialherren. Dennoch sehen die Ökonomen im „Süd-Süd“-Handel große Chancen.

Denn auch er ist ein Geben und Nehmen: Die Straßen und Häfen, die zum Abtransport der Bodenschätze finanziert werden, geben der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas entscheidende Impulse. Und die neuen Mittelschichten Chinas, Indiens und Brasiliens fragen billige Produkte nach, die sie im weniger entwickelten Ausland produzieren lassen. So bekommen gerade die ärmsten Länder eine Wachstumschance, die ihnen klassische Entwicklungshilfe nie bieten konnte.

Freilich hängt die prophezeite Aufholjagd bis 2015 stark mit den Rohstoffpreisen zusammen, die bis dahin hoch bleiben sollten. Eine Rohstoff-Bonanza gilt unter Ökonomen aber als der sicherste Weg in den Ruin einer Volkswirtschaft – durch die Verkümmerung anderer Sektoren, die Abhängigkeit von schwankenden Preisen, fiskalischen Schlendrian und wuchernde Korruption. Umso positiver überraschen die Forscher nun einige Länder (vor allem in Südamerika), die es tatsächlich schaffen, das schnelle Geld in nachhaltiges Wachstum umzumünzen. Sie bauen Reservefonds auf, investieren in Bildung und Forschung und stärken andere Wirtschaftszweige.

Budgets im Griff.
Solch grundvernünftiger Umgang mit natürlichem Reichtum ist ein Teil jener Entwicklung, mit der die Weltbank-Autoren ihren Optimismus rechtfertigen: der Trend zu Regierungen, denen die Bürger trauen können. Das ist keineswegs selbstverständlich im „Rest der Welt“, der grausame Militärdiktaturen, blutige Bürgerkriege und marktfeindliche kommunistische Regime hinter sich gelassen hat. Die neue, pragmatische Vernunft erstreckt sich auch auf den Umgang mit geliehenem Geld.

Schon in den beiden Jahrzehnten vor der Krise haben die Finanzminister der Zweiten und Dritten Welt Schulden an westliche Gläubiger zurückgezahlt und das Risiko für die verbleibenden reduziert. Verblüffenderweise können sie nun weit gesündere Staatsbilanzen vorweisen als ihre reichen früheren Geberländer. Damit bleibt ihnen mehr Spielraum, um in Infrastruktur oder Bildung zu investieren – und so den Wachstumsvorsprung zu vergrößern.

So verdienen die Entwicklungsländer endlich ihren Namen, und die Schwellenländer werden ihre Schwelle zum Wohlstand überschreiten. Und was passiert mit dem Westen, dem neuen „Rest der Welt“?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2010)

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