Großbritannien: Der Staat hört bei Aktiendeals mit

Grossbritannien Staat hoert Aktiendeals
Grossbritannien Staat hoert Aktiendeals(c) REUTERS (ANDREW WINNING)
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Die Finanzaufsicht greift zu drastischen Mitteln, um Wirtschaftskriminalität und Marktmanipulation zu verhindern. Alle Handygespräche werden aufgezeichnet.

[London]. Big Brother sieht nicht nur alles, bald wird er auch alles hören: Ab 14. November 2011 müssen alle Telefongespräche von Investmentbankern und Händlern in der Londoner City auf firmen-eigenen Mobiltelefonen aufgezeichnet und sechs Monate gespeichert werden. „Damit wird im Bedarfsfall eine weitere Beweisquelle geschaffen“, begründete die Finanzaufsicht (FSA) am Freitag, ihre Anordnung. Durch die Überwachung könne einerseits „kriminelle Absicht“ nachgewiesen werden, andernfalls könnten auch „Beweise für die Unschuld eines Verdächtigen“ geliefert werden.

In den Bemühungen um eine Neuordnung des Finanzmarkts London hat die FSA 2009 die Überwachung aller Festnetzgespräche und E-Mails von Beschäftigten im Finanzdistrikt, die in marktsensitiven Bereichen tätig sind, angeordnet. Allzu laxe Vorschriften gelten als ein Grund für den Absturz des Londoner Finanzmarkts. Auf 30 Mrd. Pfund schätzen die Behörden den jährlichen Schaden durch Wirtschaftskriminalität, Betrug und Marktmanipulation.

Die Ausweitung auf Mobiltelefone sieht die Aufsichtsbehörde nun „in völligem Einklang mit EU-Recht“. Tatsächlich hat aber kein anderer Staat bisher in der Bekämpfung von Betrug und Marktmanipulation zu derart drastischen Mitteln gegriffen. Andere europäische Staaten können nur im begründeten Einzelfall die Überwachung verhängen. Auch an der Wall Street kann ein Telefon nur auf richterliche Anordnung und im Einzelfall abgehört werden. Eine Pauschalbestimmung gegen bis zu 20.000 Benützer von Mobiltelefonen – so hoch wird die Zahl der Betroffenen in London geschätzt – gibt es anderswo nicht.

Kein Protest von den Banken

Betroffen sind auch alle in London ansässigen internationalen Finanzunternehmen. Die FSA betonte ausdrücklich, dass Großbanken wie BNP Paribas oder Goldman Sachs vor Einführung der Maßnahme konsultiert worden seien. Proteste erhob gegen die Maßnahme freilich niemand.

Während man in der britischen Hauptstadt gelernt hat, mit Überwachung zu leben – der Finanzbezirk wird praktisch lückenlos von Kameras kontrolliert – regt sich Kritik an den Kosten und der Wirksamkeit der Maßnahme. Elf Mio. Pfund (knapp 13 Mio. Euro) kostet die Überwachungstechnologie, 18 Mio. Pfund gehen jährlich für die Speicherung drauf. Allein die „Nachrüstung“ der in der City allgegenwärtigen BlackBerrys soll 2,6 Mio. Pfund verschlingen.

Private Mobiltelefone bleiben von der Überwachung ausgenommen. Es wird aber Händlern von Aktien, Bonds oder Rohstoffen ausdrücklich untersagt, ihre Geschäfte auf privaten Telefonen zu führen. Dennoch bleiben Zweifel: „Die Sorge war, dass Händler das eine, entscheidende Gespräch auf ihrem Mobiltelefon führen und die FSA dann nicht ausreichend Beweise für den einen schmutzigen Anruf hat“, sagt der Jurist Jonathan Herbst von der Kanzlei Norton Rose. Er bleibt skeptisch: „Es wird immer andere Formen der Kommunikation geben.“

Auf einen Blick

Die britische Finanzmarktaufsicht FSA greift zu drastischen Methoden, um Marktmanipulation und Wirtschaftskriminalität einzudämmen. Ab November 2011 werden die Gespräche von Bankern, Investment- und Fondsmanagern sowie Aktienhändlern auf Firmenhandys aufgezeichnet und ein halbes Jahr gespeichert. Die Kosten für die Technologie betragen elf Mio. Pfund.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2010)

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