Experte: "Die Sparprogramme sind nicht durchsetzbar"

(c) Michaela Bruckberger
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Die Europäische Zentralbank muss sich von ihrem Dogma der Preisstabilität verabschieden, sonst bricht der Euro auseinander, glaubt der Finanzmarktexperte und Chefstratge des CMC Marktes in Hamburg, Stefan Riße.

Die Presse: Die Staatsschuldenkrise zieht derzeit die europäische Gemeinschaftswährung nach unten. Glauben Sie an eine langfristige Existenz des Euro?

Stefan Riße: Es ist durchaus denkbar, dass der Euro auseinanderbricht, also dass einzelne Länder aus dem Währungsverbund ausscheiden. Dass alle Mitgliedsländer den Euro aufgeben und ihre eigene Währung einführen, halte ich aber für unwahrscheinlich.

Welche Länder werden aus der Währungsunion austreten bzw. austreten müssen?

Das wird jene Staaten betreffen, die politisch am instabilsten sind. Denn die Sparpolitik, die von den Peripherieländern (dazu werden wirtschaftlich schwache Länder wie Griechenland, Irland, Portugal oder Italien gezählt, Anm.) verlangt wird, damit diese finanzielle Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm bekommen, ist auf lange Sicht politisch nicht umsetzbar.

Warum nicht?

Diese strikte Sparpolitik verlangt den schwachen Ländern zu viel ab. Sie verlangsamt das Wirtschaftswachstum und verursacht längerfristig eine Deflation und Rezession. Man muss auch ganz ehrlich bei den Peripherieländern sagen: Deren Wachstumsprognosen, auf denen der Schuldenabbau basiert, sind viel zu optimistisch angesetzt. Diese Staaten können weniger öffentliche Mittel ausgeben; ihre teilweise stark verschuldeten Bürger müssen sich auch entschulden. Unter diesen Umständen kann kein ordentliches Wirtschaftswachstum zustande kommen. Diese Sparprogramme verursachen im Endeffekt eine Rezession und Massenarbeitslosigkeit. Eine Regierung, die das durchsetzt, wird sofort abgewählt.

Was können die Regierungen der verschuldeten Euroländer sonst tun?

Entweder sie setzen die vorgegebenen Sparziele um, mit der Erkenntnis, dafür später abgewählt zu werden. Oder sie schwenken um und weichen vom Sparkurs ab. Die entscheidende Frage ist dann, ob die Europäische Zentralbank (EZB) das auch zulässt. Wenn ja, wird man die hohen Schulden nur über eine hohe Inflation abtragen können oder die hoch verschuldeten Staaten scheiden aus dem Euro aus. Sie können ihre eigenen Währungen einführen und diese enorm abwerten, um damit die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Dann würde es den Euro nur in stabilen Ländern wie Deutschland geben. Der Wert dieser Währung würde sprunghaft ansteigen und die deutschen Exporte abwürgen.

Aus deutscher Sicht ist der Euro durch die Probleme der Schuldenstaaten eine künstlich tiefe Währung – so wie etwa der Yuan für China. Hätte Deutschland nämlich eine eigene Währung, wäre deren Wert heute deutlich höher. In diesem Sinne subventioniert der strukturell schwache Euro die deutsche Exportindustrie. Im Gegenzug bezahlen die deutschen Steuerzahler für diesen Vorteil, indem sie für die Schulden der Iren, Griechen oder Portugiesen aufkommen müssen.

Nehmen wir an, der Euro bleibt in allen Mitgliedsländern erhalten – wo ist der Ausweg aus der Schuldenkrise?

Das Problem ist nicht vorrangig die hohe Verschuldung. Die Ursache des Problems ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Schuldenländer. Das kann man in diesem Fall auch nur über eine hohe Inflation lösen. Wobei die Teuerung in Deutschland über Jahre hinweg stärker steigen muss als in den Peripherieländern, damit sich die Wettbewerbsunterschiede ausgleichen können.

Sie haben prognostiziert, dass die Inflationsrate auf acht bis neun Prozent ansteigen wird und gleichzeitig die Leitzinsen niedrig bleiben. Wie passt das zusammen? Die EZB hat nur ein Mandat – und das ist die Preisstabilität zu gewährleisten. Steigt die Inflation an, müsste die EZB die Zinsen erhöhen, um die Inflation einzudämmen.

Dieses Mandat interessiert die EZB im Zweifel doch gar nicht. Ich habe im Dezember 2009 angekündigt, dass auch die EZB bald Staatsanleihen aufkaufen wird (was dem Mandat der Preisstabilität entspricht, denn dadurch wird die Inflation tendenziell angefacht, da die Geldmenge erhöht wird, Anm.). Viele Experten haben mir heftig widersprochen. Seit Mai kauft die EZB tatsächlich Staatsanleihen auf. Die Statuten für den Euro im Vertrag von Maastricht sind von Politikern gemacht. Die können das wieder rückgängig machen.

Die Deutschen fürchtet die Inflation wie der Teufel das Weihwasser. Sie werden sich gegen jede Form der Inflationierung stemmen.

Es wurde damals heftig gestritten, wer der erste EZB-Chef wird. Die EU-Länder haben sich seit jeher gefürchtet, dass es ein Deutscher EZB-Chef wird, der die alte deutsche Hartwährungspolitik strikt durchsetzt. Ich gehe jede Wette ein, dass Axel Weber nicht EZB-Chef wird. Die Statuten des Maastrichter Vertrages könnten daher bald verändert werden (damit vom strikten Mandat der Preisstabilität abgerückt wird, Anm.). Anders wird man auch die Schuldenberge, nicht abbauen können. Die strikten Sparprogramme sind ja meiner Meinung nach nicht durchsetzbar.

Wann wird dann die Inflationswelle auf uns zurollen?

Ich glaube, in zwei bis vier Jahren.

Das wird dann die Besitzenden treffenden. Inflation frisst Vermögen auf. Was kann man dagegen tun?

Aktien werden oft als Assets gesehen, die auf Inflation nicht die richtige Antwort geben. Aber: Aktien reagieren nicht auf die Inflation, sondern auf Maßnahmen der Notenbanken. Und die Notenbanken sind gezwungen, die Zinsen niedrig zu halten, ansonsten würden sie die Welt in eine Rezession kippen. Niedrige Zinsen machen substanzstarke Aktien attraktiv.

Demnach werden wir auch bei Gold eine starke Rally erleben, oder?

Der Anstieg des Goldpreises, den wir zuletzt gesehen haben, war nur der Anfang. Ich glaube, wir erleben noch eine starke Goldrally, sobald die Inflation einmal anzieht.

Zur Person

Stefan Riße ist seit 2006 Chefstratege des Derivatehändlers CMC Markets in Hamburg. Er ist auf die Märkte in Deutschland und Österreich spezialisiert.

Zwischen 2001 und 2005 berichtete Riße live vom Frankfurter Börsenparkett für den Nachrichtensender n-tv. Mit dem Börsenguru Andre Kostolany, der 1999 starb, war er jahrelang eng befreundet. Riße war zuletzt Gast beim „Wertpapierforum“ in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2010)

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