Jürgen Ligi: "Es ist besser, im Euroboot zu sein"

Juergen Ligi besser Euroboot
Juergen Ligi besser Euroboot(c) REUTERS (INTS KALNINS)
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Ab nächstem Jahr wird die Eurozone mit dem Beitritt Estlands 17 Mitglieder haben. Estlands Finanzminister Jürgen Ligi sieht sein Land in der Gewinnerposition. Ein "Presse"-Interview.

Tallinn. Trotz der Währungskrise wird Estland Anfang 2011 der Eurozone beitreten.

Die Presse: Geht Estland als letzter Passagier an Bord einer sinkenden Titanic namens Euro?

Jürgen Ligi: Estland geht an Bord des komfortablen und unsinkbaren Kreuzfahrtschiffs Euro. Es ist besser, im Boot zu sein als draußen, am Schlepptau hängend und völlig abhängig vom Mutterschiff. In der Eurozone ist es warm und trocken, nicht nur im Vergleich mit der kalten See, sondern auch verglichen mit der Lage in gewissen anderen Mitgliedsländern.

Wenn Sie von der jetzigen Eurokrise gewusst hätten, hätten Sie auch dann dieses Beitrittsdatum gewählt?

Das ist hypothetisch. Für uns ist der Beitritt ein natürlicher Schritt, sowohl geopolitisch als auch kulturell und wirtschaftlich. Wir würden nie Europas gemeinsame Idee aufgrund winziger egoistischer Argumente verraten.

Estland hat nicht die Defizit- und Schuldenprobleme vieler Euroländer. Wäre das nicht ein Grund, draußen zu bleiben, um nicht auch getroffen zu werden?

Getroffen werden wir so oder so. Wirtschaftlich und mental sind wir seit 1992 dabei, als wir unsere Währung an die D-Mark banden.

Sollte sich die Eurozone spalten, würde dann ein kleiner Neuling wie Estland in die Gruppe der Starken eingeladen?

Estland wäre einer von denen, die eingeladen werden. Aber ich kann nicht sehen, dass eine Aufspaltung der Eurozone als Idee oder Möglichkeit existiert.

Estland hat die Experten immer wieder verblüfft mit der Bindung an die D-Mark in turbulenten Zeiten und mit dem Hartwährungskurs, als die meisten eine Abwertung für unvermeidlich hielten. War das die Opfer wert?

Welche Opfer? Ich kann Länder nicht verstehen, die ihre Zukunft opfern, indem sie mehr ausgeben als sie einnehmen, vor allem unter der jetzigen Schuldenbürde, und keine radikalen und dauerhaft haltbaren Entscheidungen treffen. Wer ist da der Gewinner? Wir haben dank rascher Reaktion auf die Krise jetzt wieder Wirtschaftswachstum, plus fünf Prozent im letzten Quartal, wir brauchen weder Schulden abzuzahlen noch Steuern zu erhöhen. Wer ist da der Verlierer?

Jetzt sind Sie am Ziel. Zeit fürs Ausspannen?

Entschuldigen Sie, was war das Ziel? Wir haben unsere Buchführung in Ordnung gebracht, und das müssen wir weiterhin tun, auf ewig. Und wir müssen uns Sorge machen über Länder, die nicht in der Lage waren, das Gleiche zu tun, und die ihre Budgets nicht finanzieren können.

Wird die Inflation jetzt wieder zur Kümmernis?

Das ist sie im Augenblick– aber vor allem wegen der internationalen Lebensmittel- und Energiepreise. Die steigen wegen der hohen Nachfrage, teilweise wegen der schlappen globalen Finanzpolitik. Mit dem Euro hat das nichts zu tun.

In wenigen Tagen ist Estland das einzige Ostseeland außer Deutschland, das Mitglied von Nato, EU und Euro ist. Was kommt als Nächstes?

Kürzlich sind wir auch Mitglied der OECD geworden, zum Beispiel. Aber Mitgliedschaften sind Instrumente, keine Ziele. Das Ziel ist eine bessere Welt und eine bessere Heimat.

Und Sie, Herr Ligi, rechnen Sie schon in Euro oder ist Ihr Preisbewusstsein noch an die Krone gebunden?

Eindeutig an die Krone, und ich fürchte, das wird noch ziemlich lang so bleiben.

Zur Person

Der 51-jährige Jürgen Ligi gehört der rechtsliberalen Reformpartei des estnischen Ministerpräsidenten Andrus Ansip an. Nach einem Geografiestudium in Tartu arbeitete er am Planwirtschaftlichen Institut, nach der Wende in der Wirtschaftskammer. 1994 ging er in die Politik und wurde ein Jahr später ins Parlament gewählt. Finanzminister ist er seit 2007. Zuvor war er Verteidigungsminister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2010)

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