Erste Revolten wegen hoher Lebensmittelpreise

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Die durchschnittlichen Preise für Nahrungsmittel übersteigen bereits das Niveau des Rekordjahres 2008. Wegen der Dürren und Überschwemmungen ist in näherer Zukunft keine Entspannung in Sicht.

Wien. Im Frühjahr 2008 erlebte die Welt, in wie große Rage der Hunger Menschen versetzen kann: In Haiti, im Senegal, in Ägypten, Mexiko, Mauretanien und Usbekistan – allerorts trugen zornige Bürger ihre Wut auf die Straße. Die Preise für Weizen, Reis, Mais und Milch waren in manchen Gegenden um bis zu hundert Prozent angestiegen, 20 Prozent waren der Normalfall. Und wie immer bekamen den Preisauftrieb die Ärmsten der Armen am meisten zu spüren.

Heute, fast drei Jahre später, bietet sich ein ähnliches Bild – zumindest, was die Preise betrifft: Laut der Welternährungsorganisation FAO haben die Nahrungsmittelpreise im Dezember einen Höchststand erreicht und lagen im Durchschnitt schon über dem Niveau von 2008.

Die Getreidepreise sind zwar noch niedriger als in den Jahren besagter Nahrungsmittelkrise, Zucker und Fleisch haben aber bereits den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990 erreicht. In Indien war im Vorjahr ein Anstieg der Lebensmittelpreise von 18 Prozent zu verzeichnen. Überhaupt ist der Anstieg in Asien besonders stark, so die FAO: In Vietnam etwa war Reis im November doppelt so teuer wie noch wenige Monate zuvor.

Die UNO warnt angesichts des Teuerungsschubs bereits vor Unruhen. „Je länger wir die hohen Preise sehen, desto höher ist das Risiko, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen wegen nicht mehr bezahlbarer Nahrungsmittel kommt“, sagte FAO-Ökonom Abdolreza Abbassian zur Nachrichtenagentur Dow Jones.

Eine Entspannung der Preisentwicklung ist nicht in Sicht. So hat etwa Russland, einer der größten Weizenexporteure der Welt, im Herbst ein mindestens einjähriges Exportverbot verhängt. Die anhaltende Dürre und die verheerenden Waldbrände hatten einen großen Teil der russischen Ernte vernichtet, der folgende Exportstopp sorgte für einen Anstieg der Weltmarktpreise. Ungünstige Wetterbedingungen hatten auch Produktionsausfälle in Kanada, der Europäischen Union und der Ukraine und damit eine weitere Verknappung des Angebots zur Folge.

Zu einer weiteren Verknappung werden die Überschwemmungen im Nordosten Australiens führen: Australien, neben Brasilien und Thailand einer der größten Zuckerexporteure der Welt, wird seine Zuckerausfuhren wegen des Hochwassers um ein Viertel senken. Auch bei Weizen gehört das Land zu den Hauptexporteuren. Ein großer Teil des hochwertigen Weizens, der normalerweise zu Brot verarbeitet wird, kann wegen des hochwasserbedingten Qualitätsverlustes nun nur noch als Futtermittel verwendet werden.

Dauerhaft hohe Preise erwartet

Aber nicht nur Dürren und Überschwemmungen heizen die Preisrallye auf dem Lebensmittelmarkt an. Die steigende Nachfrage, bedingt durch Wachstum der Weltbevölkerung, leistet ebenso ihren Beitrag wie der Wohlstandszuwachs in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Mit wachsendem Pro-Kopf-Einkommen steigt auch die Nachfrage nach Lebensmitteln, insbesondere hochwertigen wie Fleisch. Und während die Preise für Lebensmittel nach der Hausse des Jahres 2008 mit der Wirtschaftskrise zurückgingen, werden sie nun dauerhaft hoch bleiben, schätzen Experten. Die durchschnittlichen Preise für Fleisch (Schweinefleisch ausgenommen) werden in den zehn Jahren bis 2019 über dem Durchschnitt der Jahre 1997 bis 2006 liegen, schätzen die OECD und die FAO in ihrem jüngsten Agrarausblick. Im Schnitt sollen die Preise für Agrarprodukte von 2010 bis 2019 inflationsbereinigt über jenen der Jahre 1997 bis 2006 liegen, wenn auch unter dem Niveau von 2007 und 2008. Getreide werde um bis zu 40 Prozent teurer sein.

Für die Preisexplosion des Jahres 2008 werden oft Spekulanten an den Börsen verantwortlich gemacht – die OECD ist da anderer Meinung: Als die Preise Mitte 2008 wieder fielen, seien Spekulanten ebenso groß im Geschäft gewesen wie während des Anstiegs.

Algerien

Ein Steinhagel ergoss sich über die Polizisten in dunkelblauer Kampfuniform in Al-Harrach. Algiers Stadtviertel war nicht der einzige Ort, an dem algerische Jugendliche in den vergangenen Tagen ihren Zorn über die angestiegenen Lebensmittelpreise entluden. In mehreren Teilen der Hauptstadt und in anderen Städten kam es zu Ausschreitungen.

Rund 40 mit Säbeln bewaffnete Jugendliche stürmten das wohlhabende Viertel El Biar und beschädigten Geschäfte. Sie plünderten ein Restaurant und raubten ein Schmuckgeschäft aus. Schließlich umzingelten Sicherheitskräfte die Plünderer.

Hohe Lebensmittelpreise und hohe Jugendarbeitslosigkeit: Das ergibt eine explosive Mischung in dem nordafrikanischen Land mit seinen 34 Millionen Einwohnern. Nach Angaben der algerischen Gewerkschaft der Händler und Handwerker kletterten die Lebenshaltungskosten zuletzt um 20 bis 30 Prozent in die Höhe. Die Kosten für Zucker und Öl sind mit Anfang Jänner besonders stark gestiegen: Zahlte man für ein Kilogramm Zucker vor ein paar Monaten noch 70 Dinar (0,27 Dollar), hat sich der Preis nun auf 150 Dinar mehr als verdoppelt.

Der Protest der Jugendlichen richtet sich zunehmend gegen das Regime von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika. In dem Maghrebstaat, der als Opec-Mitglied und wichtiger Öl- und Gasexporteur von den hohen Rohstoffpreisen profitiert, sind mehr als 20 Prozent der Jungen arbeitslos; Wohnraum ist teuer. Dass nun selbst aus Grundnahrungsmitteln Luxusgüter zu werden drohen, macht viele ratlos – und zornig. som

Indien

Können Zwiebeln Regierungen stürzen? In Indien, wo so gut wie jedes Gericht auf Zwiebelbasis gekocht wird, ist das unter Umständen möglich. Hohe Zwiebelpreise trugen in der Vergangenheit zum Sturz von Landesregierungen bei. Die Verdoppelung des Preises veranlasste die Zentralregierung in Neu-Delhi kürzlich, ein komplettes Exportverbot für das Gemüse zu verhängen.

Indien leidet derzeit enorm unter dem Preisanstieg von Grundnahrungsmitteln. Schon die fünfte Woche in Folge verteuerten sich Nahrungsmittel – laut Welternährungsorganisation sind die Preise damit so hoch wie nie zuvor. Grund für den jüngsten Teuerungsschub: schwere Regenfälle – und, wie manche sagen, Misswirtschaft. In der Vergangenheit führten hohe Lebensmittelpreise schon zu Straßenprotesten, etwas, das die in Korruptionsskandale verwickelte Kongress-Partei von Premier Manmohan Singh derzeit gar nicht gebrauchen kann.

Die Notlage auf dem Subkontinent führt indes zu ungewöhnlichen Vermittlungsversuchen: Die Regierung in Neu-Delhi versucht derzeit, den Erzfeind Pakistan zu überreden, wieder Zwiebeln zu exportieren. Pakistan leidet selbst noch immer unter den Folgen der Flutkatastrophe vom Sommer 2010; gerade hat Islamabad eine drohende Regierungskrise wegen einer (nun widerrufenen) Erhöhung der Benzinpreise abgewendet. Pakistan hatte die Zwiebelexporte nach Indien über den Landweg Anfang Jänner eingestellt. „Wir hoffen, dass der Druck auf Zwiebeln in unserem Land nachlässt“, sagte Indiens Außenminister S. M. Krishna in Neu-Delhi. som

Argentinien

Es ist ein trockener, heißer Sommer in Argentinien. Gute Nachrichten für die Millionen, die gerade an der Küste urlauben. Und noch bessere für die Fleischhauer. Denn zu den Ferien gehört „Asado“, der Grillexzess, bei dem stets mehrere Kilo Fleisch, Würste und Innereien auf dem Rost landen. Doch das ist längst kein günstiges Vergnügen mehr. 2010 sind die Preise für Rindfleisch um etwa 100 Prozent gestiegen, was in dem Land, das so viel Fleisch vertilgt wie kein anderes, ein sattes Loch in die Haushaltskasse reißt. „Allein das Fleisch“, sagt Marina del Poggetto von der Beratungsfima Bein, „repräsentiert etwa vier Prozent der gesamten Inflation 2010“. Und diese schätzt die Ökonomin auf 24 Prozent.

Offiziell steigen die Preise freilich jährlich nur um neun Prozent, seitdem Handelsstaatssekretär Guillermo Moreno 2007 das Statistikamt übernahm. Mit Exportverboten und verordneten Höchstpreisen hat dieser Mann bewirkt, dass viele Viehzüchter ihr Land nun an Soja-Konzerne verpachten.

Seit 2007 sind die Viehbestände um über 20 Prozent gesunken. Nun explodieren die Preise – und ziehen andere Nahrungsmittel mit. Geflügelzüchter hoben im Kielwasser der Rindfleisch-Hausse ihre Margen an, der Preis von Hühnerfleisch stieg 2010 um 65 Prozent. Nachdem die Gewerkschaften 2010 Lohnsteigerungen von bis zu 30 Prozent durchbrachten, gab es wenig Proteste gegen die höheren Preise. Für 2011 sind ähnliche Zuwächse zu erwarten. Sonst muss Präsidentin Kirchner um ihre Wiederwahl im Oktober bangen. Das wird die Inflation weiter antreiben. a.f.

China

Nichts fürchtet die chinesische Führung mehr als die Unzufriedenheit ihrer Bürger. Die steigenden Lebensmittelpreise und die drohende Inflation sind daher schon seit geraumer Zeit ein Politikum für Peking. Und sie stehen unter genauer Beobachtung – ähnlich wie in Indonesien, den Philippinen, Vietnam oder Indien. Als in den vergangenen Wochen Händler und Konsumenten auf den Märkten die hohen Preise von Gemüse, Fleisch und Getreide zusehends beklagten, kündigte man in Peking einen Aktionsplan an.

Pekings Credo lautet Kontrolle. Der Staat hat die Preiskontrollen für Nahrungsmittel intensiviert. Selbst Supermarktketten müssen mitmachen und die Preise für Grundnahrungsmittel einfrieren. Das Land hat – ähnlich wie Indien – Mais, Weizen und Reis aus eigenen Reserven auf den Markt geworfen, um das Angebot zu erhöhen und die Preise zu drücken. Zudem forderten die Behörden die Banken auf, die landwirtschaftliche Produktion durch Finanzhilfen zu unterstützen. Längerfristig plant Peking eine Erhöhung der Agrarsubventionen und will die Entwicklung genetisch modifizierter Pflanzen vorantreiben, um die Importabhängigkeit bei Getreide zu verringern.

Ein mildes Lächeln dürfte den Pekinger Planern der Vorschlag des indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono entlocken, der wegen der Explosion des Chilipreises die Bevölkerung aufrief, die scharfen Früchte selbst zu pflanzen. Die Angst vor Spannungen treibt aber auch Yudhoyono an: Indonesiens Diktator Suharto musste 1998 nach Hungerunruhen abtreten. som

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2011)

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