Ökonom: "Finanzminister müssen lügen"

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Daniel Gros plädiert dafür, Griechenland noch heuer zu entschulden und Europas Banken zu sanieren. Die "Wirtschaftsregierung" von Merkel und Sarkozy hält er für einen reinen PR-Gag. Ein "Presse"-Interview.

Herr Gros, haben wir eine Krise des Euro, eine Krise der hoch verschuldeten Staaten – oder eine Krise der europäischen Banken?

Daniel Gros: Es ist eine allgemeine Schuldenkrise. Manchmal handelt es sich um Schulden des Staates: Griechenland. Manchmal handelt es sich um Schulden der Banken: Irland. Aber am Ende werden Staatsschulden immer auch Bankschulden – und Bankschulden immer auch Staatsschulden. Dieser Schuldenkomplex ist in beiden Fällen sehr schwer zu lösen.

Unsere Regierungen tun so, als hätte man dieses Problem bis 2013 eingedämmt.

Wenn man das Problem bis 2013 hinausschiebt, ist es unlösbar geworden. Denn 2013 sind alle Schulden des griechischen Staates Schulden an die Europäische Union geworden, weil sukzessive alle fälligen Altschulden zurückbezahlt wurden. Dasselbe gilt für Irland. Das Problem muss jetzt angepackt werden.

Wie?

Mein Vorschlag ist, die Abschläge zu benutzen, zu denen die griechischen und irischen Anleihen derzeit auf den Märkten gehandelt werden. Der Europäische Rettungsfonds könnte also den Investoren, die griechische und andere Papiere halten, folgendes Angebot machen: Bitte sehr, ihr könnt sie zum Marktwert umtauschen gegen europäische Papiere, die sehr liquide sind. Damit kann man die meisten griechischen Schulden zu einem Abschlag von 20 oder 30Prozent einsammeln.

Gerüchteweise wird genau dieses Szenario vorbereitet. Regierungschefs, Finanzminister und EU-Kommission leugnen das aber.

Die offizielle Linie, dass man private Gläubiger erst ab 2013 einbezieht, ergibt natürlich keinen Sinn, weil es ab 2013 keine privaten Gläubiger mehr gibt. Die werden ja nicht so lange warten. Klar, dass offizielle Stellen solche Vorschläge nicht offen diskutieren können. Zentralbankpräsidenten und Finanzminister müssen einfach lügen – aber sie müssen auch etwas tun.

Wie lange bleibt noch Zeit für eine Lösung?

Vor dem Sommer sollte eine Umschuldung oder Entschuldung stattfinden.

Derzeit wird ein neuer Stresstest für Europas Banken vorbereitet. Bei der ersten Runde bekamen die irischen Banken den Persilschein. Zwei Monate später waren sie pleite. Wie verhindert man so eine Panne?

Man muss sie fragen: Was passiert in euren Bilanzen, wenn Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen kann? Bisher war das logisch unmöglich. Denn bisher gelten für die Aufsichtsbehörden Staatsschulden als zu 100Prozent sicher. Es wäre insofern ein guter Zeitpunkt, zu sagen: Okay, wir machen nicht nur einen theoretischen Stresstest, sondern gleichzeitig eine Um- oder Entschuldung. Denn wir wissen, wie hoch die Ausfälle sind, welche Banken es sind und wie viel frisches Geld sie brauchen, um zu überleben. Dann könnte man reinen Tisch machen, und Europas Bankensystem stünde auf gesunden Füßen.

Wo sollte das Geld dafür herkommen?

Die Banken bekommen dann zwei Wochen Zeit, sich das Geld am Markt zu beschaffen. Wenn sie es nicht bekommen, muss der Staat eintreten.

Politisch wäre das schwer zu verkaufen.

Wir haben nur die Wahl zwischen zwei unangenehmen Möglichkeiten. Man muss den Bürgern klarmachen, dass alles andere nur teurer wird und vor allem darauf hinausläuft, dass man den griechischen Staat für immer finanzieren muss. Es wird vielleicht einen Aufschrei geben, aber man wird glaubwürdig sagen können: Das ist eine lohnende Investition. Die Altaktionäre zahlen in erster Linie, und der Staat würde kaum Verluste machen.

Die Krise verleiht der Idee von Eurobonds Auftrieb, der Vergemeinschaftung der Euroländer-Schulden. Wäre das sinnvoll?

Zurzeit halte ich gar nichts davon. Es gibt keinen free Lunch. Der Zinssatz auf die gemeinsamen Euro-Schulden wäre geringer – aber jener auf die Nicht-Euro-Schulden sehr viel höher.

Können Sie mir folgendes Paradox erklären? Staatsanleihen sind doch keine bombensichere Anlage. Trotzdem verlangt man bei der Basel-III-Reform, dass die Banken mehr davon halten, um liquid zu bleiben.

Im Allgemeinen sind Staatspapiere die sichersten und liquidesten Papiere. Die USA zum Beispiel können genug Geld drucken, um sich selbst immer wieder die Zinszahlung zu ermöglichen. Das ist in Europa nicht mehr der Fall, weil wir eine gemeinsame Notenpresse haben – aber kein einzelner Staat kann über sie verfügen. Im Grunde genommen sind europäische Staatsanleihen so etwas wie die Kommunalobligationen: Sie sind bei großen Kommunen liquide und sehr sicher, aber nicht immer. So sollte man sie auch behandeln. Aber Sie können sich vorstellen, was die Finanzminister sagen, nämlich: Je mehr Staatsobligationen unsere Banken halten, umso besser.

Wissen Sie, was Angela Merkel und Nicolas Sarkozy mit ihrem „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ wirklich meinen?

Ich weiß, wovon sie träumen. Wenn man sich aber konkret vorstellt, dass sich die Regierungschefs alle sechs Monate treffen und für 27Länder die Wirtschaft steuern, ist ganz klar, dass das nicht funktionieren kann. Aber es eignet sehr schön dafür, mit großen Erklärungen die Presse für ein paar Wochen in Aufregung zu halten.

Stichwort Europäische Zentralbank. Macht es Ihnen Sorge, dass sich der designierte neue Präsident Axel Weber so knapp vor dem Wechsel aus dem Rennen nimmt?

Ich respektiere seine Entscheidung. Man hat dort zum ersten Mal einen Mann gehabt, der sagt: Ich klebe nicht an meinem Posten, ich vertrete eine gewisse Meinung, aber statt mich da oben hinzusetzen und vielleicht Probleme zu schaffen, verzichte ich.

Wäre der Italiener Mario Draghi der ideale Kandidat: ein geldpolitischer Falke, aber aus einem Land des Südens?

Ein weiterer Vorteil von Webers Rücktritt ist, dass er das Feld freigemacht hat für eine Diskussion, die nicht nur der Nationalität gilt.

Droht uns derzeit Inflation oder Deflation?

Ich halte nichts von einer Überbewertung der Rohstoffpreise. Das Ziel der EZB ist, den Durchschnitt der Inflation bei rund zwei Prozent zu halten. Wenn es einmal zu starken Ausschlägen kommt, kann sie temporär darüber hinausschießen. Aber dass es tendenziell zu einer höheren Inflation im Euroraum kommt, sehe ich nicht. Es gibt genug ungenützte Kapazität. Dass jetzt die Teuerung in Ländern wie Deutschland und Österreich höher ist als im Süden, ist natürlich. Zehn Jahre war sie in Deutschland niedrig, im Rest hoch.

Sie haben also nicht die Sorge, dass die Gewerkschaften bei den Lohnverhandlungen über die Stränge schlagen könnten?

Dafür gibt es keine großen Anzeichen. 2000 waren die deutschen Löhne zu hoch. Jetzt können sie relativ zu den in anderen Ländern steigen. So soll der Arbeitsmarkt ja auch funktionieren.

Steckbrief

1955
Geboren, Deutscher.
1984
Nach Wirtschaftsstudium in Rom Doktorat an der University of Chicago.
1980er-Jahre
Ökonom beim IWF.
1986
Centre for European Policy Studies, einem Brüsseler Thinktank. Seit 2000 Direktor.
2001–2005
Wirtschaftsberater der Regierung Frankreichs
Oktober 2008
Veröffentlichung des Papiers „A call for a European Financial Stability Fund“. Er soll Anleihen mit der Garantie der Euroländer begeben. EU-Politiker wiegeln ab – und gründen im Mai 2010 die 440 Mrd. Euro schwere „European Financial Stability Facility“ nach Gros' Vorschlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2011)

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