Hohe Inflationsraten im Euroraum zwingen die Europäische Zentralbank zu einer Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte. Das ist erst der Anfang: Zwei bis drei weitere Zinsschritte dürften bis Jahresende noch folgen.
Frankfurt/Wien/Red./Apa. Die Zinswende ist da: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren Leitzinssatz am Donnerstag, wie erwartet, um 0,25Punkte auf 1,25Prozent angehoben – und damit auf steigende Inflationsraten im Euroraum reagiert. Es dürfte nicht die letzte Zinserhöhung in diesem Jahr sein: Analysten gehen davon aus, dass es heuer noch zu zwei bis drei Zinsschritten kommen wird, sodass der Leitzinssatz am Ende des laufenden Jahres bei 1,75 bis zwei Prozent liegen wird.
Die Zinswende hat unmittelbare Auswirkungen auf Sparer und Kreditnehmer: Sparzinsen (die derzeit in den meisten Fällen nach Abzug der KESt deutlich unter der Inflationsrate liegen) und Kreditzinsen dürften in nächster Zeit ein wenig steigen. Bei den Sparzinsen haben einige Institute in den vergangenen Tagen die Leitzinserhöhung schon vorweggenommen. Bei den Kreditzinsen werden die Erhöhungen in vielen Fällen zeitverzögert in den nächsten Wochen folgen. Kreditzinsen sind meist nicht direkt an den EZB-Leitzinssatz gebunden, sondern an andere Kriterien. Maßgeblich ist hier überwiegend der sogenannte Euribor (European Interbank Borrowing Rate), also der Satz, zu dem die Banken einander Geld leihen. Die Anpassungen erfolgen normalerweise aber nicht unmittelbar, sondern quartalsweise zu bestimmten Stichtagen.
An den Finanzmärkten hat die EZB-Leitzinserhöhung kaum nennenswerte Reaktionen ausgelöst. Die Zinswende war mehrfach angekündigt und deshalb auch erwartet worden. Sie war in den Aktienkursen also praktisch schon „eingepreist“, wie das unter Börsianern so schön heißt.
Gravierendere Auswirkungen als auf private Sparer und Kreditnehmer dürfte die Zinserhöhung auf die Länder der Eurozone haben. Die sind wirtschaftlich gesehen derzeit deutlich gespalten: Während die „Nord“-Euroländer rund um den deutschen Boom vergleichsweise kräftige Wirtschaftsdaten aufweisen, stehen die überwiegend in Südeuropa angesiedelten Problemländer noch immer am Rande der Rezession. Ein Abbremsen der Wirtschaft in dieser Region durch höhere Zinsen könnte also fatale konjunkturelle Auswirkungen haben.
Ein spezielles Problem hat Spanien: Dort ist der Anteil an Immobilienkrediten sehr hoch, die Lage der Kreditnehmer durch die hohe Arbeitslosenrate vielfach recht angespannt. Kommt es hier zu deutlicheren Zinssteigerungen, könnte bald wieder eine Immobilienkrise am Horizont auftauchen.
EZB hatte keine große Wahl
Die EZB hatte bei ihrer Zinsentscheidung freilich keine große Wahl: Sie hat die festgeschriebene Zielvorgabe, die Inflation im Euroraum bei zwei Prozent zu stabilisieren. Zuletzt sind die Inflationsraten im Euroraum aber auf 2,6Prozent und damit deutlich über diesen Richtwert gestiegen. In Österreich steht neuerdings sogar eine Drei vor dem Komma. Die klassische Methode, Inflation abzubremsen, ist ein Drehen an der Zinsschraube.
Ausgelöst wurde der aktuelle Inflationsschub letztendlich durch stark gestiegene Energiepreise, aber auch durch Steuererhöhungen zu Jahresbeginn. Die EZB wiegelt in Sachen Inflation aber ab: Die Inflation werde bald wieder etwas zurückgehen, größere „Zweitrundeneffekte“ (also etwa das Ingangkommen einer Preis-Lohn-Spirale) werden erwartet. Freilich: Bis vor Kurzem hatten die Notenbanker überhaupt jegliche Inflationsgefahr geleugnet.
In Deutschland und Österreich stieß die Zinserhöhung auf geteiltes Echo: Deutsche Industrievertreter bezeichneten den Zinsschritt als „nachvollziehbar“, weil er zur Stabilisierung der Preise beitrage und damit die Planungssicherheit für die Unternehmen erhöht. Ein Leitzinssatz auf Rezessionsniveau entspreche zudem nicht mehr dem unerwartet starken Wirtschaftsaufschwung in Deutschland. Scharfe Kritik kam dagegen vom Deutschen Gewerkschaftsbund: Die EZB befinde sich mit ihrer Zinspolitik „auf dem Holzweg“, ließ der DGB verlauten, weil sie „europäische Gesellschaften kollektiv bestraft, um die Inflation zu bekämpfen“. Das belaste Wachstum, Beschäftigung und Staatsfinanzen.
In dasselbe Horn stieß in Österreich die Arbeiterkammer. Deren Direktor, Werner Muhm, sprach von „Gift für das Wachstum“. Auf Kritik stößt das EZB-Manöver aber auch bei Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. Der sagte, die Zinserhöhung wirke „wie Penicillin bei Kopfweh“, sei also „das falsche Medikament“. Eine Zinserhöhung sei erst bei einer Konjunkturüberhitzung einzusetzen, die jetzige Inflation basiere aber nicht darauf, sondern auf importierter Ölteuerung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2011)