Fußball-Rowdies gegen die Inflation

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Die Inflation hat Argentinien wieder fest im Griff. Doch knapp vor den Wahlen will die Regierung davon nichts wissen: Also werden offizielle Zahlen geschönt und kritische Statistiker unsanft aus dem Amt geboxt.

Am besten nicht darüber reden. Wenn Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner etwas zu steigenden Lebenshaltungskosten in ihrem Staat sagen soll, kommt ihr bestenfalls das Wort Preisverzerrung über die Lippen. Gut ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen hat die Regierung dem Thema Inflation den Krieg erklärt. Allerdings bekämpft sie nicht den Preisauftrieb, sondern jene, die ihn melden.

Auf 500.000 Pesos war der Strafbefehl ausgestellt, der Graciela Bevacqua ins Haus geflattert kam. Umgerechnet 86.000 Euro soll die Mathematikprofessorin zahlen, weil sie jeden Monat ihre Analysen der Verbraucherpreise im Internet publiziert – und weil die dort aufscheinenden Werte deutlich über jenen des staatlichen Statistikamts liegen. Bevacqua ermittelte 25 Prozent Inflationsrate, während die staatlichen Zahlenzähler nur 10,9 Prozent errechneten.


Fußball-Rowdies als Statistiker.
Schwer schockiert sei die Statistikerin gewesen, nachdem sie den Schrieb aus dem Handelsministerium geöffnet habe, teilte sie mit, für sie war es ein neues Kapitel einer staatlichen Hexenjagd, die im Februar 2007 begann. Damals nahm der frühere Präsident Néstor Kirchner das weitgehend unabhängige Statistikamt an die Kandare. 500 neue Mitarbeiter rückten ein, 200 davon ohne einschlägiger Ausbildung, dafür mit Vorleben im Stadion des Fußballclubs Nueva Chicago. Ihre Muskelkraft überzeugte jene Statistiker, die weiter beim INDEC arbeiten wollten – die Inflationswerte sanken wieder. Graciela Bevacqua, die jahrelang für den Verbraucherpreisindex verantwortlich war, flog raus. Seit diesem Putsch von oben lächeln die Nachrichtensprecher vieldeutig, wenn sie allmonatlich die offiziellen Inflationszahlen verlesen.

Die Bürger bekommen die Wahrheit sowieso mit, im Supermarkt, an der Zapfsäule, beim Öffnen der Rechnungen von Privatschulen. Seit März 2010 hat etwa die deutschsprachige Pestalozzi-Schule ihre Monatsraten um 40 Prozent angehoben, diese Woche erfuhren die Eltern, dass ab Mai nochmals zwölf Prozent dazu kommen. Begründet wurde die Erhöhung mit dem 30-Prozent-Aufschlag, den die Lehrergewerkschaften zu Schulbeginn im März ausgehandelt haben – mit Vertretern jener Regierung, die fest behauptet, die Preise seien nur um 10,9 Prozent gestiegen.

Weil fast alle Gewerkschaften ähnlich hohe Abschlüsse aushandeln konnten, kann sich die Regierung gute Hoffnungen machen, dass die Sache bis zum Wahltag Ende Oktober nicht aus den Fugen läuft und Cristina Kirchner eine zweite Amtszeit zufällt. Bis dahin erwarten alle Wirtschaftsforscher, dass die Regierungschefin ihre Spendierlaune behält. 2010 stiegen die Staatsausgaben für alle Bereiche vom Straßenbau bis zum Rentensystem um 37 Prozent.

Diese Ausgabenpolitik, die Néstor Kirchner seit seinem Amtsantritt 2003 forcierte, um den Inlandskonsum nach Depression und Staatsbankrott wiederzubeleben, brachte dem Land Wachstumsraten von über acht Prozent, doch als die heimische Industrie die plötzliche Nachfrage nicht mehr befriedigen konnte, wurden die Waren teurer. Schon im September 2005 stiegen die Inflationswerte über zehn Prozent. Weil ein Viertel der in der großen Umschuldungsaktion 2005 neu aufgelegten Staatsanleihen auf Basis der Inflationsrate wertgesichert ist, versuchte die Regierung, zumindest die publizierte Wahrheit in den Griff zu bekommen. Ende 2005 zahlte Kirchner alle Schulden beim Weltwährungsfonds – 9,81 Mrd. Dollar – auf einen Sitz zurück und entledigte sich so aller lästigen Kontrollen. 14 Monate später übernahmen die Nueva Chicago Boys im Statistikamt das Ruder.


Konsumfiesta und Exportboom. Dass der 40-Millionen-Kahn am Südzipfel Amerikas nicht schon wieder Schiffbruch erlitten hat, liegt an den ungewöhnlich günstigen Winden dieser Zeit. Weil in China immer mehr Menschen immer mehr Fleisch essen wollen, ist in der Pampa kaum Platz für Rindviecher, hundertausende Quadratkilometer werden von Sojapflanzen bedeckt, deren Früchte meist in chinesischen Schweinemägen enden. Knapp 20 Mrd. Dollar brachten die Bohnen im Vorjahr ein. Heuer wird ein neuer Ernterekord erwartet. Da die Nachbarn aus Brasilien im Wahljahr 2010, dank Steuergeschenken, Autos kauften wie nie, schoss Argentiniens Autoproduktion hoch. Allerdings hat Brasiliens neue Präsidentin Dilma Rousseff die Steuerschraube wieder angezogen, nachdem dort die Inflation über sechs Prozent stieg. In Brasilia hat man Angst vor Inflation.

In Buenos Aires auch – aber erst, wenn der Wert dreistellig wird, witzelt die „Financial Times“. Die Argentinier sind hohe Inflation gewohnt. Alle jenseits der 30 können sich noch an das Jahr 1989 erinnern, in dem die Waren oft zweimal am Tag teuer wurden. 5000 Prozent lautete der Jahresinflationswert damals, Millionen Bürger verloren ihre Ersparnisse. Seitdem misstrauen die Argentinier den Banken – nur 17 Prozent des BIPs haben sie bei nationalen Geldhäusern angelegt. Stattdessen geben sie ihr Geld so schnell wie möglich aus. Im Dezember stiegen die Ausgaben für Haushaltswaren um 39 Prozent, die Autoverkäufe legten um 43 Prozent zu.

Die Konsumfiesta und der Exportboom nach China ließen Argentiniens Wirtschaft 2010 um 9,2 Prozent wachsen, was eine strahlende Regierungschefin Anfang März stolz verkündete. Ihr Wahljahr hat prächtig begonnen. Über Inflation sprach sie nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2011)

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