Zveglich: "Inflation ist für Asien das größte Risiko"

(c) Michaela Bruckberger
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Die südlichen Länder legen einander zu hohe Handelshürden auf, sagt Joseph Zveglich, Vizechefökonom der asiatischen Entwicklungsbank. In China zeigen sich Anzeichen einer Überhitzung.

Die Presse: Die Asian Development Bank (ADB) prognostiziert den aufstrebenden Ländern Asiens heuer ein Wirtschaftswachstum von 7,8 und nächstes Jahr von 7,7 Prozent. Ist dieses Wachstum nachhaltig?

Joseph Zveglich: Diese Raten folgen auf eine sehr schnelle Erholung im Vorjahr, als die Wirtschaft um neun Prozent gewachsen ist. Wir haben es hier mit einer Rückkehr zu normalen Wachstumsraten zu tun. Konsum und Investitionen aus dem privaten Sektor kommen zurück. Die Erholung in Asien konsolidiert sich.

Welche Risken sehen Sie?

Es gibt ein paar, einige davon muss man global sehen. Eine Spitze bei Öl- und Nahrungsmittelpreisen könnte das Wachstum dämpfen. In den Industrienationen gibt es erhebliche Schwachstellen. Der Arbeits- und Immobilienmarkt in den USA, die Schuldenkrise in Europa – und Japan, das sich von den Katastrophen erholen muss. Die dringendste Herausforderung für die Entscheidungsträger in Asien ist aber der Inflationsdruck. Die Kapazitäten sind zum Teil schon wieder voll ausgelastet, in einigen Ländern sehen wir negative Realzinsen (Zinsen unter der Inflationsrate, Anm.),was auf eine zu lockere Geldpolitik hindeutet. Die Inflationsraten sind noch relativ niedrig, aber wir sehen einen steigenden Trend: 1,2 Prozent 2009, vergangenes Jahr 4,4, und heuer erwarten wir bereits 5,3 Prozent. Das ist etwas beunruhigend.

Für Pakistan und Vietnam prognostizieren Sie 13,3 beziehungsweise 16Prozent Inflation. Welche Länder sind sonst noch besonders gefährdet?

Indien etwa hat im Vorjahr bereits neun Prozent Inflation erreicht. Die Regierung strafft seit Jänner 2010 erfolgreich ihre Geldpolitik. Aber in den meisten Ländern machen uns weniger die tatsächlichen Inflationsraten Sorgen als vielmehr die Zeichen, dass der Druck zunehmen könnte, in den schnell wachsenden Volkswirtschaften wie Taipeh und Südkorea zum Beispiel. Sie sind nicht nur bei ihren potenziellen Wachstumsraten zurück, sondern übertreffen sie womöglich bereits. Es gibt Anzeichen, dass die Volkswirtschaften überhitzen.

Was empfehlen Sie den Regierungen, zum Beispiel in China?

In China zeigen sich Anzeichen einer Überhitzung, aber die Regierung reagiert bereits mit geldpolitischer Straffung (indem sie die Leitzinsen anhebt, Anm.). Das birgt die Gefahr, dass kurzfristig Kapital ins Land fließt, was wiederum destabilisierend wirkt und den Inflationsdruck erhöht. Wir empfehlen den Regierungen einen zusammenhängenden Mix aus politischen Maßnahmen. China zum Beispiel sollte auch seinen Wechselkurs flexibler gestalten und den Yuan aufwerten lassen. Das würde die Importe verteuern und den Preisdruck schwächen. Außerdem würde es einen Teil der ausländischen Kapitalflüsse zurückhalten.

In Ihrem Ausblick behandeln Sie auch den Handel zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern, den „Süd-Süd-Handel“. Wächst dieser schnell genug, um die schwächelnde Nachfrage in den Industrieländern zu kompensieren?

Das wirtschaftliche Gewicht des Südens hat zugenommen, der Süd-Süd-Handel ist gewachsen. Aber viel davon passiert innerhalb Asiens. Und da gibt es immer noch erhebliche Barrieren, die den Handel der südlichen Länder unter sich beschränken. Zum Beispiel Zölle. Die Länder des Südens legen den anderen südlichen Ländern höhere Tarife als dem Norden auf. Würde man sie auf das Niveau des Nordens senken, würde der Handel um sechs Prozentpunkte zulegen. Hier gibt es also einen großen Spielraum für Zugewinne. Das passiert aber nicht automatisch. Die Verantwortlichen müssen sich bewusst darauf konzentrieren.

Ihren Zahlen zufolge generiert Asien drei Viertel des Handels zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern. 80 Prozent davon entfallen wiederum auf den Handel innerhalb Asiens.

Genau, und ein großer Teil davon entfällt auf das, was wir „Factory Asia“ nennen, also Teile und Komponenten. Sie werden aus der ganzen Region bezogen und zur Fertigung nach China geschickt. Aber die Endprodukte enden in Europa und Nordamerika. Dieses sehr erfolgreiche Cross-Border-Netzwerk verlässt sich immer noch sehr auf den Norden als finalen Markt. Obwohl dieses „Factory Asia“ ein sehr nützliches Modell war, muss es neue Märkte finden. Denn die traditionellen Märkte werden weiterhin eher schwächer sein.

Auf welche neuen Märkte sollten sich die betreffenden Länder fokussieren?

Die Verflechtungen zwischen den Ländern Asiens und anderen Märkten wachsen bereits. Aber wir befinden uns noch in einem sehr frühen Stadium. Der Handel Asiens mit dem Rest der Welt ist zum Großteil von China getrieben, fast 80 Prozent davon kommen von der Volksrepublik. Wir sehen nicht nur für den Handel ein großes Potenzial, sondern auch für Süd-Süd-Investments. In China beginnen die Löhne zu steigen, und die Volkswirtschaft übernimmt mehr anspruchsvollere Arbeiten. Die niedrig qualifizierte beschäftigungsintensive Arbeit muss anderswo erledigt werden. Chinesische Investitionen können anderen Ländern des Südens nützen.

Auf einen Blick

Joseph E. Zveglich jr. ist stellvertretender Chefökonom der Asian Development Bank (ADB) und federführender Autor des jüngsten ADB-Wirtschaftsausblicks. Die Asian Development Bank wurde 1966 gegründet. Sie vergibt Kredite an Regierungen und im privaten Sektor, mit dem Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2011)

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