Güler Sabanci: Die Türkei ist Europas Schicksal

Gueler Sabanci Tuerkei Europas
Gueler Sabanci Tuerkei Europas(c) AP (Ibrahim Usta)
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Güler Sabanci is laut FT-Ranking die drittwichtigste Geschäftsfrau der Welt. Die Schumpeter-Preisträgerin sprach mit der "Presse" über die Stärke ihrer Heimat und die Schwächen der Männer.

Die Presse: Frau Sabanci, Sie sind eine der mächtigsten Unternehmerpersönlichkeiten der Türkei, eine leidenschaftliche Verfechterin eines EU-Beitritts ihres Landes – und Sie bauen in ihrer Freizeit Wein an. Frankreichs Präsidenten Sarkozy haben Sie einige Flaschen geschickt, um ihn von den Qualitäten der Türkei zu überzeugen. Wie war denn seine Reaktion?

Güler Sabanci: Ich war mir immer sicher, dass wir gute Weine produzieren können. Wir haben das richtige Klima, den richtigen Boden, und wir haben unsere Erfahrung aus der Geschichte. Ein Detail, aber es passt gut zu meiner Überzeugung, dass wir Teil der EU sein sollten. Deshalb hab ich mehreren Staatsmännern – nicht nur Sarkozy – meinen Wein geschickt. Sie haben höflich geantwortet, wie es eben die Art der Europäer ist.

Viel genützt hat es aber nicht. Gerade Frankreich – und auch Österreich – stellen sich stark gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Verlieren Sie da nicht langsam ihren Optimismus?

Es geht nicht darum, ob es aktuell Anlass zum Optimismus gibt oder nicht. Es geht um den Prozess: Der Weg ist das Ziel. Sicher, wir haben unsere Themen, bei der Demokratisierung und den Menschenrechten. Da geht viel weiter, aber wir müssen noch besser werden. Ich glaube aber auch stark an die Demokratie, und die EU ist da ein sehr gutes Vorbild. Wir müssen die kurzfristige, interne Politik der einzelnen Länder akzeptieren. Wahlen können viel ändern. In Frankreich wurde Sarkozy gewählt, und die Beziehungen kühlten ab. Aber es wird dort wieder Wahlen geben. In Demokratien braucht man Geduld, und man hat eine gewisse Pflicht zum Optimismus.

Was spricht denn wirtschaftlich für eine Türkei als Teil der EU?

Europa leidet immer noch unter der Finanzkrise. Die Probleme mit den Staatsschulden sind ja eine Folge davon. Die Türkei hingegen hat sich in der Krise hervorragend geschlagen. Unser Wachstum ist sehr ermutigend. Und die demografischen Fakten sprechen klar für uns. Im Jahr 2050 wird es 70 Millionen weniger Erwerbstätige in der EU geben. Das heißt: Die EU braucht mehr Integration, mehr Vielfalt, mehr Energie und frisches Blut – das ist ihr Schicksal. Sonst wird sie ein Museum. Der EU-Beitritt der Türkei ist unvermeidlich.

Sie selbst verstehen sich gut mit Europas Elite. Sie haben hohe Orden bekommen, auch in Österreich. Nun erhalten Sie den Schumpeter-Preis als innovative Unternehmerin. Dabei wird immer auch die Türkei gelobt. Aber abseits schöner Reden stellen viele Politiker die Türken, die in ihren Staaten leben, als Bedrohung dar. Ihr Botschafter hat die Österreicher in unserer Zeitung als türkenfeindlich bezeichnet. Was läuft da richtig, was läuft falsch?

Gegenfrage: Wie oft waren Sie schon in Istanbul?

Ich bin das erste Mal hier.

Sehen Sie, das ist nicht gut. Sie sollten mein Land kennen, eine Zeit hier leben und dann Fragen stellen. Man kann nur an etwas glauben, wenn man es sieht. Das ist ein Teil des Dilemmas. Es ist nicht alles richtig, was Journalisten schreiben, sorry to say. Und auch was Politiker sagen ist oft falsch. Ich fühle mich als Bürgerin Europas, wie die meisten Türken. Wir sind seit 700 Jahren Teil dieses Weltteils und seiner Entwicklung – in guten und in schlechten Zeiten. Die Meinungen der Politiker sind schwankend, aber etwas ändert sich nicht: die Vorteile für beide Seiten, wenn wir zusammenarbeiten. Es geht nicht nur um den Beitritt. Wir sind jetzt schon ein sehr wichtiger Handelspartner, und europäische Unternehmen investieren stark in der Türkei – ein Beispiel ist unser Joint Venture mit dem Verbund.

Ihre eigene Geschichte klingt wie ein Märchen: Sie haben sich in einer patriarchalischen Gesellschaft als Frau an die Spitze eines Industriekonglomerats mit 70 Firmen, 45.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 13 Mrd. Dollar hochgearbeitet. Aber wie repräsentativ ist Ihr Erfolg für die Chancen der Frauen in der Türkei?

Sehr repräsentativ! Sicher: Es gibt zu wenige Frauen in Führungspositionen – aber das ist überall so. Im Topmanagement stehen wir sogar besser da: In der Türkei haben wir 26 Prozent Frauen auf dieser Ebene, im globalen Schnitt sind es nur 20 Prozent. Auch Deutschland, Frankreich oder Großbritannien kommen nicht auf unseren Wert. Aber insgesamt arbeiten nur 27 Prozent unserer Frauen im erwerbsfähigen Alter; in Österreich sind es fast 70 Prozent. Diese Diskrepanz hat mit dem Entwicklungsstand zu tun: 30 Prozent unseres Wirtschaftslebens spielt sich noch in der Landwirtschaft ab. Istanbul oder Izmir sind anders, mit hohen Pro-Kopf-Einkommen. Wenn wir einmal landesweit das BIP pro Kopf von Österreich erreicht haben, wird es auch kaum mehr Unterschiede bei der Frauenerwerbsquote geben.

Sie mussten sich in einer Männerwelt behaupten. Sind Sie im Geschäftsleben ein „besserer Mann“? Oder ist Ihr Führungsstil anders als der Ihrer männlichen Kollegen?

Diese Sprüche mag ich nicht. Ich bin kein besserer Mann und keine bessere Frau. Ich bin, was ich bin. Aber die Wissenschaft hat gezeigt: Frauen können besser querdenken, sie sind realistischer, vielfältiger in ihren Fähigkeiten – und sie haben eine höhere emotionale Intelligenz. Das ist auch meine Erfahrung. Wir brauchen diese Qualitäten, um die Herausforderung des Jahrhunderts zu bewältigen: die Vielfalt steuern zu können. Denn wir brauchen mehr Vielfalt, auch an Gedanken und Ansätzen, um zukunftsorientierter und innovativer zu sein. Deshalb bekomme ich ja heute diesen Preis.

Warum setzen sich Frauen dann nicht stärker in den Chefetagen durch?

Wegen der Dominanz der Männer-netzwerke mit ihren Vorurteilen! Ja, es gibt diesen „Club der Männer“, man muss ihn ernst nehmen und ihn durchbrechen – das ist das große Thema.

Auf einen Blick

Güler Sabanci ist seit 2004 Vorstandsvorsitzende der Sabanci Holding, des zweitgrößten türkischen Konzerns – mit 70 Supermärkten, Reifenfabriken, Banken und Kraftwerken.

Die österreichische Schumpeter-Gesellschaft verlieh ihr den heurigen Preis in Andenken an den Ökonomen Joseph Schumpeter. Er wurde am Donnerstag in Istanbul von Wiens Bürgermeister Michael Häupl überreicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2011)

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