"Wasserkrieg": Der neue Stab des Moses

Wasserkrieg neue Stab Moses
Wasserkrieg neue Stab Moses(c) AP (Ariel Schalit)
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Immer mehr Menschen, immer weniger Regen: Nirgendwo sonst ist Wasser ein solches Schicksalsthema wie in Israel. Doch Not macht erfinderisch, und die Technologie aus dem heiligen Land wird zum weltweiten Geschäft.

Moses war verzweifelt. Da hatte er den Juden das gelobte Land versprochen, sie aus Ägypten geführt, den Nil geteilt – und jetzt steckten sie in der Wüste fest. Die Truppe war durstig und fluchte. Gottlob wusste sein metaphysischer Reiseleiter Jahwe Rat und empfahl Moses, mit seinem Stab an einen Felsen zu klopfen. Wundersamerweise sprudelte Wasser heraus und tränkte Volk und Vieh. Mehr als dreitausend Jahre später seufzt der Bewässerungsexperte Naty Barak: „Leider hat uns weder Gott noch Moses die Technologie verraten.“ Und fügt verschmitzt hinzu: „Also müssen wir uns selbst etwas einfallen lassen.“

Schon der erste Premier Israels, David Ben-Gurion, wollte die „Wüste zum Blühen bringen“ – und vertraute dabei mehr auf den Pioniergeist seiner Ingenieure als auf Gottes Segen. Heute sind die Israeli Marktführer bei der Meerwasserentsalzung, versorgen ihre Landwirtschaft mit recyceltem Abwasser und bewässern mit Tröpfchen statt mit Fluten. Start-up-Unternehmer sprühen vor Ideen. Und die ganze Welt profitiert von diesem Vorsprung.

Die ganze Welt? In Österreich gibt es, zumindest gefühlt, eher zu viel als zu wenig Wasser. Verregnete Wochenenden drücken auf die Gemüter der Freizeitgesellschaft und reißen Löcher in die Tourismusbilanz. Aber anderswo ist das Problem längst akut: in Australien, Kalifornien, den Golfstaaten, in Nordafrika und Spanien – überall dort, wo die Ressourcen einen wachsenden Bedarf von Bevölkerung, Industrie oder Tourismus nicht decken können.

Kompromiss im Wasserkrieg. Israel jedoch ist das Realität gewordene Worst-Case-Szenario. 1970 hatte das kleine Land drei Millionen Einwohner, 2020 werden es über neun Millionen sein. Ob durch den Klimawandel oder nicht: In den letzten sieben Jahren hat es nicht mehr richtig geregnet. Um die Speicher unter den Hügeln im Osten tobt der „Wasserkrieg“ mit den Palästinensern. Der Streit wird nur durch einen Kompromiss zu lösen sein – wobei die Israelis zurückstecken müssen. Bis 2050, schätzt die Regierung, wird der Wasserbedarf um 75 Prozent steigen. Ein Drittel des Mehrbedarfs wird an Palästinenser und Jordanier gehen.

So überrascht es nicht, dass die Wasserbehörde in ihrem neuen „Masterplan“ Alarm schlägt. 53 Mrd. Shekel (10,4 Mrd. Euro) wird sie in den kommenden zehn Jahren investieren müssen, um den Kollaps zu verhindern. Vor allem soll mehr Meerwasser entsalzt werden. „Es ist die einzige Lösung“, sagt der Werksleiter in Askelon.

Entsalzte Rechnung. Seine Anlage dient weltweit als Vorbild. Meerwasser wird dort mit hohem Druck durch eine selektiv durchlässige Membran gepresst. Diese „Umkehr-Osmose“ ist günstiger als die Dampfdestillation, die den Wasserkreislauf nachstellt. Das Erhitzen braucht sehr viel Energie, weshalb nur Ölscheichs auf solche Anlagen setzen – dann freilich in großem Maßstab. In Ashkelon hingegen konnten die Kosten auf 35 Euro-Cent pro Kubikmeter gedrückt werden, ein Viertel des Preises der Dampfdestillation. Damit wird Entsalzung breiter einsetzbar – zumal die meisten betroffenen Regionen nicht nur arm an Wasser sind.

Besucher werden auf eine Kostprobe im Plastikbecher eingeladen. Sie schmeckt, wie sie soll: nach nichts. Schon in wenigen Jahren soll der gesamte Trinkwasserbedarf Israels durch entsalztes Wasser gedeckt werden. Doch wie ein Menetekel reckt gleich neben Ashkelon ein Kohlekraftwerk seine Schlote in den Himmel. Wegen der schlechten CO2-Bilanz raten Experten, Entsalzung nur als „Ultima Ratio“ einzusetzen. Der sparsame Verbrauch soll Vorrang haben. Das hat sich Israel zu Herzen genommen.

Der Nachweis dafür stinkt abscheulich. Am Rand von Tel Aviv steht eine gewaltige Kläranlage. Die dreckige Brühe sprudelt, blubbert, fließt und dampft, so weit das Auge reicht. Zuletzt versickert das Wasser in einem nahen Areal durch den filternden Sand und wird später als wieder erstandenes Beinahe-Trinkwasser nach oben gepumpt. Das Motiv für den immensen Aufwand: Der flüssige Abfall soll rein genug werden für einen Einsatz in der Landwirtschaft. Drei Viertel der Abwässer bringen so „die Wüste zum Blühen“. Das ist im Ländervergleich bei Weitem der höchste Wert; gefolgt von Spanien, das gerade einmal zwölf Prozent verwertet.

Nur so konnten die Israelis ihren Bedarf bislang decken. Denn der Wohlstand wächst so rasch wie die Einwohnerzahl. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist mit 250 Litern fast doppelt so hoch wie in Österreich. Jeder, der einen kleinen Garten besitzt, muss ihn ständig bewässern, damit er nicht in Kürze verdorrt. Die kostbare Ressource kostet nicht viel mehr als hierzulande. Zwar haben „Strafzuschläge“ für Verschwender die Mengen etwas gedrosselt, aber eine weitere Preiserhöhung ist politisch kaum durchsetzbar. Also müssen die Bauern Verzicht üben: Früher brauchten sie 70 Prozent des Trinkwassers, heute unter 40 Prozent.

Ideen als Exportschlager. Die Spur des Wasserwunders führt nach Süden. Das in Tel Aviv gereinigte Nass fließt in die Wüste Negev. Der Kibbuz Hatzerim ist ein Garten Eden in der Ödnis. Zwischen grünen Wiesen flitzen Kinder auf Fahrrädern herum, plauschen Frauen, rasten Schüler im Schatten der Palmen. Der Eindruck von behaglichem Wohlstand trügt nicht. In Hatzerim läuft es besser als in den meisten anderen 250 agrarischen Siedlungen mit Kollektiveigentum, die ökonomisch oft ein kümmerliches Dasein fristen. Denn außer Idealen und Utopien gibt es hier auch eine Fabrik. In ihr werden „Emitter“ hergestellt, Kunststoffprofile für Tröpfchenbewässerung, die in die ganze Welt exportiert werden.

Erfunden hat sie ein Wasseringenieur namens Simcha Blass. In den 1930er-Jahren fiel ihm im Garten eines Freundes auf, dass ein Baum viel schneller wuchs als die anderen. Die Erklärung: Aus dem Verbindungsstück zweier Schläuche tropfte es leicht heraus, direkt auf die Wurzel. Wenig Wasser am richtigen Ort: Zuerst wandte Blass dieses Prinzip an, indem er in Schläuche kleine Löcher bohrte. Auf diese Idee sind schon andere gekommen, aber sie funktioniert nicht, weil sich die Öffnungen verstopfen. Mit den Ermittern wird das verhindert, sie regulieren die Menge und mischen auch Dünger bei. Das Patent machte Furore.

Neben dieser reifen Cashcow der Wassertechnologie blitzen junge Sterne auf, in den kleinen Hightech-Schmieden rund um Tel Aviv. Auch dort ist Wasser das Thema der Stunde. Ansätze gibt es genug: Ein Sensor an Wasserrohren soll das Geräusch von Lecks erkennen. Ein neues Belüftungssystem soll die reinigenden Sauerstoffbläschen in den Kläranlagen länger im Wasser halten – eine „unsexy idea“, wie der Erfinder gesteht, die aber zwischen einem halben und einem ganzen Prozent des globalen Energiebedarfs einsparen könnte. Und Mikroalgen in Becken rund um thermische Kraftwerke sollen CO2 bannen, und getrocknet als kerngesunder Nahrungszusatz dienen.

Wo kommen all die Ideen her? „Wir sind nicht schlauer als die anderen, die Not macht uns erfinderisch“, hört man voll Vorsicht von vielen Seiten. Der Hydrologe Brian Berkowitz vom elitären Weizmann-Institut aber kann seinen Stolz nicht verbergen, wenn er grinsend erklärt: „Ich habe sieben Patente, mehr als ganz Jordanien.“ Solch berechtigter Hochmut ist nur bildlich Wasser auf die Mühlen der vielen feindlich gesinnten Nachbarn. Der jüdische Erfindergeist aber lässt echtes Wasser fließen. Und ohne dieses Wasser, das wissen alle, wird es im Nahen Osten keinen Frieden geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2011)

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