Harte Maßnahmen: Griechenland spart sich zu Tode

Griechenland Land spart sich
Griechenland Land spart sich(c) EPA (JENS BUETTNER)
  • Drucken

Zukunftsangst herrscht in Griechenland. Das Land ist dabei, sich totzusparen, doch seine Schulden von 340 Milliarden Euro kann es dennoch nicht tilgen. Ökonomisch geht's steil bergab, die Gewalt eskaliert.

Pandelis Melisinos ist eine Berühmtheit. Nicht nur wegen seiner handgefertigten Ledersandalen. Einheimische und Touristen suchen in seinem kleinen Laden im Athener Altstadtviertel Psyrri nach Authentizität, dem Gefühl von spontaner Lebensfreude und Ungebundenheit, das Griechenland für disziplingewohnte Nordeuropäer einst so attraktiv erscheinen ließ. Schon Vater Stavros hatte in seiner Schusterwerkstatt nebenher Gedichte geschrieben, berühmte Kunden wie die Beatles, Jacky Onassis und Sophia Loren freuten sich über seinen fröhlichen Gruß „Jassu“. Aber auch ohne diese großen Namen konnte die Familie Melisinos immer gut leben vom Schustern, es blieb Zeit zum Philosophieren und Malen. Das aber ist vorbei: „So ein Jahr wie dieses haben wir noch nie erlebt“, sagt Pandelis, selbst schon leicht ergraut. „Mit Zähnen und Klauen versuche ich mich über Wasser zu halten.“

Das Geschäft geht sehr schlecht, Steuern und Einkaufspreise aber steigen, immer länger muss er Riemen schneiden und Sohlen nähen, um zu überleben. „Sie wollen, dass wir alle Angestellte werden“, sagt er und meint Politiker, Konzerne, EU. „Jeder Grieche brächte gern Opfer, wenn er wüsste, dass sie dem Gemeinwohl dienen. Aber wir haben das Gefühl, dass sich alles wieder nur die Betrüger einstecken.“

Die Betrüger, das sind die Politiker jeder Couleur, die, die das Land in den Ruin gewirtschaftet haben, die jetzt die kleinen Leute dafür bluten lassen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „public Issue“ zeigt sich klar, wen zwei Drittel der Griechen als fähigen Regierungschef ausmachen: keinen.

Der völlige Vertrauensverlust in die Politik treibt gefährliche Blüten. Vorige Woche nahmen Einwohner des Athener Bezirks Agios Pandeleimonas das Gesetz in die Hand und riegelten ihre Straßen ab, nachdem ein Familienvater wegen seiner Videokamera mutmaßlich von Afrikanern überfallen und erstochen worden war. Rechtsradikale nutzten den tragischen Vorfall, um Bürger aufzuwiegeln, die schon lange unter dem Heer der unkontrolliert Eingewanderten in Athen leiden. Ein Bangladescher wurde ermordet, Athener jagten Dunkelhäutige durch die Stadt. Im Zentrum entlädt sich die ökonomische Not der Griechen und jene der Fremden zusehends in Gewalt.

Der Pakt mit dem (Finanz-)Teufel. Streiks, Streiks, Streiks. Auf der anderen Seite der Extreme besetzten Autonome das Rektorat der Universität, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. Ein Demonstrant schwebt seit Mittwoch in Lebensgefahr, nachdem er laut Zeugen von Polizisten während des Generalstreiks schwer verletzt worden ist. Es war der zehnte Generalstreik, seit die sozialistische Regierung von Georgios Papandreou vor einem Jahr das „Memorandum“ mit EU, IWF und EZB (der „Troika“) über die Vergabe von Krediten über 110 Milliarden Euro unterschrieb und das Land (vorerst) vor der Pleite rettete. Das Memorandum macht strengstes Sparen zur Auflage. Trotz aller Streiks und Proteste hat sich die große schweigende Mehrheit seither dieser Radikalkur gefügt, Lohnkürzungen bis 30 Prozent und Steuererhöhungen ertragen, allein der Benzinpreis stieg um 28,7 Prozent. Von der gesunkenen Kaufkraft sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen bedroht. In der Athener Innenstadt musste jedes fünfte Geschäft aufgeben.


Ein Land spart sich zu Tode. Griechenland ist dabei, sich totzusparen, doch seine Schulden von 340 Milliarden Euro kann es dennoch nicht tilgen. Strukturreformen kommen zu schleppend voran, scheitern am Widerstand der Privilegierten, an „den Betrügern“. So wird Griechenland ein zweites Hilfspaket brauchen, verbunden mit einem zweiten Memorandum mit noch mehr harten Maßnahmen. Das bedeutet noch mehr Schulden, die das Land mangels nennenswerter Industrie über Generationen nicht wird tilgen können. Jetzt sei die Privatisierung von Staatseigentum höchste Priorität, sagte Papandreou. Wie Fische auf dem Verkaufsstand, die mit etwas Wasser am Leben gehalten werden, fühlten sich die Griechen – so umschrieb der Journalist Vassilis Lyrintsis im Radiosender Skai die Stimmung. „Das Schlimmste ist, dass ich meine Kinder bestärke, ins Ausland zu gehen“, sagt Makis Miris. Der Autohändler schaltet das Licht zum Gespräch in seinen Geschäftsräumen an. Schon lange kann er es sich nicht mehr leisten, die Beleuchtung den ganzen Tag über auf die Mittelklassewagen aus Deutschland brennen zu lassen. Die Hälfte seiner 18 Mitarbeiter musste er entlassen. „Einzelverkäufe an mittelständische Konsumenten gibt es nicht mehr“, sagt Miris mit stoischer Verzweiflung, dabei hätten viele Leute sicher noch Geld.

Die Arbeitslosigkeit hat mit über 15 Prozent einen Rekord erreicht. Immer mehr meist hoch qualifizierte Junge wandern aus. Aber selbst dort, wo es noch Arbeit gibt, ist die Zukunft ungewiss: Auf Rhodos boomt es immerhin, man erwartet einen Zuwachs von zwölf bis 15 Prozent an Touristen gegenüber dem Vorjahr. Allgemein erwartet Griechenland ein gutes Tourismusjahr, hofft darauf, von den instabilen Verhältnissen in Nordafrika zu profitieren.

Die Arroganz der Deutschen. Attraktiv für Urlauber ist Griechenland heuer vor allem durch günstige Angebote. Das schlägt sich aber nicht unbedingt in den Umsätzen nieder: „Heere von Touristen laufen durch die Altstadt, aber nicht einer hat eine Tüte in der Hand“, sagt Frau Frosso Kantseloglou in unverkennbarem Bayerisch. In ihrem Ledergeschäft sind die Umsätze eingebrochen. Am schlimmsten ist für die Geschäftsfrau, die jahrzehntelang in München erfolgreich war, dass sich gerade Deutsche so herablassend verhalten: „Ihr müsst uns eigentlich alles schenken, nachdem wir euch so viel Geld überwiesen haben“ oder „In diesem Land kaufe ich nichts“ sind Sprüche, die sie täglich hört. „Man hat uns unseren Stolz genommen“, sagt sie, „das ist das Schlimmste, was uns passieren kann.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.