Das große Zittern vor den Ratingagenturen

(c) AP (Nikolas Giakoumidis)
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Jeder weiß, dass an einer Umschuldung Griechenlands kein Weg vorbeiführt. Nur sagen will es niemand. Europas Politik fürchtet harte Urteile von S&P, Moody's und Fitch. Und das hat sie sich selbst zuzuschreiben.

[Wien.] An Kreativität mangelt es den Finanzministern, Währungshütern und Notenbankern in der EU derzeit keinesfalls. Ob „Streckung", „sanfte Umschuldung", „Wiener Initiative" oder „vorsichtige Restrukturierung": Viele Begriffe zum Thema Griechenland machen die Runde. Einzig den Terminus „Insolvenz" meidet die Politik wie der Teufel das Weihwasser - obwohl praktisch alle genannten Lösungen nichts als eine freundliche Umschreibung dafür sind.

Von „extrem gefährlich" bis zu „politischem Selbstmord" reichen die Erklärungen, die aus politischen Kreisen als Gründe für die kreative Ausdrucksweise der Diplomaten genannt werden. Das liege einerseits daran, dass Hilfen für ein insolventes Land innenpolitisch kaum durchsetzbar sind. Anderseits fürchten EU und EZB nichts mehr als eine Abstufung Griechenlands auf die Stufe „D". Ein solcher „Default" hätte weitreichende Folgen für ganz Europa.

Eine solche Abstufung könnte schnell geschehen, wenn Banken und Versicherungen zu der viel diskutierten „privaten Beteiligung" an der Rettung Griechenlands gezwungen würden. Das würde die Ratingagenturen zu einer sofortigen Einstufung als Staatsinsolvenz veranlassen, warnt etwa EZB-Vizepräsident Vitor Constancio.

Die EZB spielt ein gefährliches Spiel

Das Schlamassel hat sich die EZB durchaus auch selbst zuzuschreiben. In großem Stil kaufte die Zentralbank griechische Anleihen oder akzeptierte diese als Garantien von Banken. Die Rede ist von insgesamt 150 Mrd. Euro - möglicherweise auch mehr, genaue Summen gibt die EZB nicht bekannt.

Stufen die Ratingagenturen diese Papiere nun als Ausfall ein, verlieren die Garantien ihren Wert. Die Banken müssten neue hinterlegen und außerdem einen Teil ihrer eigenen griechischen Staatsanleihen abschreiben. Eine gesamteuropäische Bankenkrise wäre die Folge.

Hinzu kämen milliardenschwere Verluste der Zentralbank, für die wiederum die Notenbanken der Mitgliedsländer gerade stehen müssten. Im Endeffekt würde eine solche Rekapitalisierung der EZB wohl in den Budgets der Euro-Mitgliedsländer „hängen" bleiben. Die müssten sich an einer solchen Maßnahme im Ausmaß ihres EZB-Anteils beteiligen. Österreich ist am EZB-Kapital mit rund 1,94 Prozent beteiligt, müsste in diesem Fall also rund zwei Prozent der Verluste übernehmen. Das kann schnell in die Milliarden gehen.

„Die EZB hat ihr Mandat überschritten", meint etwa Clemens Fuest, Finanzwissenschaftler an der Uni Oxford. Und selbst der deutsche Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnt davor, dass sich die Notenbanken auch in Zukunft an einer griechischen Rettung beteiligen.
Die Politik hat sich von den Ratingagenturen abhängig gemacht. Ein zweites Hilfspaket für Griechenland ist bislang nicht nur an der Frage gescheitert, wer sich in welcher Form beteiligen soll. Es geht auch um die exakte Ausformulierung - in der Hoffnung, dass die Agenturen das Spiel mitspielen und das Kind letzten Endes doch nicht „Insolvenz" nennen werden.

Ansteckungsgefahr nicht gebannt

Eine Vorentscheidung könnte am Sonntag fallen, wenn die EU-Finanzminister erneut zusammenkommen. Die fünfte Tranche des 110 Mrd. Euro schweren Hilfspakets ist Anfang Juli fällig. Noch ist unklar, ob der IWF seinen Teil leisten wird. Die Organisation knüpft die Hilfe auch daran, ob die EU das Problem in den Griff bekommt.
Die Lage ist auch insofern heikel, als die derzeit relativ begrenzte Staatsschuldenkrise bei einem Ausfall Griechenlands sofort wieder Portugal, Irland und wahrscheinlich auch Spanien „anstecken" würde. Und das ist, so EZB-Vize Constancio, derzeit wohl die größte Gefahr für das Finanzsystem.

Auf einen Blick

Europas Politik zittert davor, dass die Ratingagenturen griechische Staatsanleihen auf „Default“ stufen. Deshalb meiden die Diplomaten die Worte „Umschuldung“ und „Insolvenz“ wie der Teufel das Weihwasser.

Die Finanzminister kommen am Sonntag erneut zusammen, um über die Zukunft Griechenlands zu beraten. Anfang Juli ist die nächste Tranche des Hilfspakets fällig. Innenpolitisch werden die Zahlungen schwerer zu verkaufen. Finanzministerin Fekter hob am Mittwoch die bisher verdienten Zinsen hervor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2011)

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