„Junge Spanier träumen davon, Beamte zu sein“

(c) Michaela Bruckberger
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Dass die Länder im Süden Europas dem Norden hinterherhinken, liegt auch an unflexiblen Arbeitsmärkten. Das sagt Françoise Gri, Südeuropa-Chefin des weltgrößten Arbeitskräftevermittlers Manpower.

Die Presse: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat kürzlich heftige Kritik an den Südeuropäern geübt: Sie gingen zu früh in Pension und hätten viel zu viel Urlaub. Hat sie recht? Sind Südeuropäer fauler?

Françoise Gri: Sie hat ja nicht gesagt, dass die Leute faul sind. Aber ihre Arbeitszeit ist kürzer. Das ist etwa auch in Frankreich so: Die Menschen, die tatsächlich arbeiten, sind hoch produktiv. Das Problem ist der Unterschied zwischen Leuten in Beschäftigung und jenen außerhalb des Arbeitsmarkts. Vor allem die Jungen haben in Südeuropa mit einer extrem hohen Arbeitslosenrate zu kämpfen.

Ganz Griechenland streikt schon wieder gegen den Sparkurs. Da sieht es nicht so aus, als wären die Arbeiter an der schwachen Wettbewerbsfähigkeit des Landes ganz unschuldig. Wie erklären Sie sich die Unterschiede zwischen dem wirtschaftlich starken Norden und dem schwachen Süden sonst?

Die Gewerkschaften arbeiten nur für die Menschen, die schon im System drinnen sind, aber nicht für all jene, die noch auf einen Job warten. Im Süden Europas sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt viel starrer als im Norden. Da werden viele Barrieren aufgebaut, nur um ein Stück vom Kuchen zu verteidigen. Dabei könnte der sogar wachsen, wenn Flexibilität gefördert würde. So scheuen sich Unternehmen aber, Menschen anzustellen. Was wir erleben, ist eine Folge der fehlenden Flexibilität in diesen Ländern.

Welchen Anteil haben die starren Arbeitsmärkte am Schuldendebakel der Mittelmeerländer?

Das Grundproblem ist, dass ihre Wirtschaft nicht stark genug gewesen ist. Griechenland und Portugal sind der EU beigetreten, ohne starke Branchen aufzubauen. Stattdessen wurde der öffentliche Sektor aufgebläht. Infolge gibt es auch dort Menschen, die von der Krise ausgenommen sind. Die Rechnung bezahlen aber die Jungen, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt mehr finden.

In Spanien erlebt ein Instrument zur Flexibilisierung, das nicht zuletzt Ihre Branche stets propagiert hat, seine Blüte: Die Hälfte aller jungen Spanier mit Job hat nur befristete Verträge. Dennoch ist die Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie nirgends in Europa.

Spanien hat ein anderes Problem. Das Land erlebte einen Wirtschaftsaufschwung, der vom Bauboom getragen war. Dieser Motor ist verschwunden und wird nicht wieder kommen. Im Land gibt es jetzt jede Menge junger Menschen, die schlichtweg für die vorhandenen Jobs falsch ausgebildet sind.

Was müsste Spanien also tun, um die Arbeitslosigkeit zu senken?

Es gibt bereits ein paar gute Ansätze. Auch Spanien hat zu viele öffentlich Bedienstete, was dazu geführt hat, dass viele junge Spanier davon träumen, Beamte zu werden. Diese Gedankenwelt muss sich ändern. Die jüngsten Gesetzesänderungen sehen wenigstens vor, eine gewisse Flexibilität und Konkurrenz in den öffentlichen Dienst zu bringen. Die Frage ist nur, wie schnell das geht, denn das Geld wird knapp.

Ein Problem teilt ja ganz Europa mit den Spaniern: Den Jungen wird Flexibilität gepredigt. Die Perspektive, so wie ihre Eltern im Alter mit ziemlicher Sicherheit gut zu verdienen, haben sie aber nicht mehr.

Flexibilität wird künftig das Herz des Arbeitsmarktes bilden. Heute ist der Begriff noch negativ besetzt, weil wir mit anderen Vorstellungen groß geworden sind. Viele Junge wollen immer noch einen Job fürs Leben, den es so aber nicht mehr geben wird. Es stimmt, dass manche Menschen noch diese Rechte haben, aber wir können nicht an ihnen festhalten. Sonst verliert Europa seine Wettbewerbsfähigkeit. Wir beobachten, dass in Ländern, in denen Junge und Alte gleichermaßen beschäftigt sind, das Gehalt im Alter ein Plateau erreicht. In vielen Ländern im Süden bekommt man aber für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit Gehaltserhöhungen. (Anm.: Auch Österreich zählt zu den Ländern mit starkem Senioritätsprinzip.)

Dieses Problem können selbst die flexibelsten Jungen nicht lösen ...

Es geht auch nicht darum, ältere Mitarbeiter aus dem Unternehmen zu drängen, sondern um Flexibilität für alle. Die Niederlande haben vor zehn Jahren einen Fehler gemacht, den viele Länder in Europa nachmachen. Sie haben alle Arbeiter über 54 aus den Betrieben gedrängt. Heute fehlt ihre Expertise, ihre Arbeitskraft, und wir haben Programme, um die Älteren wieder in Beschäftigung zu bringen.

Nordische Länder erproben erfolgreich das „Flexicurity-Modell“, eine Mischung aus hoher Flexibilität und Sicherheit. Wie soll diese Sicherheit Ihrer Meinung nach aussehen?

Natürlich braucht es ein Minimum an sozialem Schutz, also Krankenversicherung, Pensionsversicherung. Wichtiger als Geld ist es aber, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Jeder Mensch sollte die Sicherheit haben, dass er lernen und sich verändern darf, damit er auch in Zukunft einen Job bekommen wird. Mitarbeiter sollten ein Recht haben, im Unternehmen weitergebildet zu werden. Davon sind wir heute in vielen Betrieben weit entfernt.

Auf einen Blick

Françoise Gri (57) ist beim weltgrößten Arbeitskräftevermittler Manpower für Südeuropa zuständig. Davor war sie Frankreich- und Nordafrika-Chefin bei IBM. Manpower hat 400.000 Firmenkunden in 82 Ländern. Im Jahr 2009 wurden drei Millionen Menschen als Leiharbeiter oder fix Angestellte an Manpower-Kunden vermittelt. Im Vorjahr erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 18,9 Mrd. Dollar (13 Mrd. Euro).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2011)

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