Wieder ist ein EU-Sondergipfel zur Schuldenkrise im Gespräch. Bisher verschärfte freilich das hektische politische Krisenmanagement eher das Problem auf den Märkten, weil zugleich konsequente Lösungen ausblieben.
Wien/Brüssel. Die Nervosität ist mit Händen zu greifen. Die Finanzmärkte treiben die europäische Führungsriege derzeit vor sich her wie Jäger das angeschossene Tier. Schonungslos legen sie die Mängel im europäischen Krisenmanagement offen. Wie etwa in der Nacht auf Mittwoch, als die Ratingagentur Moody's Irlands Staatsanleihen auf Ramschniveau setzte. Der Versuch, politische Führung in der Krise zu beweisen, ist gescheitert. Als nun EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy einen neuerlichen Sondergipfel zur Krise einberufen wollte, hallte ihm erstmals lauter Widerstand entgegen.
Genervt reagierte der irische Ministerpräsident Enda Kenny. So ein Gipfel habe nur Sinn, wenn dabei eine umfassende Lösung zustande komme. „Es ergibt keinen Sinn, ein Treffen abzuhalten, das keine Lösung hervorbringt, zu einem Thema, das nicht verschwindet, außer man setzt sich damit auseinander.“
Dieses „Auseinandersetzen“ hat freilich seit vergangenem Jahr nie wirklich stattgefunden. Letztlich, so heißt es aus EU-Ratskreisen, ging es immer nur um Zeitgewinn. Die Signale, die von den zahlreichen EU-Gipfeln und -Sondergipfeln – allein neun hatten sich mit Griechenland befasst – ausgingen, brachten lediglich zu Beginn Beruhigung auf den Märkten. Mittlerweile ist die Glaubwürdigkeit der politischen Krisenmanager dahin. Zu viele Widersprüche pflastern ihren Weg.
Im Frühjahr 2010 hieß es am Rande eines Gipfels noch, dass Griechenland keine Hilfe benötige. Wenig später, Anfang Mai, stand Athen vor der Zahlungsunfähigkeit. Über Nacht wurde ein Sondertreffen einberufen, das einen Schutzschirm von 110 Milliarden Euro aufspannte. Eine „einmalige Aktion“, wie es bei einem weiteren Gipfel hieß. Seit diesem Frühjahr wird aber ein zweites Hilfspaket geschnürt.
Reagieren, nicht mehr agieren
Weil das bei Griechenland so schiefging, kann das politische Krisenmanagement nur noch auf Marktvorgänge reagieren, nicht mehr selbst agieren. Das war bereits so, als im Herbst letzten Jahres Spanien an die Reihe kam, kurze Zeit später Portugal und Irland, nun Italien. EU-Gipfel wurden zum Anlass für Neubewertungen der Schuldenstaaten. Dreimal wurde im vergangenen Jahr am Vortag eines Gipfels die Kreditwürdigkeit eines Eurolandes abgewertet. Zwei weitere Male kurz danach. Wenngleich sich das Gerücht hält, dass Ratingagenturen nur im Auftrag von Spekulanten handeln, sie reagieren letztlich auf die Hilflosigkeit der Politik. Das EU-Krisenmanagement, so brachte es ein Händler an der Frankfurter Börse auf den Punkt, steht „auf tönernen Füßen. Ein falsches Wort aus Brüssel und es geht wieder abwärts.“
Als doppelt fatal erwies sich, dass sich die europäische Politik nicht nur von Märkten, sondern erneut von innenpolitischen Interessen gängeln ließ. Allen voran zeigte sich das am Krisenmanagement des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. War es für den einen wegen des Engagements französischer Banken in Griechenland vorerst unmöglich, das marode Land rasch umzuschulden, konnte die andere keiner raschen Rettung zustimmen, weil gerade Landtagswahlen anstanden.
Ein weiteres Beispiel ist der Versuch der deutschen Regierung, private Gläubiger an Hilfspaketen zu beteiligen. Im November führte das bereits zu Finanzierungsproblemen für Irland. Erst eine Garantieerklärung, dass im Falle Irlands an keine private Beteiligung gedacht sei, brachte wieder Ruhe in die Märkte. Und auch in der aktuellen Griechenland-Krise löste dieser innenpolitisch motivierte Vorstoß eine Verschärfung aus.
Hilflose Versuche einer politischen Steuerung sind indes blanker Panik gewichen: „Bitte keinen Sondergipfel“, tönt es aus Berlin. Merkel müsse ihre Afrika-Besuchstour fortsetzen, sonst wäre das ein problematisches Signal an die Märkte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2011)