Durchbruch: Schnellere Strafen für Schuldenpolitik

(c) AP (Christian Lutz)
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EU-Regierungen und EU-Parlament einigen sich auf strengere Aufsicht. Anders als bisher müssen Regierungen, die sich gegen Sanktionen Brüssels stemmen wollen, selber aktiv werden.

Brüssel. Nach einem Jahr harter Verhandlungen haben sich die Unterhändler des Europäischen Parlaments und der nationalen Regierungen am Mittwochabend in Straßburg geeinigt: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wird verschärft. Es wird damit für die Regierungen der Euroländer (aber nicht für jene EU-Staaten, die noch ihre nationalen Währungen haben) schwieriger, leichtsinnige Budgetpolitik zu betreiben und Schieflagen auf ihren Arbeitsmärkten und in ihren Leistungsbilanzen ungestraft zu ignorieren.

Künftig müssen Finanzminister, die nach Ansicht der Europäischen Kommission eine leichtsinnige Schuldenpolitik betreiben, eine einfache Mehrheit ihrer Amtskollegen zusammentrommeln, um Geldstrafen der Kommission zu verhindern. Anders als bisher müssen Regierungen, die sich gegen Sanktionen Brüssels stemmen wollen, selber aktiv werden. Der „Sündenfall“ des Jahres 2003, als Deutschland und Frankreich gemeinsam die Verhängung von Geldbußen für ihre überschießenden Defizite verhinderten, kann sich somit künftig nicht wiederholen. Die Rolle der Kommission als Wächterin über die Einhaltung der Maastricht-Kriterien zum Zweck der Eindämmung der Verschuldung wird damit gestärkt.

„Sixpack“ für mehr Stabilität

Dieses Verhandlungsergebnis wird nun vom EU-Parlament bei seiner nächsten Vollversammlung Ende September und von den Finanzministern bei ihrem nächsten formellen Ratstreffen im Oktober abgesegnet werden. Es besteht aus sechs Gesetzesvorschlägen der Kommission (schnell hatte sich der Name „Sixpack“ eingebürgert), von denen vier die Haushaltspolitik betreffen und zwei das Erkennen und Bekämpfen wirtschaftspolitischer Ungleichgewichte.

Letztere betreffen Schieflagen in der Leistungsbilanz, zu hohe Unterschiede der realen Zinssätze und schwache Arbeitsproduktivität. Sie sind in den Augen der meisten Wirtschaftsforscher Ursachen für die wirtschaftliche Rückständigkeit von Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal und Italien. Diese Problematik treibt unter dem Schlagwort „Wettbewerbsfähigkeit“ seit Beginn der Griechenlandkrise die wirtschaftspolitische Debatte an.

Risiko wird künftig erfasst

Der „Sixpack“ schafft nun ein „Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“: Wie auf dem Armaturenbrett eines Sportwagens wollen sich Kommission und Finanzminister regelmäßig einen Satz von Wirtschaftskennzahlen anschauen, um das Risiko großer Schieflagen zu erfassen. Allerdings leidet diese Überlegung unter dem Mangel, dass es in der Ökonomenzunft unzählige Vorstellungen davon gibt, woran die Wettbewerbsfähigkeit zu messen ist. Bei einem Seminar der Brüsseler Denkschmiede Bruegel vor einigen Monaten gaben mehrere Volkswirte europäischer Notenbanken und der Kommission teils völlig divergierende Kennzahlen an. Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass ein noch so tüchtiges griechisches Unternehmen gegen deutsche Konkurrenten das Nachsehen habe, weil es wegen der maroden Lage der griechischen Banken keine Lieferantenkredite bieten könne. Auch das bestimmt die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Messen kann man es nicht.

Unterm Strich stärkt der Sixpack die Transparenz der europäischen Wirtschaftspolitik – und auch das Parlament, das sich erfolgreich gegen Verwässerungsversuche der Regierungen gewehrt hat. Künftig darf es nationale Minister zur Debatte in seinen wirtschaftspolitischen Ausschuss laden: vor einem Jahr noch undenkbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2011)

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