Die Rückkehr der Industrie

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Hat Produzieren in "Industriestaaten" Zukunft? Hightech-Innovationen kommen schon meist aus China. Dort aber steigen die Kosten. Davon profitieren USA und Osteuropa. Auch EU-Staaten wie Großbritannien denken um.

Eines schönen Tages klopfte der Lieferant aus Taiwan an der Tür des Einkäufers von Dell. Schon länger produzierte er, zur Zufriedenheit des Kunden, die einfachen Leiterplatten für Dell-Computer. Jetzt kam Asustec mit einem attraktiven Angebot: Lasst uns auch die Hauptplatine machen, wir können das um ein Fünftel günstiger! Die Controller waren begeistert: niedrigere Kosten bei gleichem Umsatz, auf profitable Kernkompetenzen konzentrieren – genau das, was ihnen Professoren und Berater eingebläut hatten. Nach und nach übernahmen die gewieften Nationalchinesen auch den Zusammenbau der Rechner, die Organisation der Lieferkette und das Design. Dann aber war es vorbei mit den Besuchen. Stattdessen wurde Asustec bei US-Elektronikhändlern vorstellig: mit ihrem eigenen Markencomputer, um 20 Prozent günstiger als der PC von Dell.

Eine Anekdote, ein Einzelfall? Mitnichten, meinen US-Forscher – und schlagen Alarm: Fast die gesamte Hightech-Industrie der USA drohe in die gleiche Falle zu tappen. Das E-Book von Kindle etwa könne in den USA gar nicht mehr produziert werden. Ob Computer, Software, Solartechnologie oder Batterien für E-Autos: Die Innovationen in den zukunftsträchtigen Sektoren finden längst in Asien statt. Im Land bleiben nur noch Marketing, Vertrieb und die Logistik zum Kunden.

Politik rudert zurück. Nun versucht Washington, die Fehler der Vergangenheit mit milliardenschweren Förderungen zu korrigieren. Auch EU-Staaten wie Großbritannien oder Frankreich, wo die Industrie lange stiefmütterlich behandelt wurde, denken um: Die Fließbänder sollen sich wieder drehen, die Schlote wieder rauchen. Ein Trend kommt dem Gesinnungswandel entgegen: Auch in den Küstenregionen Chinas steigen die Kosten stark. Firmen wandern weiter, ins Hinterland, nach Vietnam oder Indonesien.

Aber könnten sie auch zurückkommen, wenn sie das Know-how zum Produzieren verloren haben? Eines haben die Apologeten der Gewinnmaximierung durch Outsourcing nicht bedacht: Produktentwickler, Maschinenbauer und Arbeiter in der Fertigung müssen eng zusammenarbeiten. In der Fabrik entscheidet sich, wie aus einer guten Idee ein gutes Produkt wird. Bleiben nur noch Entwickler im eigenen Land, wird die Innovationskraft schleichend mit ausgelagert. Nur wenige Technologiekonzerne, etwa Apple und Amazon, schaffen es (noch), das Wissen im Haus zu halten.

Biotop der Ingenieure. Den ersten „Weckruf“ starteten vor zwei Jahren Gary Pisano und Willy Shih in der „Harvard Business Review“. Seitdem ist die Diskussion in den USA nicht abgebrochen. Zumal die Politik auf den Zug aufspringt: Kein Sektor bringt so viele Arbeitsplätze wie die Industrie. Also wird etwa die Fertigung von Akkus für E-Autos gefördert – mit viel Geld, aber ungewissem Erfolg.

Denn noch etwas haben die Harvard-Forscher aufgezeigt: Innovation gedeiht nur im Netzwerk, wo finanzstarke Konzerne, kleine Zulieferer, Maschinenbauer und Forschungseinrichtungen auf engem Raum Ideen austauschen. Verlagern die Konzerne ihre Fertigung in ferne Weltgegenden, trocknet das kreative Biotop aus. In Deutschland und Österreich ist es noch lebendig und durch den höheren Stellenwert der Industrie breiter abgesichert. Aber auch hier wird weiter ausgelagert. Wie groß ist die Gefahr?

Axel Schmidt, Partner der größten deutschen Strategieberatung Roland Berger, gibt Entwarnung: „Kaum ein Unternehmen wird seine Kernkompetenz nach China verlagern. Da geht es nur um schon eingeschwungene Technologien zur Massenproduktion.“ Dabei kommt den Deutschen und Österreichern ein Defizit zugute: die Schwäche im Sektor Hochtechnologie. Bei so traditionellen Branchen wie Auto, Maschinenbau und Chemie ist es leichter, den Vorsprung im Land zu halten.

Bosch etwa fertigt seine Einspritzpumpen neuer Generation in Deutschland, die der alten in Asien. Ähnlich bei Mercedes: „Technologieträger wie die S-Klasse werden nicht in China produziert“, erklärt Schmidt. Aber auch in Europa sieht er „Grenzfälle“. So hat etwa Airbus ein Montagewerk in China gebaut, das genauso in Paris oder Hamburg stehen könnte. Boeing hatte diesen Schritt, aus Angst vor Know-how-Verlust, bewusst nicht gemacht.

Osteuropa, zweite Welle?
Eines aber bleibt Industriearbeit in Europa auf jeden Fall: sehr teuer. Damit profitiert sie nicht von dem Gegentrend, den die Boston Consulting Group (BCG) ausmacht: Schon in vier Jahren werde es sich wieder lohnen, Produkte für den US-Markt vor Ort zu erzeugen, heißt es in der Studie „Made in America, again“. Denn die Zeiten, in denen Chinas Arbeiter für weniger als einen Dollar pro Stunde am Fließband standen, sind zu Ende. Zwischen 1999 und 2005 stiegen die Löhne um 150 Prozent. Auch die Produktivität wuchs, konnte aber nicht Schritt halten. Im billigeren Landesinneren fehlen oft (noch) Infrastruktur und geschulte Arbeitskräfte. In den USA hingegen stagnieren die Löhne fast, während die Produktivität kräftig zulegt. Schon 2015, rechnet BCG vor, werden die Lohnkosten (korrigiert um die niedrigere Produktivität) an Chinas Küste nur noch 39 Prozent niedriger sein als in Teilen der USA. Zu Westeuropa aber bleibt die Differenz mit 62 Prozent so groß, dass sich die Auslagerung fast immer weiter rechnet.

Dennoch erwartet Schmidt von Roland Berger einen Rückkehr-Trend auch bei deutschen Herstellern. Allerdings nicht in ihre Heimat, sondern nach Osteuropa. Denn mit Ausnahme der Österreicher hätten die Westeuropäer in ihrer Asien-Euphorie übersehen, dass das Gute und Günstige längst näher liegt: in den EU-Staaten Zentral- und Osteuropas. Sie bieten viel: „keine Zollschranken, vernünftige Löhne, gut ausgebildete Mitarbeiter“ – und, dank der Nähe, geringere Transportkosten und weniger Risken für die Lieferkette.

Werden also bald osteuropäische Lohnproduzenten an die Türen heimischer Einkäufer klopfen, um ihnen mehr Wertschöpfung und technologischen Vorsprung abzuluchsen? Brüssel hätte damit kein Problem: Es bleibt alles in der europäischen Familie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2011)

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