Der Kreml ist wütend auf die EU-Kommission. Denn ihre Razzien in zehn EU-Staaten zielten auf Gazproms dubiose Geschäftspraktiken ab. Seit Jahren torpediert Gazprom Bemühungen, den Energiemarkt fair zu gestalten.
BRÜSSEL/MOSKAU/FUSCHL. Die Durchsuchung der Büros von rund zwei Dutzend Gasunternehmen in zehn EU-Staaten durch Beamte der Europäischen Kommission dieser Tage hatte ein Ziel: aufzudecken, wie der russische Staatskonzern Gazprom systematisch die Regeln des EU-Binnenmarkts verletzt. Denn seit Jahren torpediert der weltgrößte Produzent von Erdgas die Bemühungen der Europäer, auch den Markt für Energie fair und transparent zu gestalten.
„Wenn ein Unternehmen auf dem europäischen Markt tätig ist, hat es sich an europäische Regeln zu halten“, sagte die Sprecherin von EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia am Mittwoch in Brüssel auf die Frage nach dem Zweck der Razzien in den Geschäftsräumlichkeiten von Branchengrößen wie RWE, E.On Ruhrgas, Gazprom Germania und der OMV. Die Kommission geht dem begründeten Verdacht nach, dass all diese Unternehmen mit Preisabsprachen, der Verhinderung des Zugangs von Konkurrenten zu ihren Pipelines und Speichern und anderen verbotenen Praktiken den Markt für Erdgas gestört haben. Sollten die bei den Razzien sichergestellten Akten diesen Verdacht der Marktmanipulation erhärten, drohen den beteiligten Firmen Geldbußen von bis zu zehn Prozent eines Jahresumsatzes.
Kreml pocht auf Investorenschutz
Diesen Verlust werden die Konzerne im Fall der Fälle verschmerzen. Doch die Untersuchung der Brüsseler Wettbewerbshüter hat tiefgreifende außenpolitische Folgen für das Verhältnis zwischen der EU und Russland. Gazproms wirtschaftliche Macht ist Russlands Hebel, um die Europäer zu Zugeständnissen zu bewegen. Wenn Gazprom aus betriebswirtschaftlichen Gründen versucht, sich im Binnenmarkt breitzumachen und näher an die Endkunden zu kommen, dient das zugleich den Interessen des Kremls in der früheren sowjetischen Machtsphäre – von Zentralasien bis zum Baltikum. So ist es keine Überraschung, dass das Moskauer Energieministerium auf die Einhaltung von Rechten und Interessen russischer Investoren in der EU pocht.
Gazprom hingegen versucht, die Untersuchung herunterzuspielen. „Gazprom, als Pionier der Liberalisierung der europäischen Energiemärkte, war und bleibt stets ein Unterstützer des Wettbewerbs auf dem Gasmarkt“, hieß es in einer Aussendung. Verschickt wurde sie von derselben PR-Agentur, die auch das öffentliche Image der russischen Regierung in Brüssel zu pflegen versucht. Als Senior-Partner dafür zuständig: Gregor Kreuzhuber, der frühere Pressesprecher des österreichischen EU-Kommissars Franz Fischler (ÖVP).
Doch wenn es ums Gas und ums Geld geht, hilft keine noch so professionelle Propaganda: Da fliegen zwischen Kommission und Kreml regelmäßig die Fetzen. Zuletzt heuer im Februar, als sich Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin vor laufenden Kameras ein peinliches Wortgefecht lieferten. Putin bezeichnete damals den EU-Grundsatz, dass Gaslieferanten ihre Pipelines auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellen müssen, wörtlich als Enteignung Gazproms.
Weitere EU-Verfahren drohen
Doch die Kommission legt nach. Laut „Presse“-Informationen, die von der Kommission nicht dementiert wurden, wird sie heute, Donnerstag, mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen EU-Staaten einleiten, die das sogenannte dritte Energiepaket nicht zufriedenstellend umgesetzt haben. Dessen zentrale Vorgabe zwingt die Energiefirmen, ihre Leitungsnetze zumindest in betrieblich unabhängige Gesellschaften auszugliedern. Das gefällt Gazprom gar nicht, besitzt der Konzern doch zahlreiche Pipelines quer durch Europa.
„Das ist ein typisches Signal, dass die EU die Rolle und Position der Gazprom auf dem europäischen Energiemarkt mit großem Argwohn betrachtet und alles tun möchte, um die Stellung Russlands zu schwächen“, sagte der Energieexperte Gerhard Mangott zur „Presse“. Die Schlüsselfrage sei: „In welchen Ländern ist Gazprom der ausschließliche Anbieter von Gas? Wie etwa in Finnland, den baltischen Staaten oder Bulgarien.“ Mangott hält es für ein „zweifellos berechtigtes Anliegen der EU“, durch das dritte Energiepaket dafür zu sorgen, dass Gazprom hier der alleinige Zugang auf diese Märkte verwehrt werde.