Putin: Der Stabilitätsgarant wird zum Risikofaktor

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Viele können sich ein Russland ohne Wladimir Putin gar nicht mehr vorstellen. Jetzt aber, da seine Rückkehr in das Präsidentenamt feststeht, sehen Investoren darin plötzlich ein Risiko für das Geschäft.

Moskau. Ausgerechnet Roman Abramowitsch. Ein Jahrzehnt lang hat sich der russische Oligarch als loyaler Partner des Kremls gegeben. Hat zum Schaden der Gegner der politischen Führung Vermögenswerte eingesammelt und zum Gefallen Moskaus der rückständigen Region Tschukotka unter die Arme gegriffen. Und nun schert ausgerechnet Abramowitsch aus. Seine Evraz Group, einer der führenden Stahlkonzerne, hat seine Investoren plötzlich vor dem Risiko Wladimir Putin gewarnt. Seine für 2012 geplante Rückkehr zu einer dritten Amtszeit im Kreml könnte, so die Evraz Group in ihrem Wertpapierprospekt, zu politischen Spannungen, einem Reformstillstand und einer Verschlechterung des Investitionsklimas führen. Unternehmen würde der Zugang zu internationalem Kapital beschränkt.

Auch wenn sich Evraz beschwichtigend auf die übervorsichtigen Investmentbanker hinausredet: Das Investitionsrisiko mit Putin in Verbindung zu bringen, ist ein beispielloser Schritt. Bisher haben Unternehmen bei Börsengängen gewöhnlich vor Wechselkursrisken, mangelnder Rechtssicherheit und generell vor dem Geschäftsklima gewarnt. Die Offenheit von Evraz aber sei verblüffend, die dargelegten Szenarien nicht utopisch, meint Igor Nikolajew, Ökonom des Finanzdienstleisters FBK.

Kurswechsel unter Putin fraglich

Ein Jahrzehnt lang galt Putin als Stabilitätsgarant. Erst mit der Finanzkrise bekam das Image Kratzer, weil die Stabilität als Ausfluss des hohen Ölpreises identifiziert wurde und Reformverweigerung zutage trat. Heute ist offensichtlich, dass auch Thronnachfolger Dmitri Medwedjew nichts weiter gebracht und seine Modernisierung stecken geblieben ist. Nun, da das Wachstum 2012 auf unter drei Prozent fallen und für russische Verhältnisse in eine Stagnation münden könnte, hat Putin seine Rückkehr beschlossen. Gewissheit über den künftigen Kurs ist damit freilich noch nicht geschaffen, weshalb auch die starke Kapitalflucht anhält. Mit der Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftspolitik seien maximal vier Prozent Wachstum zu generieren, meint Sergej Karychalin, Analyst von TKB Capital. Nur wenige trauen Putin einen Kurswechsel zu. Und trotzdem geht derzeit noch kaum jemand in aller Offenheit so weit wie Evraz Group. Im Gegenteil: Viele üben sich in vorauseilendem Gehorsam. Wie vor zwei Wochen der Foreign Investment Advisory Council (FIAC), zu dem internationale Großkonzerne wie BP, Deutsche Bank oder Siemens gehören. „Wir unterstützen Ihre Kandidatur für das Präsidentenamt“, erklärte James Turley, FIAC-Vorsitzender und CEO Global von Ernst & Young. Ein Teil der FIAC-Mitglieder aber war zornig und beschwerte sich, dass die Position nicht abgestimmt war.

Russland weiterhin attraktiv

Wegen der Kaufkraft und der Ressourcenbasis bleibt Russland für ausländische Konzerne attraktiv. Siemens, Adidas oder Nestlé setzen etwa auf den Staat. Aber obwohl sich die ausländischen Direktinvestitionen seit 2009 auf über 100 Mrd. Dollar (73 Mrd. Euro) beliefen, würden davon nur 15 Prozent in die Modernisierung fließen, wie Sergej Puchov vom „Zentrum für Entwicklung“ sagt. Putins Bilanz ist weniger rosig als dargelegt.

Die Hoffnung auf ihn als Stabilitätsgaranten ist aber zumindest verbal noch weit verbreitet. Gian-Franco Kasper, Präsident des Welt-Skiverbandes FIS, äußert sich zu Bauverzögerungen im Olympiaort Sotschi so: „Ich vertraue der Stärke und Finanzkraft Russlands und der Macht von Wladimir Putin.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2011)

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