Neuer EZB-Chef Draghi läutet Zinswende ein

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Die Europäische Zentralbank senkt den Leitzinssatz um einen Viertelprozentpunkt auf 1,25 Prozent. Die meisten Experten hatten diesen Schritt nicht so rasch erwartet.

Wien/Ag./B.l. Es war ein Zinserhöhungszyklus von sehr kurzer Dauer: Nachdem der Leitzins in der Eurozone fast zwei Jahre lang krisenbedingt auf einem historischen Tief von einem Prozent verharrt hatte, hob ihn die Europäische Zentralbank heuer zweimal auf insgesamt 1,5 Prozent an. Am Donnerstag ging sie von diesem Kurs wieder ab und senkte den Leitzins auf 1,25 Prozent.

Die meisten Experten hatten diesen Schritt nicht so rasch erwartet. Immerhin lag die Inflationsrate in der Eurozone im September bei drei Prozent. Die EZB strebt einen Zielwert von unter zwei Prozent an. Eine hohe Inflation wird normalerweise mit höheren Zinsen bekämpft. Doch kamen aus der Notenbank zuletzt vermehrt Andeutungen, dass man sich gegenwärtig um die Konjunktur größere Sorgen mache als um die Teuerung.

Vergangenes Wochenende hat der am Dienstag abgelöste EZB-Chef Jean-Claude Trichet mit der Aussage aufhorchen lassen, er erwarte in den kommenden zehn Jahren eine jährliche Teuerung von 1,8 Prozent. Hintergrund der Trendwende ist auch die Staatsschuldenkrise: Vor allem die schuldengeplagten Länder der Eurozone machen sich für Zinssenkungen stark, weil sie hoffen, dass ihre Zinslast dadurch sinkt.

Galt Draghi zu Unrecht als „Falke“?

Der neue EZB-Chef, der Italiener Mario Draghi, galt bis dato eher als „Falke“, also als Befürworter einer harten Zins- und Währungspolitik. Er hatte mehrmals angedeutet, dass er niedrige Zinsen um den Preis einer hohen Inflation nicht hinnehmen wolle. Die Entscheidungen trifft allerdings nicht Draghi allein, sondern der EZB-Rat, dem unter anderem die Vertreter der nationalen Notenbanken angehören.

Bei einer Pressekonferenz nach der Zinsentscheidung sagte auch Draghi, dass er bereits nächstes Jahr eine Teuerungsrate von unter zwei Prozent erwarte. Das schwächere Wachstum werde den Inflationsdruck dämpfen. Die Teuerung werde gegenwärtig vor allem von externen Faktoren wie dem Ölpreis angetrieben, gegen die die EZB wenig ausrichten könne. Mit den niedrigeren Zinsen wolle man Konsum und Investitionen ankurbeln.

Analysten zeigten sich vor allem über den frühen Zeitpunkt überrascht. „Wir hatten erst im Dezember mit einer Zinssenkung gerechnet. Wir dachten, es dauert etwas länger, bis die EZB ihre zu optimistischen Konjunkturprognosen senkt“, sagte Jörg Krämer von der Commerzbank zur Agentur Reuters. Der Schritt zeige, wie beunruhigt die Währungshüter sind. Der neue EZB-Präsident Draghi nehme dafür auch in Kauf, das Etikett einer „Taube“ angeheftet zu bekommen, die für eine weiche Zins- und Währungspolitik eintritt. Härter fiel das Urteil von Dorothea Huttanus von der DZ Bank aus: „Das war kein guter Start für Draghi. Mit der Zinssenkung hat er die Märkte völlig auf dem falschen Fuß erwischt, das ist in so unsicheren Zeiten keine Hilfe.“ Das Letzte, was die Märkte jetzt noch gebrauchen könnten, sei eine EZB, die nicht kalkulierbar ist.

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Umstrittene Anleihenkäufe

Die „Falken“ in der Notenbank waren zuletzt zurückgedrängt worden. So hatte der deutsche Ökonom Jürgen Stark im Sommer vorzeitig das Direktorium der EZB verlassen. Er führte persönliche Gründe an, Hintergrund dürfte aber seine abweichende Meinung zu den Staatsanleihenkäufen der EZB gewesen sein. Diese Maßnahmen hatte die Notenbank gesetzt, um den schuldengeplagten Ländern unter die Arme zu greifen. Stark galt als „Falke“. Ihm folgte der als „Taube“ geltende deutsche Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen. Zuvor war der ehemalige Bundesbank-Chef Axel Weber zurückgetreten, der bereits als potenzieller Trichet-Nachfolger gehandelt worden war. Auch Weber galt als „Falke“.

Ob die EZB unter Draghi weiterhin Milliarden in Staatsanleihen kriselnder Euroländer stecken wird, ist noch offen. Die Börsen bejubelten die Zinssenkung, die meisten Indizes lagen im Plus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2011)

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