Italien: Reformdilemma der drittgrößten Euro-Wirtschaft

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Italiens Unternehmer zeigen sich besorgt. Das Land muss Milliarden einsparen, zugleich soll eine Rezession abgewendet werden. Dafür sind dringend Reformen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, notwendig.

Rom. Die Angst vor einer lang anhaltenden Rezession macht europaweit nicht nur Politikern Sorgen – sondern auch Italiens Wirtschaft. Die Stimmung unter den vielen kleinen und mittelständischen Unternehmern, die das wirtschaftliche Rückgrat des Landes bilden, hat sich im Dezember deutlich eingetrübt. Prognosen zufolge soll das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr um 1,6 Prozent einbrechen und sich auch 2013 kaum erholen.

Viele Unternehmer in Italien sehen damit ihre Befürchtungen bestätigt, dass das erste Sparpaket des neuen Regierungschefs, Mario Monti, zwar die Staatsfinanzen konsolidieren, die rezessiven Tendenzen aber verstärken wird. Vor allem, weil es Steuererhöhungen beinhaltet. In Summe will der Staat 80 Mrd. Euro einsparen.

„In Italien hat der Winter der Rezession früher begonnen und wird schlimmere Folgen haben als in anderen Ländern“, warnt der Unternehmerverband Confindustria. Das Land verfügt trotz seiner hohen Verschuldung jedoch über weitaus mehr Potenzial als Griechenland. Die drittstärkste Volkswirtschaft der Eurozone ist zumindest im Norden wirtschaftlich stark, auch Privathaushalte sind kaum verschuldet. Doch Italien erstickt an einem gewaltigen Reformstau, der die Wirtschaft lähmt. Nur wenn diese angekurbelt wird, kann sich der Staat aus der Schuldenfalle befreien. Die Hoffnung der Unternehmen liegt daher im 68-jährigen Mario Monti. Von vielen Unternehmern wird er als einer der ihren bezeichnet. „Er liegt bei wirtschaftspolitischen Fragen genau auf unserer Linie“, sagt etwa Emma Marcegaglia, die Präsidentin von Confindustria. Sie drängt daher erneut auf eine rasche Liberalisierung des Arbeitsmarktes und Impulse für die lahmende Wirtschaft. „Es darf in der Diskussion keine Tabus geben“, sagt Marcegaglia.

Widerstand der Gewerkschaften

Erst diese Woche berief Monti seine Minister zu einer Sondersitzung nach Rom, um über die nächsten Schritte zu beraten. Nach dem Sparplan zur „Rettung Italiens“ müsse nun ein Paket „Wachse Italien“ folgen. Monti versprach eine Reform des Arbeitsmarktes, Maßnahmen zur Stärkung des Wettbewerbs und Infrastrukturprogramme für den Süden. Konkrete Maßnahmen blieb er schuldig, sie sollen bis Ende Januar vorgestellt werden.

Der Appell Marcegaglias aber richtet sich nicht nur an die Regierung, sondern auch an die kampferprobten Sozialpartner. Die drei großen italienischen Gewerkschaften haben vor Weihnachten zum ersten Mal seit Jahren gemeinsam zu Streiks aufgerufen. Sie halten das Sparpaket für zutiefst ungerecht, weil es vor allem die sozial Schwachen trifft. Dass Liberalisierungsmaßnahmen unausweichlich sind, wissen auch die Arbeitnehmervertreter. Doch die Widerstände in allen Teilen der italienischen Gesellschaft sind groß. Erbitterten Widerstand hat Monti aber auch bei einer Reform des Arbeitsrechts zu erwarten. Derzeit sind in Italien in Betrieben mit mehr als 15 Mitarbeitern Kündigungen aus „ungerechtfertigten Gründen“ – also auch aus wirtschaftlichen – gesetzlich nicht möglich. Die Chefin des größten Gewerkschaftsverbandes, Susanna Camusso, hält das schlicht für einen „zivilisatorischen Akt“.

Viele Unternehmer beklagen dagegen, dass sie auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Arbeitnehmer bis zur Rente mitschleppen müssen und keine jungen Leute anstellen können. Ähnlich wie in Spanien ist die Arbeitslosigkeit unter Jungen in Italien hoch: Jeder Dritte unter 35 arbeitet in prekären Verhältnissen, jeder Fünfte unter 30 hat keinen Job, bei den unter 25-Jährigen jeder Zweite.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2011)

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