Thunell: „Osteuropa wird zu Unrecht bestraft“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die strengeren Regeln für Österreichs Banken werden eine Kreditklemme in Osteuropa auslösen, warnt Lars Thunell, Chef der Weltbank-Tochter IFC.

Die Presse: Die Eurozone ringt nun seit über zwei Jahren mit der Schuldenkrise. Hat sie Osteuropa schon erreicht?

Lars Thunell: Ja, aber noch nicht mit voller Wucht. Die westlichen Banken, die drei Viertel der Branche in der Region halten, sind stark unter Druck. Die Nachfrage der Handelspartner im Westen ist am Boden. Migranten überweisen immer weniger Geld in ihre Heimatländer zurück. Geldgeber werden vorsichtiger. Wie sehr das Osteuropa letztlich schmerzen wird, hängt davon ab, wie tief die Krise im Westen sein wird. Löst die Eurozone ihre Probleme nicht, erwartet uns eine weitere große Rezession.

Wie beurteilen Sie die Versuche der Politiker, der Krise Herr zu werden?

Im Moment werden „Firewalls“ um bedrohte Länder gebaut, Institutionen wie der IWF bekommen mehr Geld, Staaten setzen mehr oder weniger engagiert Reformen um. Vergessen wird dabei, dass auch eine Aussicht auf neues Wachstum nötig ist. Menschen können eine Zeit lang Schmerz ertragen, aber niemand kann sich zu Wohlstand hungern.

Davon sind wir ja vergleichsweise weit entfernt. So hat sich die EZB etwa eben erst entschlossen, die Märkte mit Geld zu fluten. Viele Menschen fürchten, dass am Ende dieser „Löschaktionen“ eine hohe Inflation wartet.

Das war eine nötige und richtige Entscheidung der EZB. Sie allein wird uns aber nicht helfen. Jedes einzelne Land muss seine Schulden unter Kontrolle bekommen und international wettbewerbsfähig werden. Dann wird auch das Wachstum wiederkommen.

Im Moment steuert Europas Boomregion im Osten auf eine Halbierung der Wachstumsraten aus 2011 zu.

Osteuropa wird zu Unrecht für das bestraft, was im Westen passiert. Wie in allen Schwellenländern fallen Boom und Rezession auch hier extremer aus. Ein Beispiel wie es letztlich funktionieren kann, ist Lettland. Das Land war noch vor wenigen Jahren am Boden, hat seine Wirtschaft aber radikal umgebaut und ist mittlerweile wieder auf dem Wachstumspfad.

Die Zeit bis dahin war für die Letten aber sehr schmerzhaft. Freiwillig finden sich da offenbar nur wenige Nachahmer in Europa.

In der Krise ist es am besten, wenn die Einschnitte schnell kommen und tief gehen, dann geht es danach umso schneller wieder bergauf. Das gilt für Lettland genauso wie für Griechenland und jedes andere Land. Als Schweden in den Neunzigern seine Finanzkrise hatte, war auch ich in die Lösung eingebunden. Es wurden schnell politische Entscheidungen getroffen, die Verluste geschluckt und geschaut, so schnell wie möglich wieder zu Wohlstand zu kommen.

Für rasche Lösungen kommen Europas Politiker wohl zu spät. Die meisten trauen sich derart harte Einschnitte nicht zu, weil sie um ihre Wählerstimmen fürchten. Was war in Schweden anders?

In Schweden gab es in dieser einen Sache Einigkeit über Parteigrenzen hinweg. Da wurde keine kurzfristige Parteipolitik mehr gemacht, sondern das, was am besten für das Land war. Ähnlich wie in Italien, wo die Parteien einen Experten, einen Nichtpolitiker an die Spitze des Landes gesetzt haben. Europa braucht solche Entscheidungen. In Spanien sind über 40 Prozent aller Jungen arbeitslos. Man muss diesen Menschen auch zeigen, dass es Hoffnung gibt.

In Osteuropa schrumpft die Hoffnung auf Wachstum unterdessen weiter. So steht etwa Österreichs Aufsicht bei der Kreditvergabe in der Region künftig stärker auf der Bremse. Wie wird sich das auswirken?

Ich verstehe zwar die österreichische Sichtweise des Regulators, die Länder im Osten wird das aber sehr schmerzen. In manchen Staaten sind Kredite schon heute knapp. Die Kreditklemme wird sich verschärfen und Institutionen wie der IWF, die EBRD oder die Weltbank werden die Lücke schließen müssen. Die Weltbank stellt etwa in den nächsten zwei Jahren 27 Mrd. Dollar für Schwellenländer zur Verfügung. Deutlich mehr als bisher.


Sie arbeiten seit Jahren mit Österreichs Banken vor Ort zusammen. Haben Sie nicht erkannt, dass diese zu hohe Risken eingehen?

Unser Job ist es, zu finanzieren und nicht, Risikoprofile westlicher Banken zu überprüfen. Bis 2008 galten Schwellenländer als einzige Hochrisiko-Zone. Die US-Immobilienkrise hat gezeigt, dass es auch in Industrieländern Risken gibt. Die Krise in der Eurozone zeigt, dass selbst Staatsanleihen, die nach den Regeln von Basel eigentlich risikolos sind, riskant sind. Nichts auf der Welt ist ohne Risiko.


Ist Osteuropas Erfolgsstory vorbei?

Nein. Die Region wird auch in Zukunft schneller wachsen als der Westen. In den letzten zwei Jahren kamen zwei Drittel des globalen Wachstums aus den Schwellenländern – Osteuropa ist Teil davon.

Zur Person

Der Schwede Lars Thunell (63) versorgt als Chef der Weltbank-Tochter IFC seit fünf Jahren Banken und Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern mit Krediten.

In den 1990er-Jahren war der Exmanager der Großbank SEB auch in die Lösung der schwedischen Finanzkrise involviert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2012)

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