Demografie: Steuern gegen die Überalterung

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Die deutsche CDU/CSU hat ein Strategiepapier veröffentlicht, das das Problem der Überalterung angehen soll. Zum Beispiel mit einer Abgabe für alle ab 25. Aspekte des Papiers könnten Potenzial zum Aufreger haben.

Wien/Berlin. „Demografierücklage“ nennt sich das deutsche Zaubermittel, das helfen soll, die immer älter werdende Bevölkerung zu finanzieren. Durch die Überalterung fehlen der deutschen Wirtschaft Fachkräfte. Deshalb hat die CDU/CSU nun ein Expertenpapier vorgelegt, das erstmals politische Maßnahmen gegen die „Überalterung“ der Bevölkerung bündelt und konkretisiert. Einige Aspekte des Papiers könnten durchaus das Potenzial zum Aufreger haben: Wenn es nach der CDU/CSU geht, soll jeder Deutsche über 25 Jahre eine verdienstabhängige Sonderabgabe zahlen, die bis zu einem Prozent des Einkommens betragen kann. Der damit geschaffene Finanzpuffer soll verhindern, dass die Sozialabgaben in den kommenden Jahren in die Höhe schnellen.

Der österreichische Pensionsforscher Bernd Marin findet die Idee, dass sich Deutschland mit dieser Abgabe „Schwankungsreserven“ anlegt, prinzipiell überlegenswert. Allerdings müsse man sich den Vorschlag im Detail ansehen und ganz allgemein mehr Generationengerechtigkeit herstellen. Der Demografieforscher Wolfgang Lutz, Leiter des „Wittgenstein Centre for Demography and Global Capital“ in Laxenburg, betrachtet die Abgabe hingegen als ungerecht.

„Gut dotierter Ruhestand“

„Die Generationengerechtigkeit liegt derzeit schief“, sagt Lutz. „Es gibt eine Elterngeneration, die sich jetzt bequem in den gut dotierten Ruhestand verabschiedet.“ Die Jungen, die auch zur Kasse gebeten werden sollen, hätten aber zum Teil nicht mehr das Rüstzeug, den immer härter werdenden wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen standzuhalten. „Da geht es um Bildung, aber auch um emotionale Festigkeit“, sagt Lutz. Die deutsche Demografiesteuer sieht Lutz auch deshalb kritisch, weil das „im Grunde nur ein Hin- und Herschieben von Geld“ sei. Solange es ein Budgetdefizit gebe, sei die Zuverlässigkeit, dass die Abgabe in die richtigen Kanäle fließt, gefährdet.

Die deutsche Expertengruppe brachte zwar den Vorschlag ein, die Rücklage im Grundgesetz zu verankern, um eine missbräuchliche Verwendung zu verhindert, wie die „Welt“ berichtete. Derartige Fragen sollen aber erst nach Ostern geklärt werden. Neben der Anti-Überalterungssteuer werden im deutschen Demografiepaket auch Themen wie Pensionen, Zuwanderung, Familienpolitik und Bildung angepackt: Der Renteneintritt soll flexibler gestaltet und die Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten gelockert werden. „Umgelegt auf Österreich würde diese Maßnahme zu einem massiven Anstieg der Frühpensionen führen und wäre sicher kontraproduktiv“, sagt Marin. Vorbildlich funktionieren würde so etwas nur im Ländern wie Schweden. Dort zahle jeder, der früher in Pension geht, das selbst. Auch die vom CDU/CSU-Team bestätigte Anhebung des Rentenalters auf 67 sei „langfristig gesehen nicht ausreichend, weder für Deutschland noch für Österreich“.

„Rush Hour“ mit dreißig

Verbesserungen im Bereich Familienpolitik, ein weiterer Punkt des deutschen Strategiepapiers, halten beide Experten für unumstößlich. Hierzulande gebe es, so Lutz, mit dem Familienlastenausgleichsfonds auch ein brauchbares Instrument zur Umverteilung. Das Problem sei jedoch, das dieser wegen der allgemeinen Budgetknappheit „aus allen Richtungen abgesaugt“ würde, z. B. für Schülerfreikarten und Schulbuchaktionen. Generell hält Lutz eine Umverteilung von Kinderlosen zu Familien für notwendig. Menschen, die sich in der „Rush Hour of Life“ befänden, also um die dreißig herum zugleich an der Karriere zimmern und eine Familie gründen wollten, würden zu wenig unterstützt.

Positiv bewerten Marin und Lutz das Vorhaben, die Einwanderung gezielter zu steuern. Die CDU/CSU-Politik will eine „Zuwanderung in konkrete Beschäftigungsverhältnisse forcieren“ und die „Zuwanderung in die sozialen Sicherheitssysteme“ eindämmen. „Das wäre wegen des zunehmenden Facharbeitermangels auch in Österreich begrüßenswert. Natürlich soll man weiterhin auch Menschen in Not aufnehmen. Aber diese Migration sollte die Minderheit darstellen“, sagt Marin. Als entscheidend sehen Marin und Lutz den Faktor Bildung. Die Experten der CDU/CSU plädieren dafür, die staatlichen Bildungsausgaben dauerhaft auf zehn Prozent des BIPs anzuheben.

Erste kritische Stimmen aus der SPD wurden bereits laut: Der frühere SPD-Parteichef Franz Müntefering lehnt die Demografierücklage ab und fordert stattdessen eine Stärkung der Kommunen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2012)

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