Großbritannien: Neuer Skandal um Falschberatung

(c) Reuters (PAUL HACKETT)
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Ein weiterer Bankenskandal bahnt sich an. Nach Restschuldversicherungen stehen nun Verkäufe von Zinsderivaten unter Beobachtung.

London. Gerade schien ein Fehlberatungsskandal überstanden, da erwartet Großbritanniens Banken eine weitere Welle von Klagen. „Es sieht so aus, als steht uns ein neuer fürchterlicher Skandal bevor“, sagte der Liberal-Democrats-Politiker Matthew Oakeshott zum „Sunday Telegraph“. Waren in der Causa um Verkäufe unzulänglicher Restschuldversicherungen Privatkunden die Leidtragenden, so handelt es sich nun um kleine Unternehmen. Inzwischen hat die Finanzregulierungsbehörde Financial Services Authority (FSA) eine Untersuchung gestartet.

Kreditkosten wurden höher

Bei der Aufnahme von Krediten sicherten sich Schuldner gegen stark steigende Zinssätze ab, indem sie Zinsderivate oder „Interest Rate Derivatives“ bei Banken kauften. Solche Produkte, wie sie vor allem von Barclays und HSBC, aber auch von den mittlerweile teilverstaatlichten Instituten Lloyds und Royal Bank of Scotland (RBS) verkauft wurden, entpuppten sich als böse Überraschung, als ab 2009 die Zinsen plötzlich stark fielen. Auf einmal wurden die Kosten der Kredite, die Unternehmen aufgenommen haben, aufgrund der Derivate nicht niedriger, sondern höher. Zahlreiche Kunden fühlen sich geprellt. „Es könnte sich um Milliarden Pfund handeln“, schätzt Michael Dempster, Finanzwissenschaftler der Universität Cambridge, das Ausmaß des Schadens. Für einige Geschäfte bedeuteten die Derivate schon den Konkurs.

Zuvor kam ein Verkaufsskandal mit Restschuldversicherungen die Banken teuer zu stehen. Diese Produkte sollten Kreditnehmer gegen Zahlungsunfähigkeit versichern, deckten aber die häufigsten Ursachen dafür nicht ab. Nun müssen die Geldinstitute rund sechs Mrd. Pfund an Ersatz aufbringen. Michael Dempster nimmt an, dass sich die Verkäufe der Zinsderivate mindestens in ebendiesen Dimensionen verhalten dürften. Mehrere Klagen von Unternehmenskunden gegen Banken sind bereits auf dem Weg.

Der „Sunday Telegraph“ berichtete von einem Fall, in dem ein Elektrogeschäft aus Norfolk einen Kredit von 970.000 Pfund bei Barclays Capital, der Investmentabteilung von Barclays, aufnahm. Hierauf sei eine Versicherung gegen steigende Zinsen abgeschlossen worden, die das Geschäft später 180.000 Pfund kostete. Die Bank soll daran rund 100.000 Pfund verdient haben.

„Durch den Verkauf derartiger Produkte zerstört die Finanzbranche das Vertrauen der Leute“, sagte Martin Wheatley, Managing Director der FSA. Statt Kunden komplexe Derivate zu verkaufen, sollten Banken lieber zuerst an den Nutzen des Kunden denken. In einem Report veröffentlichte die FSA eine Liste der größten Risken, die Kunden beim Geschäft mit Banken eingingen. Das häufigste Problem sei, dass ihnen unpassende Produkte verkauft würden.

Regierung schaltet sich ein

„Es sieht danach aus, als wären die Banken einmal wieder von ihrer Kernfunktion, dem Geldleihen, abgewichen und hätten nicht auf ihre Kunden geachtet, sondern auf ihre Zahlen unterm Strich“, beschwerte sich auch Graeme Fisher vom Verband für kleine Unternehmen, der „Federation of Small Businesses“ (FSB). Von teuren Zinsderivaten, die vor allem zwischen 2005 und 2007 verkauft wurden, seien alle möglichen Formen von Betrieben betroffen.

In einigen Fällen sollen sich Banken bereits außergerichtlich geeinigt haben. Der „Sunday Telegraph“ berichtete von einem Übereinkommen, bei dem HSBC 250.000 Pfund zahlte. Dennoch bestehen die Banken entgegen allen Anschuldigungen darauf, sich bei den Verkäufen aufrichtig verhalten zu haben. RBS und HSBC gaben zu Papier, man habe strikte Regeln für den Verkauf von Finanzprodukten, den Kunden werde stets genügend Information bereitgestellt. Dennoch kam heraus, dass Barclays Kunden dazu drängte, nicht die FSA zu kontaktieren: Man scheint sich eines Vergehens durchaus bewusst gewesen zu sein.

Neben der FSA und dem Financial Ombudsman Service, einer Beschwerdestelle, hat auch die Regierung angekündigt, sich mit dem Fall zu befassen. Hunderte Beschwerden sind nun zu erwarten. Vergangene Woche begann zudem die FSA, Gespräche mit geprellten Kunden zu führen.

Auf einen Blick

Das britische Bankensystem hat eben einen Falschberatungsskandal um Kreditversicherungen hinter sich, nun bahnt sich der nächste an: Zahlreiche Unternehmenskunden wurden vor der Finanzkrise 2008 angehalten, komplizierte Zinsabsicherungsgeschäfte für ihren Kredit abzuschließen. Diese haben nun häufig zur Folge, dass die Kreditlast steil angestiegen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2012)

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