Klassenkampf auf der Brick Lane

(c) AP (Sang Tan)
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Bangladescher bilden die ärmste Minderheit Großbritanniens. Bei der Londoner Bürgermeisterwahl unterstützt nun eine neu gegründete Gewerkschaft die Labourpartei.

London. Azmal Hussain legt den Löffel zur Seite. Sein Mittagessen ignoriert er für einen Moment. „Das Problem ist die Ausbeutung in unserer Gemeinschaft. Dagegen müssen wir was tun, und zwar alle Bangladescher“, sagt er und ballt die Faust. Inder, Pakistanis und andere Minderheiten in Großbritannien bekämen das schließlich auch hin. In der Nachbarschaft müsse man anfangen, wo die Leute sich kennen und man sozialen Druck aufbauen könne. „Immerhin“, sagt Hussain, „ist mein Restaurant jeden Montagabend zur Gewerkschaftssitzung voll. Und dann organisieren wir uns.“

Das Lokal „Preem & Prithi“ auf der Londoner Restaurantmeile Brick Lane ist seit einiger Zeit Schauplatz eines Klassenkampfes. Im Rahmen der vor einem halben Jahr gegründeten „Bangladeshi Workers Association“ (BWA) treffen sich hier regelmäßig Köche und Kellner, um gegen schlechte Arbeitsbedingungen einzutreten.

Nicht zuletzt durch Ausbeutung im südasiatischen Restaurantgewerbe bilden die Bangladeschis die ärmste Minderheit Großbritanniens. Bei der Londoner Bürgermeisterwahl unterstützt die noch junge Gewerkschaft die an ihrer Gründung beteiligte Labourpartei. Dabei stößt die Gruppierung innerhalb der Gemeinschaft auf Widerstand. „Viele der Leute hier verdienen wenig oder gar nichts“, sagt Hussain. „Ich weiß von Köchen, die nur 80 Pfund (98 Euro) in der Woche bekommen.“ Viele arbeiteten bis zu zwölf Stunden am Tag. Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder ein freies Wochenende kennen sie nicht.

Viele leben in relativer Armut

Auf der Brick Lane befinden sich fünfzig Lokale, der Kampf um Kunden ist hart. Jede Gelegenheit, Kosten zu sparen, kommt da recht, und bei den Arbeitskräften ist das oft möglich. „Viele kennen ihre Rechte nicht“, erklärt Shiria Khatun. Für die Labourpartei ist sie Gemeinderätin in Tower Hamlets, dem Stadtteil von Brick Lane und der überwiegenden Mehrheit der fast 170.000 Bangladescher in London. Khatun steht in regelmäßigem Kontakt mit der BWA. „Es ist wichtig, dass sich die Menschen zusammentun. Viele Einwanderer haben ähnliche Probleme, etwa mangelnde Kenntnis im Arbeitsrecht. Dadurch können sie ausgebeutet werden, ohne es zu merken.“

Im Wahlkampf macht sich Khatun für die Stellung der Gewerkschaft stark. Nur so, glaubt sie, könnten es viele der Menschen in Tower Hamlets aus der Armut schaffen. Keiner anderen Minderheit in Großbritannien geht es ökonomisch und sozial so schlecht wie den Bangladeschern. 65 Prozent von ihnen leben in relativer Armut, verdienen also weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens. Ein Viertel aller Bangladescher im arbeitsfähigen Alter ist arbeitslos, mehr als die Hälfte verdient weniger als sieben Pfund die Stunde. Die meisten Frauen sind gar nicht in den Arbeitsmarkt eingegliedert.

Die Soziologin Claire Alexander, von der London School of Economics, sieht wichtige Gründe in der Herkunft der Einwanderer. „Nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Siebzigerjahre kamen viele aus Bangladesch nach Großbritannien, die meisten mit geringerem Bildungsstand als Immigranten aus anderen Ländern. Für die Erstankömmlinge war das nicht schlimm, sie bekamen Jobs in der Textilindustrie. Aber als sich Großbritannien deindustrialisierte, gingen Jobs verloren. Viele zog es ins scheinbar blühende Restaurantgewerbe.“ Als die Politik das unter Einwanderern übliche Pendeln zwischen Herkunftsland und Wohnort schwieriger machte, zogen es viele Bangladescher mit befristeter Aufenthaltserlaubnis vor, Großbritannien nicht mehr zu verlassen. „Diejenigen haben auf dem Arbeitsmarkt einen besonders schweren Stand. Der Arbeitgeber kann sie praktisch bezahlen, wann und ob er will.“ Wie viele Bangladescher ohne Aufenthaltserlaubnis in London leben, ist nicht bekannt. Azmal Hussain schätzt, dass allein von den 110.000 Arbeitskräften im bangladeschischen Restaurantgewerbe 10.000 dieses Problem haben.

Mitgliedschaft nicht erwünscht

Migrationsexperte John Solomos von der City University London sieht in der Gewerkschaftsgründung einen positiven Schritt. Die indische Gemeinschaft habe es in den Siebzigerjahren ähnlich gemacht und sei heute wohlhabender als andere Minderheiten Großbritanniens. Zudem schneiden Bangladescher zweiter Generation meist gut in der Schule ab. Sie gehen an Universitäten und suchen sich Jobs außerhalb der Gastronomie. „Schwierig ist es für diejenigen, die offiziell nicht hier sind.“

Von jenen Bangladeschern ohne Aufenthaltsgenehmigung kann sich die Politikerin Shiria Khatun keine Stimmen versprechen. Aber auch die meisten der offiziell Angestellten in der Brick Lane verweigern die Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft. Viele Restaurantbesitzer drohten ihren Arbeitern im Beitrittsfall mit der Kündigung. Nach der Wahl, hofft Hussain dennoch, werde seine Gewerkschaft nicht nur unter Experten, sondern auch in der Brick Lane einen besseren Stand haben.

Auf einen Blick

Migranten aus Bangladesch bilden die ärmste Minderheit Großbritanniens. Viele von ihnen sind im Restaurantgewerbe beschäftigt – und kennen ihre Rechte nicht.
Zum Kampf gegen schlechte Arbeitsbedingungen wurde nun die Gewerkschaft „Bangladeshi Workers Association“ ins Leben gerufen. Ein Großteil der 110.000 Bangladescher im britischen Gastgewerbe verweigert jedoch die Mitgliedschaft bei der neuen Gewerkschaft. Die Restaurantbesitzer hatten ihnen für den Fall, dass sie Gewerkschaftsmitglieder werden, mit Kündigung gedroht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2012)

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