Gefährlicher Machtkampf um Europas Banken

Gefaehrlicher Machtkampf Europas Banken
Gefaehrlicher Machtkampf Europas Banken(c) EPA (IAN LANGSDON)
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Großbritannien und Schweden riskieren mit Sonderwünschen für ihre Bankkonzerne schwere Verwerfungen auf dem Binnenmarkt - vor allem in Österreichs östlichen Nachbarländern.

Brüssel. Europas Bankensystem droht durch einen Wettlauf der nationalen Aufsichtsbehörden noch weiter geschwächt zu werden. Britannien und Schweden fordern nämlich, die Eigenkapitalvorschriften für ihre Banken eigenmächtig verschärfen zu dürfen. Sie werden heute, Mittwoch, beim Treffen der Finanzminister in Brüssel mit Nachdruck argumentieren, strengere Regeln anwenden zu dürfen, als es die EU verlangt.

Auf den ersten Blick sieht das nach einem vernünftigen Zugang der Finanzmarktaufseher in London und Stockholm aus. Die Bankenwelt geriet schließlich vor vier Jahren vor allem dadurch ins Wanken, dass viele Institute nicht genug bombensicheres Eigenkapital hatten, um Spekulationsverluste aus eigener Tasche begleichen zu können. Tatsächlich aber ist der britisch-schwedische Vorstoß ein hoch riskanter Angriff auf den europäischen Binnenmarkt für Bankdienste. Er würde vor allem in den zehn mittelosteuropäischen EU-Staaten, deren Bankwesen zu fast drei Vierteln in ausländischer Hand ist, zu einem fatalen Abfluss an Finanzkapital führen.

Strengere Regeln für 8300 Kreditinstitute

In der Sache geht es um die Basel-III-Reformen. Sie sehen unter anderem vier neue Regeln für das Eigenkapital vor. Erstens muss jede der rund 8300 europäischen Banken künftig 4,5 Prozent statt wie bisher zwei Prozent supersicheres Kernkapital vorweisen können. Einfach gesagt sind das eigene Aktien und Gewinnrücklagen. Dadurch wird die schon bisher vorgeschriebene Eigenkapitalquote von acht Prozent robuster.

Zweitens legt Basel III einen „antizyklischen Puffer“ auf diese acht Prozent drauf. In konjunkturell guten Zeiten sollen die Banken dazu verpflichtet werden, 2,5 Prozent an Eigenkapital zurückzuhalten.

Die dritte Neuerung von Basel III ist der „Kapitalerhaltungspuffer“ von weiteren 2,5 Prozent. Wenn eine Bank es nicht schafft, dieses Kapital beiseitezulegen, darf ihr die zuständige Aufsichtsbehörde die Ausschüttung von Dividenden verbieten.

Diese drei Neuerungen sind unumstritten, doch bei der vierten kracht es. Die Mitgliedstaaten sollen nämlich jenen Banken, die sie als systemrelevant für ihr nationales Finanzwesen ansehen, einen weiteren Puffer vorschreiben dürfen. Bis zum Wert von drei Prozent soll jede Bankaufsicht das in Eigenregie machen dürfen. So schlug es Binnenmarktkommissar Michel Barnier vor. Will ein Aufseher „seinen“ Banken allerdings einen größeren „strukturellen Puffer“ vorschreiben, soll er zuerst bei der Kommission, der EU-Bankenaufsicht in London und dem Europäischen Ausschuss für systemische Risken (ein Gremium unter Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank), um Erlaubnis fragen.

Fremde Konzerne dominieren Osteuropa

Den Briten und Schweden ist das zu wenig. Sie wollen die Grenze bei fünf Prozent einziehen. Wem nun angesichts all dieser Zahlen und Puffer der Kopf brummt, der sollte sich eines vor Augen führen: Je höher die Eigenkapitalvorschriften in einem EU-Land sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die ausländischen Tochtergesellschaften der Banken dieses Landes Kapital an ihre Konzernmütter schicken. Solche „Repatriierungen“ schwächen also das Bankensystem von Ländern, in denen besonders viele Töchter fremder Finanzkonzerne tätig sind.

Genau das ist in den zehn mittelosteuropäischen EU-Staaten von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer der Fall. Laut Europäischer Zentralbank wurde zum Beispiel Ungarns Bankenwesen im Jahr 2009 zu 56,3 Prozent von ausländischen Konzernen dominiert, jenes von Rumänien zu 76 Prozent, das von Bulgarien zu 83,7 Prozent und das tschechische zu 89,7 Prozent. Überspitzt gesagt gibt es gar kein slowakisches Bankwesen – denn 96,1 Prozent des dortigen Marktes werden von ausländischen Kreditinstituten beherrscht.

„Wettrennen um Investitionen“

Ein EU-Diplomat warnte dieser Tage vor einem „Wettrennen um Investitionen“, bei dem vor allem die kleinen Staaten kaum mithalten könnten. Natürlich könnte zum Beispiel die Slowakei nachziehen und ihren strukturellen Puffer ebenfalls erhöhen. „Aber glauben Sie ernsthaft, dass sich zum Beispiel die BNP Paribas vom Regulator eines kleinen Landes Maßnahmen auferlegen ließe, die die ganze Gruppe betreffen? Natürlich nicht. Sie wird sich eher aus diesem Markt zurückziehen.“ Eine Sorge, die Kommissar Barnier ebenfalls umtreibt. Er warnt davor, dass ein größerer Spielraum für die nationalen Aufseher „den Binnenmarkt für das Bankwesen schädigen könnte“.

Auf einen Blick

Mehr Eigenkapital für die Banken: Das ist eine der wichtigsten Reaktionen der EU auf die Finanzkrise. Die Eigenkapitalquote von acht Prozent soll verstärkt werden, weitere Kapitalpuffer mehr Absicherung liefern.

Britannien und Schweden wollen aber noch strengere Regeln in Eigenregie verordnen. Die EU-Kommission warnt vor einer Gefahr für den Binnenmarkt. Heute, Mittwoch, verhandeln die EU-Finanzminister in Brüssel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2012)

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