Karriere-Talk: Über Brüssel an die Spitze

(c) Die Presse (Matthias Silveri)
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Warum man als junger Mensch im politischen Herzen der EU gearbeitet haben soll, was einen dort erwartet und was man bei der Rückkehr bedenken muss, wenn man die Karriere voranbringen will.

Am Ende meiner ersten Woche als Praktikant bei der Europäischen Kommission („Stagiaire“ sagen Menschen, die ihre Weltläufigkeit unter Beweis stellen wollen) in Brüssel war ich tief deprimiert. Der kanadisch-italienische Cambridge-Absolvent, der nach einem Jahr für die UNO die Arbeit am Roman-Erstling unterbrach, um ein bisschen bei der EU zu jobben; die ungarisch-estnische Diplomatentochter mit der Figur einer Volleyballspielerin und jenem „Crisp Accent“, den man nur auf britischen Privatschulen lernt; der fünfsprachige Sohn des britischen Botschafters in den USA, der als zweitbester seines Jahres in Oxford spondiert hat und heute für das Weltwirtschaftsforum strategische Berichte über die Türkei verfasst: alle waren gescheiter, polyglotter, profilierter als ich.

Eine Erfahrung, die für viele berufliche Bereiche in der politischen Hauptstadt Europas kennzeichnend ist, sagte Harald Hartung vergangene Woche beim Karriere-Talk der „Presse“, der erstmals im „Justizcafé“ des Justizpalastes über den Dächern Wiens stattfand. Ermöglicht wird die Veranstaltungsreihe durch die Partner Capgemini, Industriellenvereinigung, Mobilkom Austria, Wirtschaftskammer, ÖBB, Wirtschaftsministerium und Bank Austria. „Wir vergeben bei der Kommission pro Semester 600 Praktikantenplätze. Für die melden sich jedes Mal 6000 bis 8000 Bewerber. Die haben alle eine sehr gute Ausbildung, internationale Erfahrung und sprechen drei bis vier Sprachen“, erklärte Hartung, der vor rund 20 Jahren für die Industriellenvereinigung nach Brüssel ging und heute Abteilungsleiter bei der Generaldirektion Bildung und Kultur der Kommission ist.

„Brüssel ist Teil der Grundausstattung“

Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Anforderungen an Hochschulabsolventen in den vergangenen zehn Jahren geändert haben. Mitte der 1990er Jahre kam es noch dem Ziehen einer Trumpfkarte gleich, wenn man beim Vorstellungsgespräch auf ein Berufspraktikum bei einer der politischen Körperschaften in Brüssel verweisen konnte. Heute ist das in vielen Branchen eine Voraussetzung, um überhaupt in die engere Auswahl zu kommen. „Das ist Teil der Grundausstattung. Man ist ein halber Analphabet, wenn man in einer Interessenvertretung arbeiten will und nicht weiß, wie Brüssel funktioniert“, sagte Markus Beyrer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung und ebenfalls einer von jenen, die eine Zeit „draußen“ verbracht haben. „Für Juristen und Berater ist Brüssel ein Muss“, pflichtete Hartung bei.

Das liegt vor allem daran, dass Brüssel in erster Linie ein Hort der Bürokratie ist. Und die ist in hohem Maße an genau nachvollziehbaren Abläufen orientiert, sagte der Personalberater Wolf Hartig-Girardoni. „Unternehmen wiederum sind im Gegenzug stark ergebnisorientiert.“ Das klingt nach Managementtheorie, ist aber eine wichtige Erkenntnis, an der sich jeder orientieren sollte, der seine Karriere über die Station Brüssel führen will. Denn nicht in jeder Branche ist ein Brüssel-Aufenthalt gleich viel wert. „Das wird dann ein Thema, wenn man über die Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft in letztere wechselt“, sagte Hartig-Girardoni.

Spätestens dann stellt sich die Frage nach dem Geld. Sind Brüsseler Stellen tatsächlich stets viel besser bezahlt als solche daheim in Österreich? „Tendenziell schon“, meinte Beyrer. „Das hängt stark von der Position ab“, sagte Hartig-Girardoni. „Und es ist Verhandlungssache“, fügte Hartung hinzu. Praktikanten der Kommission bekommen derzeit eine Aufwandsentschädigung von 1000 Euro. Zur Orientierung: Fürs Wohnen (und da sprechen wir von einem Zimmer zur Untermiete) muss man in Brüssel mit mindestens 350 Euro rechnen (so viel zahlte ich vor fünf Jahren), das sonstige Leben kostet ähnlich viel wie in Wien.

Ein Frage des eigenen Antriebs

Fürs Geld macht man ein Praktikum bei Kommission, Rat oder Europaparlament aber ohnehin nicht, sondern für die Erfahrung. Und die kann man dort massenhaft sammeln – wenn man genug Eigeninitiative aufweist und sich die vielen Konferenzen und Parlamentsdebatten anhören möchte. Eigenantrieb, der auch bei künftigen Arbeitgebern geschätzt wird. „Für uns ist relevant, dass ein Bewerber Initiative gezeigt hat“, sagte Andreas Brandstetter, Vorstandsmitglied der Uniqa und zu Studentenzeiten selber einmal Praktikant im Parlament. „Es geht um die Persönlichkeit, die mich fasziniert. Ich nehme nicht notwendigerweise die Absolventen in Mindeststudienzeit.“

Wobei er zu bedenken gibt, dass „die Wirtschaftsmusik in Frankfurt und London spielt. Für mich ist es nicht so relevant, ob ein Bewerber Brüssel im Lebenslauf hat.“ Relevant ist hingegen die Frage, ob man aus Brüssel nach Österreich zurückkehren will. „Das ist hierzulande noch nicht in die Karriereplanung eingebunden“, sagte Martina Rattinger, die das Büro des Landes Kärnten in Brüssel leitet. Von den rund 100 Praktikanten, die sie dort seit 1995 betreut habe, hätten einige Schwierigkeiten, in Österreich einen adäquaten Job zu finden.

Ein Problem, das auch vielen Privatunternehmen Kopfzerbrechen bereitet, die Mitarbeiter nach Brüssel schicken. Denn die lernen dort meistens so viel und entwickeln sich so stark weiter, dass es oft schwierig ist, daheim etwas ähnlich Spannendes für sie zu finden. „Österreich ist ein so kleines Land, dass man eine Horizonterweiterung braucht“, gab Georg Schöppl, Finanzvorstand der Bundesforste und ebenfalls ein „Alt-Brüsseler“, zu bedenken.

Weitere Bilder zur Veranstaltung Sie unter www.diepresse.com/karriere

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2008)

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