Zwei sehr schlechte Nachrichten für den Euro

Headquarters of the European Central Bank (ECB) is seen illuminated with a giant euro sign at the start of the ´Luminale, light and building´ event in Frankfurt
Headquarters of the European Central Bank (ECB) is seen illuminated with a giant euro sign at the start of the ´Luminale, light and building´ event in Frankfurt(c) REUTERS (KAI PFAFFENBACH)
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Großbritanniens Austritt schwächt die Position der Marktverfechter in der EU. Wohin die Euroreise geht, zeigt die Verurteilung des griechischen Ex-Chefstatistikers wegen der Aufdeckung von Athener Budgetschummeleien.

Zwei bemerkenswerte Ereignisse mit hohem Symbolwert haben in den beiden vergangenen Tagen auf EU-Ebene stattgefunden: Großbritannien hat den Brexit getriggert. Und ein griechisches Berufungsgericht hat Andreas Georgiou, den früheren Chefstatistiker des Landes, wegen Verleumdung zu zwölf Monaten bedingter Haft verurteilt.

Des Statistikers Verbrechen: Er hatte die kriminell geschönten Budgetstatistiken des Landes auf einen realistischen Wert getrimmt. Und damit, weil dieser realistische Wert ein Budgetdefizit von 15,8 statt der erlaubten drei beziehungsweise der von Athen schon zugegebenen 13,6 Prozent des BIPs aufwies, nicht nur die Verhandlungen um das zweite Griechenland-Hilfspaket stark beeinflusst, sondern damit offenbar auch eine Art Hochverrat begangen.

Was die beiden Vorgänge miteinander zu tun haben? Mehr, als man auf den ersten Blick glauben möchte. Besonders dann, wenn man an die Zukunft der Union denkt. Denn mit Großbritannien verliert die EU nicht nur ihre zweitgrößte Volkswirtschaft, sondern auch noch einen der wichtigsten Verfechter der Ursprungsidee, die den gemeinsamen Markt zum Zentrum der Union machte. Und nicht die vom „Club Med“ forcierte Bildung einer Transfer- und Schuldenunion, wie sie immer stärker zutage tritt.


Unter den großen EU-Ländern bleibt jetzt nur noch Deutschland als Verfechter der zukunftsträchtigen Ursprungsidee übrig. Und zwar deutlich geschwächt. Auch innerhalb der Eurozone, obwohl die Briten der Gemeinschaftswährung gar nicht angehört haben.

Damit bekommen jetzt jene Euro-Mitglieder Oberwasser, die die Währungsunion mit Trickserei und Reformresistenz schon mehrmals an den Rand des Absturzes gebracht haben. Keine schöne Aussicht.

Jetzt rächt sich die Politik der Neunzigerjahre: Der Euro, eine zutiefst wirtschaftliche Angelegenheit, wurde als rein politisches Projekt konzipiert. Mit dem Ziel, möglichst viele EU-Länder von Anfang an in die Gemeinschaftswährung zu bringen. Die Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrags, auf dem die ganze Angelegenheit basierte, waren damit schon Makulatur, bevor noch der erste Euro in Umlauf kam.

Legendär ist ja der Datenbetrug, mit dem sich die griechische Regierung 2001 in den Euro schummelte (und der in den übrigen Staatskanzleien zu diesem Zeitpunkt zumindest in Ansätzen bereits bekannt war). Aber auch Italien und Belgien hätten wegen ihrer damals schon irren Staatsschulden seriös keine Chance gehabt, an der Europawährung teilzunehmen. Auch das war den Euro-Gründervätern bewusst. Aus vor ein paar Jahren aufgetauchten Regierungsdokumenten geht beispielsweise hervor, dass die Regierung Kohl ernste Bedenken hinsichtlich der Solidität der italienischen Staatsfinanzen diskutierte – und beiseitewischte.

Diese krasse politische Fehlentscheidung hätte später durch besonderen Druck auf die Einhaltung der Maastricht-Konvergenzkriterien korrigiert werden können. Wurde sie aber nicht. Im Gegenteil: Es wurde weiter weggeschaut.

Die „Verleumdung“ des Herrn Georgiou passierte ja nicht bei der Euro-Gründung, sondern während der Griechenland-Krise 2010, als die Athener Regierung ihr Heil wieder einmal im Datentricksen statt in Reformen sah. Und jetzt, wo die nächste Griechenland-Krise heraufdämmert, wurde der ehemalige Chefstatistiker (von 2010 bis 2015) verurteilt. Statt dass man ihm einen Orden für besondere Verdienste um die Eurozone umgehängt hätte. Die Conclusio lautet also: Nichts gelernt.

Man muss sich nur den aktuellen Zustand der Club-Med-Zone innerhalb des Euro anschauen. Wenn die langjährige, noch immer anhaltende Nullzinspolitik der EZB einen Sinn hatte, dann den, Euroländern mit Strukturproblemen Luft für die notwendigen Reformen zu verschaffen. Das haben einige (etwa Spanien und Portugal) auch mehr oder weniger halbherzig getan, andere, wie beispielsweise Italien, aber nicht. Dort ist die Zinshilfe aus Frankfurt zum willkommenen Anlass genommen worden, unangenehme Reformen weiter aufzuschieben und die daraus entstehenden Ungleichgewichte mit immer höheren Staatsschulden zuzudecken. Das trägt den Keim der nächsten, diesmal wirklich großen Eurokrise in sich.

Wenn sich jetzt die politischen Gewichte innerhalb der EU vom Wirtschaftspolitikmodell Deutschland/Großbritannien zum Modell Italien/Griechenland verschieben, um das einmal so krass auszudrücken, dann wird die Stellung der „Nordeuro“-Staaten natürlich auch innerhalb der Währungsunion geschwächt. Das ist eine sehr ernste Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit des Euro.

Da muss jetzt politisch rasch und entschlossen gegengesteuert werden. Deutschland hat da einen wichtigen Hebel in der Hand: Wenn mit Großbritannien der zweitgrößte Nettozahler in der EU wegfällt, dann müssen die anderen Nettozahler dessen Anteil übernehmen. Derzeit geht halb Europa davon aus, dass die Deutschen den Löwenanteil dieser Last schultern werden. Das sollten die Deutschen für mehr wirtschaftspolitischen Druck nutzen. Und andere Nettozahler wie Österreich sollten sie dabei unterstützen. Dem Euro zuliebe.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2017)

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