Warum die Globalisierung scheitert

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Hält die Globaliseirung ihr Versprechen, die allgemeine Steigerung des Wohlstands? Die Wirtschaft werde wieder lokaler, stellen die Autoren fest.

Freunde der Globalisierung weisen gerne darauf hin, dass die Menschheit heute insgesamt wohlhabender ist als noch vor 50 Jahren. Das trifft wohl zu, wäre aber nur dann ein Argument für weltweiten Handel, Personen- und Kapitalverkehr, wenn dies der einzige Motor des technologischen Fortschritts wäre. Doch dafür gibt es keine theoretische Grundlage. Die gibt es bloss für die These, wonach der freie Handel die rasche Ausbreitung des neuesten technologischen Standards erzwingt. Wer nicht mithält, wird wegkonkurrenziert.

Doch diese Messlatte reisst die Globalisierung bei weitem. Nur wenige Länder produzieren heute wenigstens annähernd auf dem Stand der Technik und auch dort werden die Früchte der produktiven Arbeit immer einseitiger verteilt. Insgesamt leben heute weltweit wohl über 90 Prozent der Menschen deutlich weniger gut, als dies aufgrund der Produktionstechnologie möglich wäre. So gesehen ist die Globalisierung ein eklatanter Misserfolg.

Problempunkt Information

Fragt sich warum. In unserem Buch „Wirtschaft boomt, Gesellschaft kaputt" vertreten wir die These, dass wir an einem Informationsproblem gescheitert sind, und zwar mit einem grundlegenden: Die globale Produktionsmaschine verliert die Bedürfnisse aus den Augen. Um das zu verstehen, müssen wir kurz die Systeme vergleichen: In der Selbstversorgung stellt jeder das her, was er selber braucht. In der Marktwirtschaft produzieren alle das, wovon sie hoffen, dass es andere erstens brauchen und zweitens willens und in der Lage sind, gegen das zu tauschen, was ihre Tauschpartner benötigen. Bedürfnis und Produktion wird entkoppelt. Die Komplexität steigt. Auf der Plusseite steht die Chance auf höhere Produktivität durch Spezialisierung und - je nach Produkt - steigende Skalenerträge.

Wie die Produktion am besten organisiert wird, hängt von vielen Faktoren ab. Tatsache ist, dass gemessen am zeitlichen Aufwand für bedürfnisbefriedigende Tätigkeiten die (geldlose) Eigenproduktion im Familien- und Nachbarschaftsverband auch in den modernen Industrieländern noch immer dominiert. Beide Wirtschaftsformen haben ihre Existenzberechtigung. Die Kunst der Wirtschaftspolitik besteht darin, das Zusammenspiel der beiden richtig zu organisieren. In unserem Buch vertreten wir die These, dass diese Aufgabe in einer globalisierten Wirtschaft nicht gelöst werden kann. Dazu ist die Komplexität einfach zu gross.

Wir illustrieren das am Beispiel von Erfurt, einer typischen Provinzstadt in Deutschland. Die Bedürfnisse dieser Stadt und ihrer rund 200'000 Einwohner springen ins Auge - schmuddelige Fassaden, Löcher in den Strassen, rund eine Viertel der Erwachsenen und ein Drittel der Kinder leben in Armut, jeden Tag verköstigen sich rund 400 Erfurter in einer der beiden „Tafeln" bzw. Armenküchen. Acht Prozent der Erfurter sind arbeitslos, weitere 4 Prozent unterbeschäftigt.

Ein unvoreingenommener Beobachter aus dem letzten Jahrtausend hätte sich die Frage gestellt, wie man die Unterbeschäftigen und Armen dazu bringt, ihre eigenen Bedürfnisse zu decken und damit lokale Wirtschaftskreisläufe wieder in Gang zu bringen. Genau zu diesen Zweck wurde im Krisenjahr 1929 in Erfurt die „Wära-Tauschgesellschaft" gegründet, mit dem Zweck, Schwundgeld in Umlauf zu setzen. Das war die Blaupause für das „Wunder von Wörgl".

Erfurt als Sinnbild für neues Jobwunder

Heute sind die (lokalen) Bedürfnisse fast ganz aus der wirtschaftspolitischen Gleichung verschwunden. Die Frage ist nicht mehr, welche Bedürfnisse die Erfurter haben, sondern wie man in Erfurt Jobs schafft. In der Logik des Standortwettbewerbs geht das nur, indem man mit tiefen Kosten (Lohn, Bauland, Steuern) globale Investoren dazu bringt, ihre Produktion von dort nach hier zu verlagern. Wie problematisch dieser Ansatz ist, zeigt sich, wenn man die Bedürfnisse einbaut: Um ihre Bedürfnisse zu decken, müssen sich die Erfurter erst einschränken, um so vielleicht die Bedürfnisse anderer decken zu können, um dann mit dem Erlös, die Produkte und Dienstleistungen kaufen zu können, die sie brauchen.

Konkret: Erfurt ist es gelungen, dank Löhnen unter 9 Euro, mit Investitionszuschüssen und billigem Bauland zu einem Verteilzentrum für den nationalen Versandhandel zu werden. Damit ist Erfurt Sinnbild für das neue deutsche Jobwunder geworden: Hunderttausende sind damit beschäftigt, unnötige Klamotten ein- und auszupacken und hin- und herzukarren, während das Wesentliche ungetan bleibt.

Leider ist dieser Irrsinn inzwischen zur Normalität geworden. Ökonomen und Wirtschaftspolitiker werden seit Jahrzehnten darauf trainiert, in den Schablonen des globalen Standortwettbewerb zu denken. In unserem Buch versuchen wir, diese Muster aufzubrechen. Das tun wir, indem wir mit dem Begriffspaar Selbstversorgung und Markt- bzw. Geldwirtschaft arbeiten. Die gemeinsame „Währung" dieser beiden Organisationformen ist die Zeit. Beide erheben Anspruch auf die 24 Stunden, die uns täglich zur Verfügung stehen. Indem die Marktwirtschaft die Zeit strukturiert, organisiert und desorganisiert sie auch unsere Gesellschaft. Der Imperativ der flexiblen Arbeitsmärkte macht die Marktproduktion vielleicht um ein Prozent effizienter, zerstört aber die familiären und nachbarschaftlichen Strukturen der Selbstversorgung. Doch wer die Ökonomie nur in Geld denkt, ist blind für diese Probleme.

Unser Buch fordert keine Rückkehr zu Selbstversorgung und Tauschwirtschaft. Aber wir stellen fest, dass die Wirtschaft ohnehin wieder lokaler wird, erstens weil ein immer grösserer Anteil der bezahlten und unbezahlten Arbeit auf persönliche Dienstleistungen entfällt und zweitens weil sich dezentrale Produktionstechniken ausbreiten. 3-D-Druck, solare Chemie, urban Farming und alternative Energien sind hier die Stichworte.

Rein technologisch und von den Bedürfnissen her gesehen, sind wir also bereits unterwegs in eine lokalere Wirtschaft. In einer solchen Umgebung besteht die Kunst der Wirtschaftspolitik erst recht nicht mehr darin, Investoren von aussen anzulocken. Vielmehr geht es darum, lokale Wertschöpfungskreisläufe in Gang zu bringen und zu halten. Doch zu diesem Zweck müssen wir erst einmal die alten Denkmuster überwinden.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

Autoren

Philipp Löpfe arbeitet als Autor und Wirtschaftsjournalist für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften in der Schweiz. 2012 wurde er von der Zeitschrift Schweizer Journalist zum Wirtschaftsjournalisten des Jahres gewählt.
Werner Vontobel ist Wirtschaftskolumnist beim Ringier Verlag in Zürich und Autor diverser wirtschaftspolitischer Fachbücher.

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