Noch Bauchweh bei der Gesetzesbeschwerde

WU Wien
WU WienDie Presse
  • Drucken

Jeder Bürger soll künftig Gesetze beim Verfassungsgerichtshof anfechten können. Das bringt mehr Rechtsschutz. Doch Kritiker fürchten, dass Verfahren unnötig in die Länge gezogen werden.

Wien. Wer in einem Prozess von einem Straf- oder Zivilgesetz betroffen ist und dieses für verfassungswidrig hält, hat derzeit nur begrenzte Möglichkeiten: Man könne zwar beim Richter anregen, dass er die strittige Norm beim Verfassungsgerichtshof vorlegt. „Wird es aber nicht gemacht, hat man keinen Rechtsanspruch“, betonte beim letztwöchigen Rechtspanorama an der WU Harald Eberhard, Professor an der Wirtschaftsuniversität. Dies sei ein Unterschied zu Bescheiden, hob Eberhard hervor. Denn diese könne jeder Bürger beim Höchstgericht anfechte.

Die Politik will daher eine neue „Gesetzesbeschwerde“ einführen, die jedem das Recht gibt, ein Gesetz, das ihn betrifft, beim VfGH anzufechten (Details siehe Artikel rechts). Sabine Längle, Vorsitzende der Fachgruppe Zivilrecht der Richtervereinigung, ist davon nicht begeistert. Sie fürchte überlange Verfahren, sagte Längle, die betonte, nur ihre persönliche Meinung kundzutun und nicht für die Standesvertretung zu sprechen. „Ich trete nicht gegen Rechtsschutz auf, aber ein wichtiger Wert ist auch dessen Grenze“, sagte sie. „Personen, die Probleme damit haben, Gerichtsurteile zu akzeptieren, wird hier eine weitere Spielwiese eröffnet“, meinte Längle. Und Richter würden schon jetzt Gesetze dem VfGH vorlegen, wenn dies nötig sei. „Es gibt keinen Bedarf für einen weiteren Rechtsbehelf.“

„Ich bin ein Gespaltener“

„Ich bin ein Gespaltener“, meinte zur Streitfrage Roland Miklau, Präsident der Österreichischen Juristenkommission. „Was den Rechtsschutz betrifft, gefällt mir das Modell sehr“, ergänzte Miklau, der viele Jahre als Chef der Straflegislativsektion im Justizministerium tätig war. „Aber jeder Rechtsbehelf bedeutet auch eine Verzögerung“, gestand Miklau ein. Im Strafverfahren sei das nicht so ein Problem. Im Zivilverfahren aber schon, weil da ein anderer Bürger von der Wartezeit betroffen ist, wenn die Gegenpartei eine Gesetzesbeschwerde erhebt.

Rechtsanwältin Alexia Stuefer (sie ist Generalsekretärin der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen, tat aber ebenfalls nur ihre Meinung kund) widersprach Richterin Längle. So gebe es Fälle, in denen Richter potenziell verfassungswidrige Gesetze nicht dem VfGH vorlegen. Stuefer nannte etwa den Fall, in dem ein lesbisches Paar ein gemeinsames Sorgerecht für ein Kind erkämpfen wollte. „Wenn das nicht vorgelegt wird, wie kommt dann die einzelne Person zum VfGH?“, fragte Stuefer rhetorisch. Gleichzeitig sei ihr bei den bisherigen Entwürfen zur Gesetzesbeschwerde auch nicht klar geworden, wie diese in der Praxis „funktionieren sollen“. Man benötige aber einen effizienten Weg für einzelne Personen, die berechtigt eine Normenkontrolle erreichen wollen.

OGH: „Reform durch Hintertür“

OGH-Präsident Eckhart Ratz meldete sich aus dem Publikum zu Wort: Er erklärte, dass ein neuer Rechtsweg zum VfGH nicht nötig sei. Seit einem Urteil 2007 könne man sogar jegliche Grundrechtsbeschwerden beim OGH geltend machen. Miklau merkte dazu an, dass der OGH sich dieses Recht selbst und ohne gesetzliche Grundlage gegeben habe. Der ebenfalls im Publikum anwesende OGH-Hofrat Christoph Brenn ortete in der Rechtspanorama-Debatte die „erste sachliche Diskussion“ zur Gesetzesbeschwerde. Mit dem OGH habe von den Verantwortlichen offiziell niemand gesprochen. Und das, obwohl es um „den größte Systemwandel seit über hundert Jahren“ für die Justiz gehe, der aber offenbar durch „die Hintertür“ verabschiedet werden solle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.