EuGH-Judikat Fastweb: Experten uneins über Auswirkungen

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Kann ein Bieter, der selbst die Ausschreibungsbedingungen nicht erfüllt hat, den Zuschlag an einen Mitbewerber bekämpfen? Ja, sagte der EuGH in einem speziellen Fall.

Wien. Viel Aufmerksamkeit in Fachkreisen genießt zurzeit ein Vergaberechtsstreit, den die italienische Swisscom-Tochter Fastweb führt. Und zwar mit dem Gesundheitsamt Alessandria, der Telecom Italia und deren Tochter Path-Net.

Es geht um eine Auftragsvergabe, bei der die Telecom Italia den Zuschlag erhielt. Fastweb als zweiter Bieter nahm das nicht hin, sondern klagte. Die Gegenseite reagierte mit Widerklage, jeder warf dem anderen vor, bei seinem Angebot bestimmte technische Anforderungen nicht beachtet zu haben. Das Gericht stellte fest: Keines der beiden Angebote erfüllte alle Anforderungen. Was bedeutet das nun aber? Kann man, wenn das eigene Angebot ebenfalls Mängel hat, überhaupt gegen die Auftragsvergabe an einen Mitbewerber vorgehen? Das italienische Gericht fragte das den EuGH. Und der entschied: Ja, man kann. Das Gericht muss dann trotzdem den Zuschlag überprüfen. Und das Vergabeverfahren neu aufgerollt werden.

Das erregte Aufsehen, sogar von Paradigmenwechsel war schon die Rede. Denn bis jetzt werden – auch in Österreich – Vergabeverfahren oft nur formal überprüft. Hat derjenige, der die Auftragsvergabe anficht, selbst ein fehlerhaftes Angebot gelegt, „dann fehlt ihm nach gängiger Rechtssprechung die Antragslegitimation“, so Sebastian Oberzaucher, Vergaberechtsexperte bei Wolf Theiss. Die Anfechtung bleibt dann erfolglos.

Muss sich Rechtsprechung ändern?

Wie viel sich daran durch die EuGH-Entscheidung ändern wird, ist umstritten. Beim Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts kam man laut einem BKA-Rundschreiben zum Ergebnis, die Rechtsprechung der Vergabekontrolleinrichtungen und des Verwaltungsgerichtshofes müsse sich wohl ändern: Es sei nicht mehr aufrechtzuerhalten, dass ein Bieter einen Zuschlag nur deshalb nicht anfechten kann, weil er selbst ebenfalls kein korrektes Angebot gelegt hat.

Ob die (unabhängigen) Kontrollinstanzen das genauso sehen, bleibt abzuwarten. Oberzaucher relativiert: Die EuGH-Entscheidung habe sich auf einen „sehr speziellen Fall“ bezogen. Es habe nur zwei Bieter gegeben, die aus denselben Gründen aus dem Verfahren auszuscheiden gewesen wären. Es gab also niemanden, der der Auftrag legitimerweise hätte bekommen dürfen; das Verfahren wäre zwingend zu widerrufen gewesen. Solche Fälle seien selten. „Oft ist es der Dritt- oder Viertgereihte, der den Zuschlag bekämpft und behauptet: Alle vor mir gereihten Bieter sind auszuscheiden. Und dann erst schaut man sich dieses Angebot noch genauer an und stellt fest: Es wäre ebenfalls auszuscheiden.“

Dann könne der Auftraggeber die Anfechtung weiterhin abwehren, meint Oberzaucher. Einfach, indem er dem Betreffenden nachträglich eine „Ausscheidensentscheidung“ schickt – ihm also erklärt, dass sein Angebot aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden wird. Diese könne der Bieter zwar anfechten. Im Unterschied zum EuGH-Judikat bleibe ihm dann aber – wenn die Ausscheidensentscheidung rechtskonform war – die Prüfung des Zuschlags verwehrt. Zumindest habe der Vergabekontrollsenat Wien diese Vorgangsweise erst vor wenigen Tagen in zwei Entscheidungen bestätigt.

Hubert Reisner, Senatsvorsitzender im Bundesvergabeamt, verweist ebenfalls auf die Besonderheiten des Fastweb-Falles. Der EuGH habe die besagte Entscheidung „im Einzelfall in einer besonderen Konstellation“ getroffen. „Daraus ein allgemeines Recht auf das Ausscheiden anderer Bieter abzuleiten, halte ich für schwierig“, meint er. Man müsse sich das einzelfallbezogen anschauen. Möglicherweise bedürfe es auch noch weiterer Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH, bis es hier eine klare Judikaturlinie gibt. Selbst dann betreffe das aber nur Verfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte – nur für diese gilt EU-Recht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2013)

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