OGH: Leiharbeiter darf bleiben

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Symbolbild(c) Clemens Fabry
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Ein Unternehmen hatte jemanden aus der Stammbelegschaft gekündigt und einen Leiharbeiter behalten. An sich darf das nicht sein. Manchmal aber offenbar doch.

Wien. Wer Leiharbeiter beschäftigt, muss sie im Wesentlichen gleich behandeln wie die Stammbelegschaft. Das schreibt die europäische Leiharbeitsrichtlinie vor, die in Österreich mit Jahresbeginn umgesetzt wurde. In einem Punkt bleiben Leiharbeitnehmer aber benachteiligt: Baut ein Unternehmen Personal ab, müssen sie normalerweise zuerst gehen.

Das wollen die Unternehmen oft selbst so: Dass man sich von überlassenen Arbeitskräften leichter trennen kann, ist ja einer der Gründe, warum viele gern auf Leiharbeiter zurückgreifen. Das Stammpersonal hat aber auch von Gesetzes wegen mehr Anrecht auf Weiterbeschäftigung im Betrieb: Laut Arbeitskräfteüberlassungsgesetz dürfen durch den Einsatz von Leiharbeitern weder die Lohn- oder Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft beeinträchtigt noch deren Arbeitsplätze gefährdet werden. Wird ein Stammarbeiter gekündigt und durch einen Leiharbeiter ersetzt, ist die Kündigung als „Austauschkündigung“ mit Nichtigkeit bedroht. Dasselbe gilt an sich auch, wenn man, anstatt sich von einem im Betrieb beschäftigten Leiharbeiter zu trennen, jemanden aus der Stammbelegschaft kündigt. Ein OGH-Urteil rüttelte nun aber an diesem Grundsatz. Zumindest ein wenig.

Der Anlassfall ereignete sich in einem metallverarbeitenden Betrieb. Gearbeitet wurde dort in drei Schichten, bis April 2012 waren pro Schicht vier Arbeiter beschäftigt. Jeder musste für drei verschiedene Aufgaben einsetzbar sein. Ein Mitarbeiter vom Stammpersonal beherrschte allerdings nur eine dieser Tätigkeiten, für eine weitere hätte er eingeschult werden können. Für die dritte fehlte ihm die Eignung. Ein im Unternehmen tätiger Leiharbeiter war dagegen für alle drei Verwendungen firm.

Im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen wurde die Zahl der pro Schicht tätigen Arbeiter auf drei reduziert. Der Leiharbeiter wurde weiterbeschäftigt, der nur bedingt einsetzbare Stammarbeiter gekündigt. Der machte geltend, seine Kündigung sei nichtig. Er sei ja durch einen Leiharbeiter ersetzt worden. Beim OGH blitzte er damit ab: Das Höchstgericht bestätigte zwar die Nichtigkeit von Austauschkündigungen, stellte aber fest, „dass im vorliegenden Fall gerade eben kein Austausch vorgenommen worden war“, so Silva Palzer, Arbeitsrechtsexpertin bei Eversheds. Der Mitarbeiter sei aufgrund einer wirtschaftlichen Entscheidung gekündigt worden – nämlich weil er als Einziger nicht für alle Aufgaben einsetzbar war.

„Daraus folgt, dass die Kündigung eines Stammarbeiters bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung eines Leiharbeiters nicht automatisch und immer mit Nichtigkeit bedroht ist“, sagt Palzer. Ein solche Kündigung könne gerechtfertigt sein, wenn sachliche und für den Beschäftigungsbetrieb wichtige Gründe vorliegen. Früher habe man – in der Annahme, dass es ohnehin aussichtslos sei – das meist gar nicht erst geprüft. Die OGH-Entscheidung gebe Arbeitgebern „ein bisschen Hoffnung, hier doch etwas freier zu sein“, so die Rechtsanwältin. Doris Lutz, Juristin in der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien, will das Urteil aber nicht als Richtungsänderung sehen: „Das war ein Sonderfall.“

„Kein planbarer Lebensweg“

Die Zahl der Leiharbeitnehmer war zuletzt rückläufig: Laut Statistik Austria waren es heuer im ersten Quartal 67.000 im Vergleich zu 74.900 im ersten Quartal 2012. Das muss aber nichts mit der neuen Rechtslage zu tun haben, auch früher gab es konjunkturbedingte Schwankungen. Die Reform habe, so Lutz, zwar eine Verbesserung für Leiharbeitnehmer gebracht, das Hauptproblem aber nicht beseitigt: Immer noch hätten sie unter einer „Fraktionierung“ der Arbeitsverhältnisse zu leiden. „Man hat dann keinen planbaren Lebensweg.“ Leiharbeit erfülle auch seltener als oft behauptet eine „Brückenfunktion“ zum Einstieg in einen fixen Job. Aktuelle Zahlen liegen dazu nicht vor. Die L&R Sozialforschung untersuchte das für die Jahre 1997 bis 2008: Damals schafften jeweils nur zwischen 19 und 23Prozent der Leiharbeiter den Sprung in ein Standardarbeitsverhältnis. [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2013)

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