ÖIAG: „So ein Beschluss ist rechtswidrig“

Peter Doralt
Peter Doralt(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

„Kein Aufsichtsrat darf mit verbundenen Augen entscheiden“, sagt Universitätsprofessor Peter Doralt. Jener der ÖIAG habe aber blind agiert. Sein Urteil: „Der Beschluss ist rechtswidrig.“

Die Presse: Am 23. 4. stimmte der Aufsichtsrat (AR) der ÖIAG mit knapper Mehrheit für den Telekom-Austria-Syndikatsvertrag mit dem mexikanischen Konzern América Móvil. Die Arbeitnehmervertreter blieben der Sitzung aus Protest fern, auch drei Kapitalvertreter glänzten durch Abwesenheit. Gibt es für AR-Mitglieder keine Anwesenheitspflicht?

Peter Doralt: Die AR-Mitglieder haben die Pflicht zu erscheinen und an den Beratungen mitzuwirken, und zwar bei jeder AR-Sitzung. Daran besteht kein Zweifel, außer ich habe einen guten Grund für mein Fernbleiben – wie etwa eine Krankheit.

Ist ein Urlaub ein adäquater Entschuldigungsgrund?

Na ja, das hängt unter anderem von den Vertretungsregeln ab. Wenn aber die eigene Abwesenheit dazu führt, dass das ganze Werkl steht, dann wohl nicht. Die Pflicht zu kommen steigert sich, wenn – aus welchen Gründen auch immer – eine Beschlussunfähigkeit in der AR-Sitzung droht.

Die Arbeitnehmervertreter blieben aus Protest gegen die Vorgangsweise von ÖIAG-Vorstand Rudolf Kemler fern.

Ich finde, nicht zu erscheinen, um einen Beschluss zu torpedieren, ist nicht korrekt.

Kemler erklärte ja auch, eine Klage gegen die Arbeitnehmervertreter prüfen zu lassen.

Dass Kemler das prüft, finde ich ganz in Ordnung. Jede heikle Situation soll man ohne viel Tamtam von Experten prüfen lassen. Ob man tatsächlich eine Klage gegen die Arbeitnehmervertreter richten kann, halte ich allerdings für fragwürdig. Ich glaube nicht, dass man damit Erfolg haben wird. Man könnte auf Schadenersatz klagen. Aber welchen Schaden gibt es denn? Der Beschluss ist ja so zustande gekommen, wie Kemler es wollte. Er kann ja nicht darauf klagen, dass der Beschluss ästhetisch schöner hätte ausfallen sollen.

Wie wäre es, wenn der Beschluss nicht zustande gekommen wäre?

Dann könnte Kemler sagen, es ist ein riesiger Schaden entstanden. Den müsste er aber auch erst einmal nachweisen. Die Arbeitnehmervertreter würden ihm widersprechen.

Kapitalvertreter können nach § 87 Aktiengesetz mit einer Dreiviertelmehrheit der Hauptversammlung abberufen werden. Wie können Arbeitnehmervertreter gefeuert werden?

Nach dem Aktienrecht ist der Betriebsrat im AR auch in dieser Funktion geschützt. Im ÖIAG-Gesetz gibt es eine Regelung, wie die Arbeitnehmervertreter zu bestellen sind. Sie werden von der Hauptversammlung über Vorschlag der Arbeiterkammer (AK) gewählt. Über die Abberufung schweigt das Gesetz jedoch. Ich meine, gegen den Willen der AK kann sie die Hauptversammlung nicht abberufen.

Die Arbeitnehmervertreter waren empört, dass man ihnen den Syndikatsvertrag erst einen Tag vor Beschlussfassung das erste Mal vorgelegt hat.

Ich war selbst in vielen AR, auch als Vorsitzender. Wenn mir jemand einen Tag vor der Sitzung den Vertrag in einer fremden Sprache für eine derart komplexe Entscheidung vorlegt, dann sage ich: „Das mache ich nicht!“ Es ist herrschende Auffassung, dass die vollständigen Entscheidungsgrundlagen, also nicht nur der Vertragstext, sondern auch Gutachten, gut aufbereitet und rechtzeitig da sein müssen. Der reine Vertragstext ist oft nicht einmal das Wichtigste. Nur mit rechtzeitigen und vollständigen Unterlagen darf entschieden werden. Andernfalls degradiert man den AR zu einer Abstempelungsmaschine.

Wenn das alles aber nicht rechtzeitig passiert, was ist dann?

Die eigentliche Frage ist, ob ein AR-Beschluss, der auf diese Weise zustande gekommen ist, überhaupt gültig ist.

Ihre Meinung?

Wird ein derart weitreichender AR-Beschluss, der die Zukunft des Unternehmens besiegelt, mit verbundenen Augen gefällt, dann ist das rechtswidrig. Außerdem droht Schadenersatz. Aber im Nachhinein ist das immer leichter zu beurteilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wirtschaftsrecht

Der Vorstand hütet die Speisekammer

Wer bestimmt in einer AG, ob und wie viel an Dividende ausgezahlt wird? Und darf ein Unternehmen dafür einen Kredit aufnehmen? Hier sind die Antworten.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.