Darf's ein bisschen sozial sein?

Hannah Lux beschäftigt in ihrem Start-up Vollpension armutsgefährdete Senioren. Eine entsprechende Rechtsform fehlt. Sie muss „kreativ bleiben“.
Hannah Lux beschäftigt in ihrem Start-up Vollpension armutsgefährdete Senioren. Eine entsprechende Rechtsform fehlt. Sie muss „kreativ bleiben“.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Gründen. Sozialunternehmer haben es in Österreich schwer. Neben Kapital fehlt es an rechtlichem Know-how. Viele behelfen sich mit einer Mischform aus GmbH und Verein, um keine Begünstigungen einzubüßen.

Wien.Wenn man in Österreich von Sozialunternehmertum spricht, muss man bei Adam und Eva beginnen: bei der Definition. Das Zwitterwesen, das gemeinnützige Ziele und wirtschaftliches Handeln vereinbaren will, scheint weder dem Staat noch den Non-Profit-Organisationen ganz geheuer. Eine aktuelle Studie der Reuters Foundation zeigt: Österreich liegt in puncto Sozialunternehmertum international abgeschlagen auf dem 38. von 44 Plätzen. Erst zögerlich stellt sich eine gemeinsame Identität ein und formiert sich die Investorenszene.

Noch weit weniger aufgearbeitet als ihre Identität ist der rechtliche Unterbau. So trifft man auf viele Hybride, bei denen ein Verein eine GmbH führt. „Zu solchen Formen wird immer wieder geraten, sie sind aber nicht gerechtfertigt“, sagt Anwalt Martin Frenzel, der sich als einer der Ersten aus juristischer Warte mit dem Thema beschäftigt.

Wo endet Gemeinnützigkeit?

Vereine, die einen ideellen Zweck verfolgen müssen, riskieren ihre Existenz, wenn unternehmerische Nebentätigkeiten die Oberhand gewinnen. Peter Vandor, der an der WU zu Social Entrepreneurship forscht, erinnert an das Neunerhaus. Der Verein betreibt Wohnungen für Obdachlose und finanziert sich großteils über Spenden und Förderungen. Als er einmal zu viele Bücher verkaufte, hätte nach der strikten Judikatur die Auflösung gedroht. Hannah Lux, Mitgründerin und Geschäftsführerin des Start-ups Vollpension, erzählt Ähnliches. 2012 hat ihr Café, das armutsgefährdete Senioren beschäftigt, als Verein gestartet. 2014 gründete sie eine Tochter-GmbH, „weil es ganz klar über Gemeinnützigkeit hinausging“.

Nach wie vor sind 45Prozent der Social Enterprises aber als Vereine statuiert. Frenzel nennt zwei Gründe: erstens die Sozialisierung. Viele, die sich sozial engagieren wollen, assoziieren eine GmbH mit Kapitalismus. Der zweite Grund seien Beratungsfehler und schlichtes Unwissen. WU-Forscher Vandor empfiehlt wie viele seiner Kollegen, eine eigene Rechtsform ins Leben zu rufen. Die Neuschöpfung soll mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und vor Rechtsrisken schützen. Lux sieht darin einen ersten Schritt für eine funktionierende Social-Business-Szene.

Frenzel kann dem Wunsch nichts abgewinnen. Steuerrechtlich könne man an Stellschrauben drehen, aber gesellschaftsrechtlich sei mit der GmbH das optimale Vehikel vorhanden. „In den meisten Fragen kann man auf die österreichische Judikatur zurückfallen.“ Gründer könnten sich zudem entscheiden, ob sie eine ideelle GmbH wählen, die das Spendengütesiegel tragen kann und bei der sie sich mit dem Einkommen begnügen. Oder ob sie eine erwerbswirtschaftliche GmbH vorziehen, die Dividenden ausschüttet und „nur“ insofern ideell geprägt ist, als ein Teil des Gewinns einem guten Zweck zufließt. Lux sieht darin keine endgültige Lösung. Vorerst müssten Sozialunternehmer „kreativ bleiben und mit enormen Kosten Konstrukte zusammentüfteln“, sagt sie.

Fakt ist: Verein wie GmbH bergen gewisse Gefahren. Entscheidet man sich, eine klassische GmbH zu gründen, etwa um ein Restaurant zu betreiben, das Langzeitarbeitslose reintegriert, kann der Geschäftsführer im Insolvenzfall haftbar gemacht werden. Argument: Er habe weniger tüchtige Mitarbeiter eingestellt. Gegen den Vorwurf, bewusst ein unterdurchschnittlich rentables Restaurant betrieben zu haben, hilft nur, vorab den Unternehmensgegenstand genau niederzuschreiben. Bei einem ideellen Verein, der unternehmerisch tätig wird, ist wiederum der schmale Grat zu beachten, ab dem ihn die Selbstfinanzierung schädigt. Und für beide gilt: Das Finanzamt kann die mit einem vorläufigen Bescheid erteilte Spendenbegünstigung rückwirkend wieder entziehen, wenn es die Gemeinnützigkeit doch abspricht. „Die finale Festlegung erfolgt erst bei der Steuerprüfung. Das macht es natürlich nicht allzu attraktiv“, merkt Vandor an.

Stifter gesucht

Dennoch habe er das Gefühl, dass das Interesse an sozialen Investments wächst. Fragt sich, wer als Kapitalgeber infrage kommt. In Deutschland oder der Schweiz fallen einem gemeinnützige Stiftungen ein. In Österreich verfolgen jedoch weniger als 20 Prozent der Privatstiftungen gemeinnützige Ziele.

„Wir sind etwa um den Faktor 100 schlechter“, sagt Michael Meyer, Stiftungsexperte an der WU. Das hätte sich mit der Novelle, die zu Jahresbeginn das strikte Gemeinnützigkeitsrecht aufgeweicht hat, ändern können. Die Blaupause hat ein Institut für soziale Innovation beim Sozialministerium vorgesehen. Es hätte als steuerbegünstigter Adressat für Stiftungsgelder und somit als Bindeglied zwischen Stiftern und innovativen Sozialunternehmen dienen sollen. Der Entwurf fiel jedoch. Meyer: „In der jetzigen Form ist die Novelle zahnlos.“

AUF EINEN BLICK

Sozialunternehmer.

Unternehmen, die gemeinnützig und gleichzeitig mit Gewinnabsicht wirtschaften, sind mit rechtlichem Neuland konfrontiert. Eine eigene Gesellschaftsform, wie sie zugunsten von Steuerbefreiungen und größerer Rechtssicherheit gefordert wird, kommt vorerst nicht. So müssen Sozialunternehmer, die einen Verein gründen, darauf achten, dass sie nicht zu viel einnehmen. GmbH-Gründer müssen die Haftungsrisken im Auge behalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.