Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die dritte Piste zu untersagen, wird von Umweltorganisationen bejubelt. Kritiker halten sie für eine „Themenverfehlung“.
Wien. Donnerstagabend gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) Wien bekannt, den Bau der dritten Piste auf dem Flughafen Wien-Schwechat untersagt zu haben. Das öffentliche Interesse am Schutz vor den negativen Folgen des Klimawandels, insbesondere durch die hohe CO2-Belastung, ist höher zu bewerten als die positiven öffentlichen (standortpolitischen und arbeitsmarktpolitischen) Interessen an der Verwirklichung des Vorhaben, begründeten die Richter ihren Spruch. Bisher war noch keinem Bauprojekt mit einer derartigen Argumentation der Garaus gemacht worden. Befürworter wie Gegner, alle hat diese Entscheidung dementsprechend überrascht.
Umweltorganisationen, allen voran der WWF, jubeln: „Das ist eine richtungsweisende Entscheidung“, sagte der WWF-Sprecher Karl Schellmann: „Österreich bekennt sich schließlich zum Ausstieg aus fossilen Energien, und das verträgt sich nicht mit einer weiteren Zunahme des Flugverkehrs.“ Anders als bei Umweltaktivisten ist die Stimmung auf dem Wiener Flughafen seit Donnerstag gedrückt: Man werde alle möglichen Rechtsmittel gegen das Urteil des BVwG ergreifen, sagte Flughafenvorstand Günther Ofner gestern. Das Gericht habe den Verlust von Ackerland und die Sorge vor steigendem CO2-Ausstoß über alle anderen Erwägungen gestellt und damit sich selbst zu einem „Über-Gesetzgeber“ gemacht, kritisiert er das Gericht scharf. Wenn man die Aussage ernst nehme, dürfe kein neues Haus, keine zusätzliche Straße und auf keinen Fall eine zusätzliche Betriebsanlage gebaut werden, denn alle diese Projekte würden zu CO2-Ausstoß führen und Boden verbrauchen, sagte Ofner: „Das würde einem Investitionsstopp gleichkommen, daher müsste der Bundesgesetzgeber darüber entscheiden. Sollte aber aus dieser Überlegung speziell nur die dritte Piste verboten werden, dann wäre das schwerwiegend diskriminierend.“
Für Wien ein Nachteil
Auch Verkehrsminister Jörg Leichtfried äußerte – wenn auch vorsichtiger – Kritik: Das Urteil sei zur Kenntnis zu nehmen, sagte er. Es bedeute aber schon, „dass es für den Wirtschaftsstandort Einschränkungen gibt“. Nachdem Klimaschutz für das BVwG die Basis seiner Entscheidung war, glauben viele, dass nun auch die Verwirklichung anderer Bauvorhaben schwieriger werden könnte. Diese Sorge teilt Leichtfried nur teilweise. Für andere Infrastrukturprojekte, etwa im Straßenbau, sieht er bei Ausbauten für die Verkehrssicherheit keine Gefahr. Doch bei Neubauten werde sich künftig schon diese Frage stellen, sagte er.
Deutlich schärfer reagierte die Industriellenvereinigung (IV). Der international einzigartige Richterspruch trage zur Selbstverprovinzialisierung Österreichs bei. Das Klimaschutzargument sei „in keiner Weise haltbar, da die Emissionen des Flugverkehrs dem EU-Emissionshandel unterlägen und dessen Gesamtemissionen europaweit gedeckelt seien. Abgesehen davon sei bei Nichterrichtung der dritten Piste lediglich von einer Verlagerung des Flugverkehrs auf andere Flughäfen, etwa Bratislava, nicht aber von einem Entfall von Flügen auszugehen, was für eine globale Klimabilanz einerlei sei, sagte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.
Gespalten ist die Meinung in der Wiener Stadtregierung. Die FPÖ begrüßt die Entscheidung, und die Wiener Grünen sind sogar erleichtert: „Wir setzen uns seit 20 Jahren für fluglärmgeplagte Wiener ein und haben uns auch seit jeher gegen den Bau einer dritten Piste ausgesprochen, im Interesse der Umwelt und der Wiener Bevölkerung“, sagte Umweltsprecher Rüdiger Maresch. SPÖ-Gemeinderat Erich Valentin hält das Urteil nicht nur für „gefährlich“, sondern auch für eine „Themenverfehlung“: „Mit dem Verweis auf den CO2-Ausstoß kann ich jedes künftige Infrastrukturprojekt ablehnen.“ Das Gericht habe die Aufgabe gehabt, den Bau der dritten Piste hinsichtlich des Umweltverträglichkeitsgesetzes zu überprüfen. „Eine Beurteilung der österreichischen Klimaschutzpolitik war nicht gefragt“, sagte Valentin laut Aussendung.
Viel Stoff für Juristen
Keine Frage, das Sensationsurteil wird noch viele Juristen beschäftigen. Der Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer, Michael Enzinger, meldete sich schon gestern zu Wort: Das Bundesverwaltungsgericht habe nicht juristisch, sondern politisch entschieden. Das zeige sich auch daran, dass es keinen ordentlichen Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof zugelassen habe. Enzinger: „Wenn man rechtliches Neuland betreten will und noch eine übergeordnete Instanz hat, wäre es wohl indiziert gewesen, eine ordentliche Revision zuzulassen.“ (hec)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2017)